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Verlierer heute, Sieger morgen: Wenn die Stimmung mal in den Keller geht, muss das nicht immer von Nachteil sein.
© imago/osnapix/Titgemeyer

Emotionsforschung: Die Tugenden der Traurigkeit

Ein australischer Forscher erklärt, warum es ein glücklicher Umstand ist, nicht immer glücklich zu sein.

Wer wollte nicht lieber heiter und hoffnungsvoll durchs Leben gehen als miesepetrig und pessimistisch? Der Mensch strebt danach, zufrieden, vielleicht sogar glücklich zu sein. Was uns selbst am liebsten wäre, wird uns seit einigen Jahren in Ratgebern, aber auch als Aufgabe verkauft, an der wir arbeiten sollten: Denk positiv! Wem das gelingt, so ist immer wieder zu lesen, der bleibt auch gesund (oder wird es nach einer schweren Krankheit schneller wieder), der ersinnt kreativere Problemlösungen, handelt flexibler, wirkt attraktiver, verdient mehr Geld und ist bei seinen Mitmenschen beliebter. Umgekehrt setzen niedergedrückte Stimmung und Selbstzweifel einen Teufelskreis in Gang.

Traurigkeit ist eine Basis-Emotion

Der Psychologe Joseph Paul Forgas von der Universität im australischen New South Wales wirkt wie ein durchaus freundlicher, gut gelaunter älterer Herr. Sein ganzes Forscherleben hat er jedoch der Frage nach dem Nutzen der schlechten Stimmung gewidmet. Wenn negative Gefühle so katastrophale Auswirkungen haben, so seine Ausgangsfrage, warum sind sie dann so allgegenwärtig? Warum ist der Mensch Stimmungsschwankungen unterworfen? Warum sind unter den sechs „Basis-Emotionen“, die Psychologen im Gefolge des Emotionsforschers Paul Ekman unterscheiden, die unangenehmen gar gleich zu viert vertreten – als Furcht, Ekel, Wut und Traurigkeit?

Dass Furcht und Ekel uns vor Gefahren bewahren, dass Wut und Ärger notwendige Auseinandersetzungen beflügeln und uns helfen, uns im Kampf gegen andere zu behaupten, leuchtet unmittelbar ein. Aber die Traurigkeit? Dagegen, dass auch sie nützlich sein könnte, sträubt sich zunächst die Intuition. „Von den evolutionären Vorteilen des Nicht-zu-Glücklich-Seins“, so betitelte Forgas vor einigen Jahren jedoch ein Buchkapitel, in dem er seine Forschung zusammenfasste. In guter Stimmung zu sein, habe unbestreitbar viele Vorteile, „doch es ist nicht uneingeschränkt wünschenswert“, so schreibt er nun in der aktuellen Ausgabe des Magazins „The Conversation“.

Gute Laune macht leichtgläubiger

Forgas kann das mit Forschungsergebnissen belegen. Zum Beispiel hat seine Arbeitsgruppe in einer 2008 erschienenen Studie gezeigt, dass Menschen leichtgläubiger und gegenüber Berichten anderer unkritischer werden, wenn sie sich in besonders guter Stimmung befinden. Eine etwas gedrücktere Seelenlage macht aber nicht nur kritischer und skeptischer, sie scheint sich auch auf das Gedächtnis positiv auszuwirken. 2016 belegten die Psychologen gar, dass schlechtes Wetter die Gedächtnisleistung verbessert.

Die Stimmung entscheidet womöglich auch darüber mit, wie gut wir uns als Augenzeugen an Straftaten erinnern. In einem Experiment des Forscherteams wurden Versuchspersonen zunächst durch lustige oder traurige Kurzfilme in ihrer Stimmung beeinflusst. Anschließend wurden ihnen – mit der Behauptung, nun beginne ein neues Experiment – Filme gezeigt, in denen es um Unfälle oder Diebstähle ging. Bei den darauf folgenden Befragungen erinnerten sich diejenigen Probanden, die in eher heiterer Laune waren, schlechter an Einzelheiten und ließen sich stärker durch Suggestivfragen beeinflussen. Selbstbewusst glaubten sie sich häufiger an Details zu erinnern, die im Film gar nicht vorgekommen waren.

