Kritik am digitalen Sommersemester: Die Corona-Uni ist strenger als gedacht
Kreatives und flexibles Corona-Semester? Viele Studierende haben derzeit Existenzsorgen und fühlen sich überlastet. Die Asten fordern Kulanz und mehr Hilfen.
Das Berliner Sommersemester 2020 soll durch Flexibilität, Rücksicht und Verlässlichkeit geprägt sein – so lautet die gemeinsame Maxime von Hochschulleitungen und der Senatskanzlei Wissenschaft. Doch was gilt davon tatsächlich für den Alltag der Studierenden? Wie lebt und lernt es sich im Schatten von Corona?
Studierendenvertretungen ziehen eine kritische Zwischenbilanz. Dem Asta der FU und dem Refrat der HU zufolge klagen nicht wenige Studierende nach wie vor über Schwierigkeiten mit Studienfinanzierung und Alltagspraxis sowie über Corona-bedingte Existenzängste.
Dabei werden keineswegs nur unzureichende Finanzhilfen kritisiert – allen voran der für ein Jahr zinsfreie Studienkredit von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU), der aktuell noch Startschwierigkeiten hat. Anders etwa als TU-Präsident Christian Thomsen, der sich am Montag im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses mit dem Digitalsemester zufrieden zeigte, gehen viele Studierende auch mit Qualität und Umsetzung der digitalen Lehre ins Gericht.
Fehlender Zugang zu Angeboten
So stellt die Hälfte der Studierenden, die der Refrat der HU zu den Auswirkungen der Pandemie befragt hat, dem digitalen Sommersemester ein eher dürftiges Zeugnis aus. Ebenfalls knapp über die Hälfte gibt an, das geplante Studienpensum beim derzeitigen Angebot an digitaler Lehre zu maximal 75 Prozent erfüllen zu können, viele davon nicht einmal zu 50 Prozent. An der Umfrage beteiligt haben sich gut 3300 Menschen und damit rund acht Prozent der HU-Studierenden.
„Obwohl die HU behauptet, 80 Prozent des Studienangebots digital vorhalten zu können, heißt das nicht, dass 80 Prozent oder mehr studiert werden können“, kommentiert Juliane Ziegler, Referentin für Lehre und Studium. Das Problem sei, dass viele Studierende durch „rechtswidrige Kapazitätsbeschränkungen, willkürliche Zulassungsverfahren und fehlende Angebote asynchroner Lehre“ oft keinen Zugang zu den Angeboten hätten.
„Viele sind nicht in der Lage die für die angestrebten Credit-Points notwendigen Module zu belegen, weil die digitalen Seminare schon voll sind und es schlicht keine Plätze mehr gibt“, erklärt der Initiator der Umfrage, Luca Germeyer. Insgesamt sähen sich 50 Prozent der Befragten im Corona-Semester stärkeren Belastungen ausgesetzt als in herkömmlichen Semestern. Damit verbunden erklärten immerhin 30 Prozent, schon über einen vorzeitigen Abbruch ihres Studiums nachgedacht zu haben.
Sieben Prozent denken stark über Studienabbruch nach
Anders als Gabriel Tiedje vom Asta der TU im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses für die Landesastenkonferenz erklärte, bedeute das aber keineswegs, dass ein Drittel der Studierendenschaft vor dem Abbruch steht, sagt Germeyer. Lediglich sieben Prozent der Befragten hätten stark oder sehr stark über einen Studienabbruch nachgedacht, dem Rest sei „bloß mal der Gedanke gekommen“. Im Wissenschaftsausschuss war Gabriel Tiedjes Aussage mit Bestürzung aufgenommen worden. „Wenn ein Drittel der Studierenden über Abbruch nachdenkt, muss uns das alarmieren“, sagte Tobias Schulze von der Fraktion der Linken. Eva Marie Plonske von den Grünen erklärte: „Wir dürfen die Leute nicht verlieren.“
Trotz der überinterpretierten Abbruchgedanken zeige die Umfrage, dass elementare Sorgen unter den Studierenden weit verbreitet seien, betont Germeyer. So gaben knapp 32 Prozent an, in der Coronakrise von Kündigung, Einkommenseinbußen oder Jobabsagen betroffen zu sein. Als Konsequenz daraus erneuert der Refrat die von Studierendenvertretungen, SPD, Grünen und FDP erhobene Forderung nach einer Öffnung des Bafögs – unabhängig vom Einkommen der Eltern. Dies wird von Bundesbildungsministerin Anja Karliczek jedoch abgelehnt.
