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So genossen die Menschen in Stockholm den Sonntag.
© Jessia Gow/AFP
Update

EU-Staat fast ohne Einschränkungen: Die wundersame Ignoranz der Schweden

Trotz der Coronavirus-Krise sind die Skigebiete in Schweden noch voll. In einer Rede an die Nation warnt Premier Löfven zwar, mehr passiert aber nicht.

Ausgangssperren, Kontaktverbote, Abstandsregeln, Firmenschließungen – Europa kämpft verzweifelt gegen das Coronavirus. Nur in Schweden gibt man sich bisher angesichts der teils dramatischen Lage in anderen Länder verhältnismäßig gelassen. 

Und das, obwohl es auch in dem Staat im hohen Norden mit seinen gut zehn Millionen Einwohnern inzwischen mehr als 1.763 Infizierte gibt, 20 Menschen sind (Stand Sonntagnachmittag) an Covid-19 gestorben.

Besonders krass erschien nicht zuletzt medizinischen Experten, dass die Skigebiete des Landes noch immer geöffnet sind und dort in den Bars bis zuletzt gefeiert wurde, wo doch bekannt ist, dass das Tiroler Skigebiet Ischgl ein Epizentrum der Pandemie ist. Auf der anderen Seite der Grenze, in Norwegen, sind die Skigebiete schon längst verwaist. Norwegen hat seinen Einwohnern sogar verboten, zu ihren Hütten zu fahren, weil dort die medizinische Hilfe nicht gewährleistet ist.

[Die neuesten Entwicklungen und Hintergründe zum Coronavirus können Sie hier in unserem Newsblog mitverfolgen.]

In Schweden setzt man weiter mehr auf Appelle als Verbote. Dies wurde am Sonntagabend nach einer Rede an die Nation des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven deutlich, die im staatlichen Fernsehen übertragen wurde, eine in dem skandinavischen Land äußerst ungewöhnliche Maßnahme.

Löfven kündigte in seiner Rede keine neuen Schritte an, warnte seine Landsleute aber eindringlich: „Wir haben eine allgemeine Verbreitung des Virus in Schweden. Das Leben, die Gesundheit und der Arbeitsplatz sind gefährdet. Es werden mehr Menschen krank werden, mehr werden sich sich von Angehörigen verabschieden müssen“, sagte er nach Angaben des staatlichen Senders SVT.

Premier Löfven bereitet Schweden wegen Coronavirus auf Einschränkungen vor

Löfven machte allerdings deutlich, dass die Schweden sich darauf vorbereiten müssen, dass es Maßnahmen geben könne, die den Alltag mehr einschränken könnten - und diese könnten kurzfristig erfolgen. Wie viele andere Staatschefs versuchte der schwedische Premier zu verdeutlichen, dass es darum gehe, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen.

Löfven appellierte in dramatischen Worten an die Schweden: „Es gibt manche entscheidende Stunden im Leben, in denen Du Entbehrungen hinnehmen musst, nicht nur wegen Dir selbst, sondern auch für Deine Umgebung, Deine Mitmenschen und für unser Land. Jeder von uns hat die Verantwortung, die Ausbreitung zu verhindern, um Ältere und Risikogruppen zu schützen.“

Trotz Coronavirus sind Veranstaltungen bis 500 Teilnehmern noch erlaubt

Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen hatte die Regierung bereits getroffen, aber die fallen eher moderat aus. So sind Veranstaltungen mit bis zu 500 Menschen nach wie vor erlaubt und Kindergärten und Schulen bis einschließlich zur neunten Klasse sind geöffnet, die Gastronomie ebenfalls. Immerhin wird beispielsweise in der Hauptstadt Stockholm auf dem Messegelände eine Notfallklinik mit Intensivbetten aufgebaut. In der Region der Hauptstadt gibt es bisher rund 660 bestätigte Infektionen, sieben Menschen starben am Coronavirus. 

