Er könnte heute noch leben: Der tragische Unfalltod des Kosmonauten Walentin Bondarenko
Verbrannt für Sozialismus und Vaterland: Vor 60 Jahren wurde ein 24-jähriger junger Vater eines der ersten Opfer des Wettlaufs ins All.
Der zehnte Tag Isolation geht zu Ende. Walentin Bondarenko zupft die Elektroden von seiner Haut, mit denen die Körperfunktionen überwacht werden. Er gehört zur „Kosmonautengruppe Nr. 1“, den zwanzig für Flüge mit Wostok-Raumschiffen ausgewählten Piloten.
An diesem 23. März 1961 ist noch keiner geflogen, aber drei sind bereits am Startplatz Baikonur – darunter Juri Gagarin, der drei Wochen später als erster Mensch in den Weltraum starten wird.
Bondarenko, mit 24 Jahren der jüngste aus der Gruppe, befindet sich noch im Moskauer Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin. In einer Druckkabine absolviert er ein Trainingsprogramm. Nachdem er zu Dienstende die Sensoren abgezupft hat, wischt er die betreffenden Stellen mit einem alkoholgetränkten Wattebausch ab, wirft diesen dann zum Abfalleimer. Er trifft nicht.
Watte, Alkohol, ein Funke - und viel Sauerstoff
Der Bausch landet auf einer elektrischen Heizplatte, auf der Teewasser steht. Er fängt Feuer. Bondarenko versucht, die Flammen mit dem Ärmel seiner wollenen Kleidung zu ersticken. Doch die Kammer enthält mindestens 50 Prozent Sauerstoff. Der junge Mann steht sehr schnell komplett in Flammen.
Wegen des Druckunterschieds dauert es fast eine halbe Stunde, bis sich die Tür öffnen lässt und Hilfe kommt. Bondarenko wird mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht. Einer der behandelnden Ärzte berichtet Jahre später, dass es nirgends gelang, einen venösen Zugang zu legen. Erst an den Fußsohlen – sie waren dank der Schuhe vor den Flammen geschützt – fand er dafür geeignete Blutgefäße. Dem angehenden Kosmonauten ist nicht mehr zu helfen. Wenige Stunden später stirbt Bondarenko.
Triumphe für die Welt, Tragödien für den Tresor
Es ist nicht die einzige Tragödie, die sich in den Pioniertagen der Raumfahrt ereignet. Die Männer – und wenigen Frauen – arbeiten am Limit von Mensch und Technik, auf ausgeklügelte Simulationsprogramme, wie sie heute üblich sind, müssen sie weitgehend verzichten. Dazu kommt der Druck der Politik, schneller zu sein als die Konkurrenz – in den USA beziehungsweise der Sowjetunion. Und der eigene Ehrgeiz. Wenn am Ende alles gut geht, wird gejubelt und triumphiert. Rückschläge werden, wenn möglich, verschwiegen. Vor allem auf sowjetischer Seite war genau das auch meist sehr einfach.
So war es auch im Fall Bondarenko. Der Unfall wurde erst zu Glasnost-Zeiten in den Achtzigerjahren von der Regierungszeitung „Iswestija“ öffentlich gemacht. „Erst mit der Gorbatschow-Ära wurden mehr Informationen über die Raumfahrt bekannt, die zuvor als großes Geheimnis galten“, erinnert sich der Raumfahrtjournalist Gerhard Kowalski. Davor waren nicht nur die Verantwortlichen verschlossen, sondern auch viele Menschen im Land. Das habe er oft während seiner Recherchen erlebt. „Die Sowjetbürger wurden so erzogen, dass sie nichts verraten sollten, was möglicherweise einen Schaden für das sozialistische Vaterland bedeuten könnte. Wer es dennoch tat, galt als Staatsfeind.“ Diese Haltung habe sich vielfach erhalten, sagt Kowalski. Kosmonauten, mit denen er seit Jahrzehnten in Kontakt stehe, würden bis heute kaum über Einzelheiten jenseits der Erfolgsgeschichten sprechen.
