zum Hauptinhalt
Depressive Phase. Seit Jahren scheitern die Bemühungen von Arzneimittelherstellern, neue Medikamente gegen Psychosen, Depressionen oder andere seelische Leiden zu entwickeln. Neue Ideen, etwa Antibiotika und Biomarker, sollen das ändern.
© Getty Images/blueclue/iStockphoto

Psychopharmaka: Die Suche nach neuen Arzneien für die Seele

Seit Jahren scheitern Medikamentenhersteller daran, neue Wirkstoffe gegen psychische Erkrankungen zu entwickeln. Jetzt gibt es neue Ansätze.

Ein Stück weit sind Krankheiten der Psyche inzwischen zu „normalen“ Krankheiten geworden: Man nimmt sie eher wahr als vor einigen Jahrzehnten, man spricht über sie, man sucht Hilfe. Die gute Nachricht ist, dass es sie für mindestens zwei Drittel der Hilfesuchenden auch gibt. „Ein Drittel der schweren und mittelgradigen Verlaufsformen sprechen allerdings schlecht oder gar nicht auf die gängigen Therapieansätze an“, sagte Peter Falkai, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität München, beim diesjährigen Symposium der Paul-Martini-Stiftung zu neuen Therapieansätzen bei psychischen Erkrankungen.

Ungeklärte Ursachen

Immer noch sei das Wissen darüber unzureichend, auf welchen Wegen Depressionen oder Psychosen entstehen und was sich an welchen Stellen im Gehirn tut, wenn sie sich verschlimmern. „Man muss Studie um Studie machen und sich hocharbeiten“, mahnte der Psychiater sich und seine Kollegen.

Auch Siegfried Throm, Geschäftsführer der Abteilung für Forschung, Entwicklung und Innovation im Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller, bedauerte, dass es an guten Krankheitsmodellen in diesem Fachgebiet der Medizin bisher noch hapere. So beruhe die Diagnose einer psychischen Erkrankung meist auf subjektiven Einschätzungen. Und wenn eine Krankheit schlecht definiert ist, dann lässt sich die Wirksamkeit neuer Arzneien statistisch nicht erkennen, weil die Patienten in einer Studie nur scheinbar an der gleichen Krankheit leiden. Das habe zur Unlust der Pharmafirmen beigetragen, weiter in die Arzneimittelentwicklung auf dem Gebiet der Psychiatrie zu investieren, sagt Throm. „Viele Firmen haben ihr Engagement zurückgefahren oder ganz eingestellt.“ Seit 2010 sind in Deutschland keine wirklich neuen Mittel mehr auf den Markt gekommen. Und nur in sieben klinischen Projekten werden derzeit Wirkstoffe gegen Depressionen getestet – dagegen laufen 237 solcher Studien in der Krebsmedizin.

Wechselspiel mit der Umwelt

Doch mit etwas Glück könnte sich das in ein paar Jahren ändern. So interessieren sich Grundlagenforscher zunehmend für Veränderungen, die sich durch Wechselwirkungen zwischen Ererbtem und Umwelteinflüssen an wichtigen Enzymen ergeben. André Fischer vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen in Göttingen etwa widmet sich der Neuroepigenetik, also der Sicherung von Spuren der Umwelt in den von Genen gesteuerten Abläufen im Gehirn. Ein von ihm erforschter Hemmstoff verbesserte im Tiermodell die Lernfähigkeit, indem er das Enzym Histon-Deacetylase blockierte. Nun wird der Wirkstoff erstmals in einer Studie bei einer kleinen Anzahl von Personen mit einer beginnenden Demenz getestet.

Elisabeth Binder, Direktorin des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie in München, konnte von ersten vielversprechenden Tierversuchsergebnissen mit einem Hemmstoff des Chaperon-Proteins FKBP5 berichten. Chaperon-Proteine sind „behütende“ Eiweiße, die neu gebildeten anderen Proteinen helfen, sich korrekt zu falten. Auch ihre Arbeitsgruppe konnte belegen, wie eng Gene und Lebenserfahrungen miteinander verquickt sind, wenn sich seelische Krankheiten entwickeln: Menschen, die in ihrem Erbgut Veränderungen des Gens tragen, das FKBP5 anschaltet, sind besonders anfällig für eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Dieser Störung gehen traumatische Erfahrungen voraus. „Der genetische Mechanismus sorgt bei Trägern der Veränderung für höhere Anschaltbarkeit, dazu müssen aber Umwelteinflüsse kommen, und zwar schon in der Kindheit“, sagte Binder. Noch sei allerdings unklar, für welche Gruppe von Patienten der FKBP5-Antagonist überhaupt infrage kommt – und mit welchen Tests man sie in der großen Gruppe der Patienten mit PTBS erkennen könnte.