Aber während beispielsweise in Deutschland touristische Reisen sogar innerhalb des Landes verboten sind, können EU-Bürger bisher sogar noch nach Schweden einreisen. Auch die schwedische Regierung rät zwar davon ab, zu reisen, doch das wurde von vielen nicht befolgt, wie die vollen Skigebiete zeigen.

Die Regierung von Premier Stefan Löfven agierte bisher zurückhaltend.
Die Regierung von Premier Stefan Löfven agierte bisher zurückhaltend.
© Christian Hartmann/Reuters

Die Schweden ignorieren damit sogar den Rat ihres Monarchen. Schwedens König Carl XVI. Gustaf hatte die Bevölkerung am Mittwoch aufgerufen, gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. „Jetzt müssen wir alle in Schweden - Du und ich - alles tun, um zu helfen“, sagte der 73-Jährige nach einem außerordentlichen Treffen mit dem Kabinett.

Alle sollten auf den Rat der Behörden hören und Menschenansammlungen vermeiden. Das gelte besonders für ältere Menschen. Er und die Königin versuchten, diesen Rat so weit wie möglich zu befolgen. „Jedes Mal, wenn wir Rücksichtnahme und Empathie zeigen, tragen wir dazu bei, das Beste in Schweden aufrechtzuerhalten - zum Wohle Schwedens“, sagte der König in der Ansprache, die im Fernsehen übertragen wurde.

Verbote aber, so die Marschroute der Politik bisher, würden wenig bringen. Maßvolles handeln, sei die Devise. „Das Wichtigste, was wir jetzt machen können, ist zuhause bleiben, wenn wir uns krank fühlen. Das sagen wir jeden Tag und werden das weiter tun, solange die Epidemie anhält, denn das ist die Grundlage für alles, was wir tun", sagte  Anders Tegnell von der Gesundheitsbehörde. Nun aber scheint sich auch in dem nördlichen EU-Mitgliedsland die Einsicht durchzusetzen, dass zumindest etwas mehr getan werden muss.

Hintergrund über das Coronavirus:

Offenbar bedurfte es dazu aber mehr Druck auf die Regierung. Wie der staatliche Sender SVT berichtet, hat die Skiregion Jämtland Härjedalen die Gesundheitsbehörden gebeten, strengere Vorgaben zu erlassen, denn besonders zu Ostern werde ein großer Ansturm an Touristen erwartet.

Aus medizinischer Sicht müssten die Skianlagen geschlossen werden, sagte Sofia Leje vom ärztlichen Dienst in Åre, einem Ort innerhalb des Skigebietes. Man müsse die Touristenflut stoppen und von den Erfahrungen anderer Skiorte in Europa lernen, wo sich die Infektion ausgebreitet hätte. Davon abgesehen könnte ihr ärztliches Personal einen großen Ansturm an Patienten auch gar nicht bewältigen.

König Carl XVI. Gustaf von Schweden appellierte im TV an die Bürger.
König Carl XVI. Gustaf von Schweden appellierte im TV an die Bürger.
© Issei Kato/Reuters Pool/AP/dpa

Noch am vergangenen Wochenende hatten Hunderte Touristen in den Clubs von Åre gefeiert. Die Veranstalter versicherten, dass man sich an die Vorgaben halte und dass nicht mehr als 499 Personen eingelassen wurden. Ärzte und Politiker hatten gefordert, dem Treiben ein Ende zu setzen. Nun zeigt die massive Kritik an den Après-Ski-Partys Wirkung. Mehrere Restaurants und Clubs in den Skigebieten haben am Wochenende ihren Betrieb eingestellt. Auf der Webseite der Nachtclubs „Bygget“ und „After Skin“ in Åre heißt es seit Samstag: „Da der Schwerpunkt im Kampf gegen Infektionen nun darauf liegt, dass sich Menschen nicht in Innenräumen versammeln, sehen wir keine andere Maßnahme als diese. Das ist die härteste Zeit, die wir und unsere Branche je erlebt haben.“ Auch in Sälen und Idre hätten die Nachtclubs zugemacht, so das schwedische Fernsehen SVT am Samstagabend.

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