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Der Ayahuasca-Trunk wird aus Blättern und Rinde in einem Topf aufgekocht.
© Alamy Stock Photo/mauritius images

Therapie mit psychedelischen Drogen?: Halluzinierte Selbstheilung

Eine Liane, ein Sud und die Ängste schwinden? Noch wird erforscht, ob die Dschungel-Droge Ayahuasca mehr hilft als schadet.

Der Schamane hat nach Brandenburg gerufen. All jene, die sich von einem Wochenende auf Droge „Heilung, innere Entwicklung und persönliches Wachstum“ versprechen. Einer nach dem anderen wird mit Isomatte und Schlafsack anreisen. Und einem Eimer. Den werden sie auch brauchen. Der Sud aus südamerikanischen Pflanzen, den ihnen der Schamane einflößen wird, wird ihnen nicht nur Halluzinationen bescheren. Immer wieder werden sie würgend ihren Eimer füllen – eine Nebenwirkung der psychedelischen Droge Ayahuasca. Für den Schamanen hingegen ist es ein wichtiger Bestandteil des uralten Rituals zur „inneren Reinigung“, für die jeder der Pilger bis zu 1000 Euro zahlt.

Heilung durch Drogen? Die Idee klingt abwegig. Aber Forscher sehen in einigen psychedelischen Substanzen durchaus medizinisches Potenzial, um damit etwa Depressionen, Angstzustände oder Alkoholabhängigkeit zu behandeln. Doch wie genau sich LSD, Mescalin oder eben Ayahuasca hilfreich gegen psychische Erkrankungen auswirken können, ist seit 50 Jahren kaum untersucht worden. Seit LSD international geächtet wurde, ist die Psychedelikaforschung in einen Dornröschenschlaf gefallen. Die Wissenschaft ließ ein ganzes Feld potenzieller Wirkstoffe brachliegen – und überließ es selbsternannten Wunderheilern und ihren Zaubertränken. Dazu gehört in Berlin und Brandenburg auch immer häufiger Ayahuasca.

Halluzinationen über vier bis sechs Stunden

Der Pflanzensud wird aus Blättern des Kaffeestrauchs Psychotria viridis und der Rinde der Lianenart Banisteriopsis caapi zusammengebraut. Die Halluzinationen beginnen dreißig Minuten nach dem Trinken des Tees und dauern meist vier bis sechs Stunden. Die „Reisenden“ hören dabei jedes Geräusch intensiver, scheinen auf sich selbst herabzusehen und haben Visionen.

Verantwortlich dafür ist das in den Blättern enthaltene Halluzinogen Dimethyltryptamin (DMT). Eigentlich zerstückeln Enzyme des Magens das DMT, noch bevor es ins Blut gelangt. Doch Stoffe aus der Liane (Harmin und Harmalin) stoppen diese Magenenzyme und ermöglichen so den Rausch.

Ayahuasca wirkt vor allem im Gehirn. Es gehört wie LSD und Psilocybin zu den psychedelischen Drogen. Sie wirken ähnlich wie der körpereigene Botenstoff Serotonin. Während LSD wegen seiner eher euphorisierenden Wirkung als Feelgood-Droge der Hippie-Bewegung Geschichte schrieb, wirkt Ayahuasca eher beruhigend. „Der typische Ayahuasca-Konsument ist mindestens dreißig Jahre alt und interessiert sich für Spiritualität, Introspektion und Psychotherapie – nicht gerade der durchschnittliche Nachtclub-Gänger“, sagt Henrik Jungaberle. Der 49-Jährige leitet das 2013 gegründete „Finder Institut für Präventionsforschung“ in Berlin und beschäftigt sich auch mit Drogen wie Ayahuasca. Während eines elfjährigen Forschungsprojekts zu Gebrauch und Missbrauch psychoaktiver Substanzen an der Universität Heidelberg fuhr er für Feldstudien sogar nach Südamerika.