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Sie stellt stattdessen Studienkredite von der KfW-Förderbank zur Verfügung, die von Kritikern wegen der Gefahr einer Verschuldung vehement zurückgewiesen werden. Die von der SPD-Fraktion im Bundestag zusätzlich zum Kreditangebot durchgesetzten 100 Millionen Euro Zuschüsse für Not leidende Studierende stehen indes weiterhin aus. Sie sollen über Nothilfefonds der Studierendenwerke ausgezahlt werden.
Für Berlin rechnet die Wissenschaftsverwaltung mit etwa sechs Millionen Euro für unbürokratische Einmalzahlungen in Höhe von maximal 500 Euro pro Person. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung erklärte am Mittwoch, man habe in den vergangenen Wochen intensiv daran gearbeitet, die Überbrückungshilfen schnell auf den Weg zu bringen.
"Das BMBF unterstützt die Studierendenwerke aktuell sehr intensiv, damit diese die bereitstehenden 100 Millionen Euro schnell weitergeben können", teilte dazu der bildungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Albert Rupprecht, mit. Das Deutsche Studentenwerk hofft nun, die Beantragung der Mittel ab dem 8. Juni ermöglichen zu können.
Unklarer Status des Sommersemesters
Unter den Studierenden herrscht derweil Unsicherheit über den tatsächlichen Status des „Corona-Semesters“. Zwar ist es nach einem Beschluss der Covid-19-Taskforce von Senat und Hochschulen formal ein „Hochschulsemester“ und kein „Fachsemester“ – aber was bedeutet das konkret für die zu erbringenden Studienleistungen?
An der FU etwa kritisiert die Studierendenvertretung, dass das vermeintliche „Kreativsemester“, das mit dem Versprechen auf maximale Kulanz und flexible Studien- und Studienabschlussmöglichkeiten an den Start ging, in der Praxis oft wie ein herkömmliches Sommersemester erscheine, nur eben mit digitalen Mitteln.
Studierende mit Kindern sind besonders betroffen
„Tatsächlich haben wir mit den digitalen Veranstaltungen oft einen größeren Arbeitsaufwand als bisher, manch ein Dozent fordert wöchentliche Leistungsnachweise“, sagt FU-Studentin Milka Berndt, die parallel zum digitalen Studium mit der ständigen Betreuung ihres Kindes beschäftigt ist. Studierende mit Kind – und weitgehend ohne Kita – seien kaum in der Lage, Anwesenheitspflichten und Leistungsnachweise zu erbringen. „Wenn man versucht, in einer solchen Krise ein Semester durchzudrücken, bleiben Menschen auf der Strecke“, sagt Berndt. Ähnliche Klagen sind aus der HU zu hören.
Die besonderen Bedarfe von Studierenden mit Care-Verpflichtung würden durchaus berücksichtigt, sagt Eva Inés Obergfell, Vizepräsidentin für Lehre und Studium an der HU. Die in der Refrat-Umfrage artikulierten Sorgen nehme man durchaus ernst. Eine flächendeckende Begrenzung der Gruppengrößen in Veranstaltungen könne man aber nach einer Überprüfung des Sachverhalts nicht erkennen. „Im engen Austausch mit Lehrenden und Studierenden arbeiten wir in einer Taskforce Digitale Lehre an kreativen Lösungen für das Corona-Semester, um die Abläufe zu verbessern“, sagt Obergfell. Corona-induzierte Studienabbrüche gelte es dabei zu verhindern.
Wissenschaftsstaatssekretär Steffen Krach stellt gegenüber dem Tagesspiegel klar: „Es ist und bleibt ein Semester, in dem wir ein möglichst breites und gutes Studienangebot machen wollen, die erbrachten Studienleistungen angerechnet werden können, aber das Semester nicht auf die Regelstudienzeit angerechnet wird.“ Natürlich würden „in einem Semester wie diesem“ stets neue Herausforderungen auftauchen. „Darüber sprechen wir aber regelmäßig in unserer Taskforce sowie mit den Studierendenvertretungen, um dann möglichst schnell Abhilfe zu schaffen.“ (Mitarbeit: -ry)