Wer traurig ist, kommuniziert besser

Dass Menschen sich in leicht niedergedrückter Stimmung weniger von den Einflüsterungen anderer beeinflussen lassen, erstaunt bei näherer Betrachtung eigentlich nicht. Schließlich kennen wir das alle von den vergeblichen Versuchen her, andere aufzuheitern, wenn sie traurig sind. Auch dass es eine Art von unerschütterlichem, unkritischem, von Situationen und Argumenten nicht zu beeindruckendem Optimismus gibt, der an Dummheit grenzt, ist keine Neuigkeit.

Schon der Dramatiker Gotthold Ephraim Lessing stellte in seinem Trauerspiel „Emilia Galotti“ fest: „Wer über gewisse Dinge den Verstand nicht verliert, der hat keinen zu verlieren.“ In seiner „Streitschrift gegen positives Denken“ mit dem Titel „Miese Stimmung“ machte der Heidelberger Arzt und Psychotherapeut Arnold Retzer vor einigen Jahren sogar die kategorische Aussage: „Hoffnung lässt sich meist nur erzeugen und vor allem aufrechterhalten, wenn man selbst erheblich unter seinem Niveau bleibt.“ Allerdings sollte man meinen, dass positiver denkende Mitmenschen dafür wenigstens unterhaltsamer sind. Ausgesprochen verblüffend ist deshalb ein anderes Ergebnis von Forgas’ Forschungsarbeit: Wer von leichter Traurigkeit befallen ist, kommuniziert auch besser mit anderen.

In einer Studie, die 2013 im „European Journal of Social Psychology“ veröffentlicht wurde, schauten sich 98 Probanden eine Filmszene an, in der ein Paar in dichter Folge miteinander flirtete und stritt. Kurz vor oder kurz nach dieser Vorführung hatten die Forscher die Teilnehmer in unterschiedliche Stimmungen versetzt. Anschließend erzählten sie alle, was sie gesehen hatten. Unabhängige Beurteiler schätzten später anhand von Aufzeichnungen die Qualität dieser Nacherzählungen ein. Ergebnis: Menschen in leicht gedrückter Stimmung richten sich beim Erzählen eher nach den Bedürfnissen der Zuhörer, sie wiederholen sich weniger, sind weniger weitschweifig, bringen mehr wichtige Informationen in kürzerer Zeit unter.

Der Begriff Depression ist zu schnell bei der Hand

Weitere Experimente belegten, dass dieser Vorsprung in der Kommunikationsfähigkeit sich auch auf das überzeugende Vertreten von Argumenten in Debatten erstreckte. Die Psychologen führen das darauf zurück, dass die leicht negative Stimmung zu einem aufmerksameren und detailgetreueren Denkstil führe. Interessanterweise war bei Versuchspersonen in dieser Stimmungslage aber die Motivation zum Erzählen und Argumentieren nicht gedämpft. Das passt zu der alten Beobachtung, das Melancholie und künstlerische Produktivität ein gutes Paar sein können.

Spätestens an diesem Punkt muss gesagt werden: Das, was Forscher hier als „bad mood“ bezeichnen, unterscheidet sich nicht nur von der gefürchteten „schlechten Laune“, die man ungebremst an den armen eigenen Verwandten, Kollegen und Freunden auslässt. Es unterschiedet sich vor allem deutlich von einer ausgewachsenen, behandlungsbedürftigen Depression, die auch auf die Motivation verheerende Auswirkungen hat und Betroffene still und apathisch machen kann.

Allerdings ist Forgas überzeugt, dass wir heute mit dem Begriff Depression zu schnell bei der Hand sind: „In unserer Kultur werden normale menschliche Emotionen wie vorübergehende Traurigkeit oft als krankhafte Störungen behandelt.“ Dabei gibt es eigentlich Kriterien, um beides voneinander zu unterscheiden.

Ausgerechnet die unnachgiebige Suche nach dem Glück könnte aber das Zeug dazu haben, uns unzufrieden und unglücklich zu machen. „Indem wir das Glück in den Himmel heben und die Tugenden der Traurigkeit leugnen, setzen wir uns selbst ein unerreichbares Ziel“, meint Forgas. Dass wir manches besser können, wenn wir gerade nicht so gut drauf sind, ist dabei ein tröstlicher Gedanke.

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