Manche kündigen nach Ayahuasca ihren Job, andere beenden die Beziehung

Die „Ranke der Seelen“, was Ayahuasca in der Quechua-Sprache südamerikanischer Völker bedeutet, wird im Amazonasgebiet seit Jahrhunderten in religiösen Ritualen eingesetzt. Es ruft einen veränderten Bewusstseinszustand hervor, der sie Göttern und Ahnen näherbringen sowie und Krankheiten und seelisches Leid lindern soll.

Auch in Europa nutzen Menschen Ayahuasca seit einiger Zeit und hoffen auf sogenannten „Retreats“ auf Selbsterkenntnis und Linderung ihrer Depressionen oder Ängste. „Sie durchleben längst vergessene Episoden aus ihrer Kindheit und blicken dabei wie Zuschauer auf ihren eigenen Körper und Geist“, sagt Jungaberle. Diese Bewusstseinserweiterungen seien manchmal so intensiv, dass sie lebensverändernde Entscheidungen nach sich ziehen. So kündigen manche ihren Job, andere beenden ihre Beziehung. „Viele machen die Erfahrung, unter dem Einfluss von Ayahuasca erkennen zu können, was im Leben wirklich wichtig ist“, sagt Jungaberle.

Allerdings: Der im Sud enthaltene Wirkstoff DMT ist laut Betäubungsmittelgesetz „nicht verkehrsfähig“. Das heißt, jeder Umgang mit Ayahuasca zu Konsumzwecken ist grundsätzlich strafbar. Trotzdem preisen einige „Schamanen“ ihre Zeremonien offen im Internet an. „Geleitet werden sie meist von Psychotherapeuten oder selbsternannten Neo-Schamanen“, sagt Jungaberle. „Darunter sind nicht selten auch Heilpraktiker ohne fundiertes medizinisches Wissen.“

Krämpfe, Schwitzen, Übelkeit

Der gesundheitliche Preis, den der Konsum von Ayahuasca fordert, wird auf den Internetseiten mit keinem Wort erwähnt. Wer das bittere, bräunliche Gebräu trinkt, muss sich alle 40 bis 60 Minuten heftig übergeben. Selten, aber dafür gefährlicher, ist eine andere Wechselwirkung: Wer regelmäßig Medikamente gegen Depressionen einnehmen muss, dem droht unter Umständen ein „Serotonin-Syndrom“. Der körpereigene Botenstoff überflutet das Gehirn, und löst Reaktionen wie Krämpfe, Schwitzen und Übelkeit aus. Unter Umständen kann das sogar zum Tod führen.

Süchtig macht Ayahuasca, wie alle Psychedelika, nicht. „Bei Menschen mit einer entsprechenden Veranlagung kann es aber zu einer Psychose kommen“, warnt Jungaberle. Bei dieser psychischen Störung kann der Betroffene den Bezug zur Realität dauerhaft verlieren. In Jungaberles Feldstudie litten 3,4 Prozent der Ayahuasca-Konsumenten an mindestens einer psychotischen Episode. Wenn Menschen in so einem Zustand allein gelassen werden, besteht die Gefahr, dass sie sich etwas antun. Da an den Retreats teilweise bis zu 50 Leute teilnehmen, bleibe laut Jungaberle für den Einzelnen überhaupt keine Zeit.

Psychotherapie statt Ayahuasca-Zeremonien

Niemand weiß genau, wie viele Menschen in Deutschland Ayahuasca trinken. Jungaberle schätzt, dass in Berlin mittlerweile mehrere tausend Menschen die Droge ab und zu konsumieren. Die Leiterin der Fachstelle für Suchtprävention Berlin, Kerstin Jüngling, kann diese Zahl nicht bestätigen. „Bisher haben uns nur zwei Anfragen zu Ayahuasca erreicht“, sagt sie. Trotzdem rät auch Jüngling zu großer Vorsicht: „Die Gefahr liegt in der psychedelischen Wirkung, was man glaubt, in dem Zustand zu können. Und ob sich die Seele von der Erfahrung wieder erholt.“ Statt unkontrollierter Ayahuasca-Zeremonien gebe es gegen Angst und Depression gut etablierte und wissenschaftlich akzeptierte Methoden der Psychotherapie.

Könnte Ayahuasca tatsächlich gegen Depressionen helfen?