Mit Antibiotika gegen Seelenleiden

In anderen Fällen könnten auch Medikamente helfen, die sich schon bei Leiden aus ganz anderen „Schubladen“ des medizinischen Fächerkanons bewährt haben. So könnten Antibiotika, die üblicherweise gegen bakterielle Infektionen eingesetzt werden, auch gegen Psychosen helfen. Zwar seien die Ursachen dieser Krankheit aus dem schizophrenen Formenkreis bis heute nur unzureichend verstanden, sagte Josef Priller, Direktor der Abteilung für Neuropsychiatrie an der Klinik für Psychiatrie der Charité. Doch neben genetischen Faktoren, Veränderungen im Stoffwechsel und bei der Signalübertragung im Gehirn und belastenden Lebensereignissen spiele auch das Immunsystem eine wichtige Rolle. Schon vor der Geburt können Infektionskrankheiten der Mutter dazu führen, dass die Immunzellen im Gehirn des Embryos, die Mikroglia, zu stark aktiviert werden. Untersuchungen zeigen, dass die Mikroglia dieser Patienten später entzündliche Veränderungen aufweisen.

„Bei Mäusen lassen sich die Folgen dieser veränderten pränatalen Immunentwicklung erkennen, wenn man sie in der Pubertät besonderem Stress aussetzt, sie also zum Beispiel zwingt zu schwimmen“, sagt Priller. Die Hoffnung ist, diese Überaktivierung des Immunsystems mit Antibiotika wie Minocyclin zu bremsen, das bereits als antientzündliches Mittel gegen schwere Akne eingesetzt wird.

Das entzündete Gehirn beruhigen

Auch bei Depressionen, die zu den häufigsten psychischen Erkrankungen gehören, könnte Minocyclin helfen, weil auch hier Entzündungsvorgänge mit im Spiel sind, sagte Isabella Heuser, Direktorin der Psychiatrie der Charité am Campus Benjamin Franklin. Wenn die Immunzellen des entzündeten Gehirns überaktiv sind, wird verstärkt Tryptophan abgebaut – der Vorläufer des wichtigen Hirnbotenstoffs Serotonin, dessen Fehlen Depressionen verursachen kann. Vor allem schwer behandelbare Depressionen hofft Heuser mit Minocyclin behandeln zu können.

Daher wird das Mittel nun in einer multizentrischen Studie im Vergleich zu Placebo bei Patienten getestet, deren Depression mit den gängigen Medikamenten nicht in den Griff zu bekommen ist. Die Teilnehmer nehmen ihre Antidepressiva während des sechswöchigen Tests sicherheitshalber trotzdem weiter, ein halbes Jahr später wird geschaut, ob die zusätzliche antibiotische Behandlung ihnen etwas gebracht hat. Zukünftig, hofft Heuser, könnten dann Biomarker jene Patienten erkennen, bei denen die Begleittherapie Erfolgschancen hat. „Was wir uns wünschen, ist Präzisions-Psychiatrie.“

Liebeshormon Oxytocin als Psychopharmakon

Auch was das „Bindungs“- und „Liebes“-Hormon Oxytocin betrifft, ist solche Präzision noch nicht erreicht. Das körpereigene Hormon, das unter anderem für die frühe Bindung zwischen Mutter und Kind bedeutsam ist, reguliert im Gehirn Nervenzellnetzwerke, die für soziales Verhalten zuständig sind, sagte Sabine Herpertz, von der Klinik für Allgemeine Psychiatrie des Uniklinikums Heidelberg. Ocytocin sorgt dafür, wie viel Aufmerksamkeit ein Mensch für Reize entwickelt, die ihn aus der Außenwelt erreichen. Inzwischen liegen aus Studien Hinweise dafür vor, dass das Hormon sich als Nasenspray auch therapeutisch nutzen lässt, weil es Emotionen wie soziale Ängstlichkeit und Ärger positiv beeinflusst, das Erkennen der Mimik des Gegenübers erleichtert und Empathie verstärkt.

Bevor das Nasenspray in der Behandlung psychisch Kranker eingesetzt werden könne, müsse allerdings genauer geklärt werden, wie das Hormon in wichtige Gehirnregionen gelangt und welche Wirkung es dort entfaltet, forderte Herpertz. Bisher weiß man noch nicht einmal genau, warum es nicht auf beide Geschlechter gleich wirkt. Ratlos machen etwa Daten der Heidelberger Arbeitsgruppe. Sie deuten darauf hin, dass das Nasenspray in Konfliktgesprächen Männer milder stimmt als ihre Partnerinnen.

Zur Startseite