Nichtsdestotrotz untersuchen Forscher durchaus, ob Ayahuasca ein Mittel gegen psychische Erkrankungen sein könnte. Ende September präsentierten Wissenschaftler auf der internationalen Konferenz „Drug Science“ in Berlin Hinweise darauf, dass die Lianen-Wirkstoffe Harmin und Harmalin das Wachstum von Nervenzellen anregen. Bei Demenz und Depressionen ist dieses Nervenzellwachstum gestört. Ayahuasca kann offenbar auch die übermäßige Aktivität von Hirnarealen beruhigen, die mit Depressions- und Angstzuständen einhergeht. Außerdem scheinen Ayahuasca und verwandte psychedelische Substanzen wie LSD und Psilocybin gegen Alkohol- und Tabakabhängigkeit zu helfen. Allerdings stammen diese Ergebnisse meist aus Beobachtungsstudien mit nur wenigen Teilnehmern. Noch fehlen dazu umfangreiche, aussagekräftige Studien.

Dass überhaupt wieder an Psychedelika geforscht werden kann, war lange nicht abzusehen. Nach der Entdeckung von LSD 1945 produzierte der Schweizer Pharmakonzern Sandoz die Substanz zur psychiatrischen Behandlung und zu Forschungszwecken – bis der ausufernde Konsum der Hippie-Bewegung die Politik auf den Plan rief. Das Verbot von LSD in den USA 1966 und die Einstufung als nicht verkehrsfähiger Stoff in Deutschland 1971 brachten die Forschung mit LSD-haltigen Therapeutika zum Erliegen. Gleichzeitig wurden Psychedelika von der UN als sogenannte „Schedule I Drugs“ klassifiziert. Derart eingestuften Stoffen wird ein hohes Gefahrenpotenzial sowie keinerlei medizinischer Nutzen beigemessen. Diese noch heute gültige Einordnung macht die Forschung mit Psychedelika besonders schwierig.

LSD gegen Depressionen bei Krebs

Trotzdem gibt es inzwischen immer mehr wissenschaftlich einwandfreie Studien zum medizinischen Potenzial von Psychedelika. Das Schweizer Gesundheitsministerium erlaubte dem Psychiater Peter Gasser 2007, eine Pilotstudie an Patienten durchzuführen, die unheilbar an Krebs erkrankt waren und an Angstsymptomen litten. Er kombinierte eine Gesprächstherapie mit zwei ganztägigen Sitzungen, bei denen zwei Drittel der Patienten eine definierte Dosis LSD erhielt, der Rest ein Placebo. Gasser betreute die Probanden für die komplette Wirkdauer von etwa acht Stunden. Am Ende der Therapie hatten diejenigen Teilnehmer, die LSD erhalten hatten, weniger Angst und depressive Symptome als die Kontrollgruppe – Effekte, die bis zu einem Jahr anhielten. Ernsthafte Nebenwirkungen traten dabei nicht auf.

Obwohl die Studie mit nur 12 Patienten noch zu klein war, um repräsentativ zu sein, war sie doch ein Hinweis darauf, dass sich weitere Forschung mit Psychedelika lohnen könnte. Im April dieses Jahres wurde Gasser eine neue Studie mit 40 Probanden bewilligt, die noch bis 2021 läuft. Anders als die Ayahuasca-Zeremonien der Schamanen in Brandenburg produzieren Gassers Untersuchungen belastbares Wissen über die positiven und negativen Wirkungen von psychedelischen Drogen.

Psychedelika-Forschung an Patienten bald in Berlin?

In Deutschland hat es seit Jahrzehnten keine Forschung mit Psychedelika an Patienten gegeben. Die bürokratische Hürde ist hoch, die Skepsis der Öffentlichkeit groß. Der Präventionsforscher Henrik Jungaberle setzt sich dafür ein, dass die positiven Wirkungen der Substanzen auch hierzulande besser untersucht werden. Bald könnte es tatsächlich so weit sein. „Es gibt derzeit Überlegungen, in Berlin therapeutische Studien mit Psychedelika durchzuführen.“ Mehr könne er noch nicht sagen. Dafür sei das Thema immer noch zu heikel.

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