Frau und Kind im Sternenstädchen
Wurde das Schicksal Bondarenkos jahrelang verschwiegen, so ist mittlerweile bekannt, dass er noch im Krankenhaus gesagt haben soll: „Ich bin selbst schuld, macht niemanden dafür verantwortlich!“ Im Abschlussbericht zu dem Unfall werden aber schwerwiegende Versäumnisse des Instituts kritisiert und gefordert, die Sicherheitsvorkehrung unverzüglich zu verbessern. Bondarenko wurde in seiner Heimatstadt Charkiw, heute Ukraine, beerdigt. Seine Frau und sein Sohn mussten auf Weisung des Verteidigungsministeriums im „Sternenstädtchen“, der Kosmonauten-Siedlung nahe Moskau, bleiben, schreibt Kowalski in seinem Buch „Die Gagarin-Story“. Erst 1991 sei der Befehl ergangen, die Familie wie die eines Kosmonauten zu behandeln. Das hieß, dass ihr die gleichen Privilegien zustanden, wie allen Angehörigen von Raumfahrern nach deren Rückkehr aus dem All.
Zahlreiche weitere Menschen verloren ihr Leben im „Space Race“. Wladimir Komarow etwa, der im April 1967 mit „Sojus-1“ startete, starb bei der Landung. Probleme mit dem Fallschirm waren der Grund, die Kapsel schlug hart in der Steppe auf. Vier Jahre später sind Georgi Dobrowolski, Wladislaw Wolkow und Wiktor Pazajew mit „Sojus-11“ im All. nach dem Umstieg ins Rückkehrmodul öffnet sich ein Ventil, die Atemluft entweicht. Die Kapsel landet planmäßig, die drei Männer sind tot. Erstickt. Sie sind bis heute die letzten Kosmonauten, die bei einem Raumflug getötet wurden.
Feuergrab "Apollo 1"
Auch die Amerikaner verzeichnen tödliche Unfälle später. Bei einer Routineübung in der ersten Apollo-Kapsel am 27. Januar 1967 bricht ein Feuer aus. Viele Faktoren kommen zusammen – von hohem Sauerstoffgehalt über Mängel wie ungeeignete Kabelisolierungen und anfällige Lötverbindungen des Kühlsystems bis zu Raumanzügen aus leicht entflammbarem Nylon. Die drei für die AS-204 genannte, später zu "Apollo 1" umgewidmete Mission eingeplanten Astronauten Edward White, Virgil Grissom und Roger Chaffee starben. Danach wurden viele Details geändert und die Sicherheitsvorkehrungen für Tests erhöht.
Lange Zeit blieb dann die US-Raumfahrt von schweren Unfällen verschont, bis zur Explosion des Space Shuttles „Challenger“ am 28. Januar 1986 kurz nach dem Start. Am 1. Februar 2003 stürzte Shuttle „Columbia“ bei der Rückkehr zur Erde ab. 14 Astronautinnen und Astronauten kamen in den beiden Raumfähren ums Leben.
Das bislang letzte Todesopfer ist das erste der privaten Raumfahrt
Zu den Opfern zählen auch viele, die nie selbst ins All sollten. Der letzte größere solche Unfall 2003 tötete 21 Techniker des brasilianischen Raumfahrtprogrammes bei einer Raketenexplosion. Das bislang letzte Todesopfer war einer der Pioniere der privaten Raumfahrt. Der Virgin-Galactic-Testpilot Mike Alsbury starb vor sechs Jahren bei einem Absturz.
Auch wenn Technik und Sicherheitsvorkehrungen beständig verbessert werden, so sind Flüge ins All nach wie vor riskant. Unfälle, wenn auch keinen tödlichen, hat es auch in jüngster Zeit gegeben.
Es wird riskant bleiben, das All ist lebensfeindlich, Raketentreibstoff explosiv, der Wiedereintritt in die Erdatmosphäre glühend heiß. In diesem Bewusstsein trainieren Männer und Frauen in ihrer Raumfahrer-Ausbildung. Es ist stets präsent, denn viele der Übungen sind solche, in denen potenziell lebensgefährliche Probleme zu lösen sind. „Beim Flug ins All, aber auch auf der Internationalen Raumstation, kann immer etwas passieren, da muss jeder genau wissen, was zu tun ist“, sagte Alexander Gerst einmal. Und dass er es trotz aller Gefahren keine Sekunde bereut habe, Astronaut geworden zu sein.
Ein solches Resümee zu ziehen war Walentin Bondarenko nicht vergönnt. Er könnte heute noch leben, im Februar wäre er 84 Jahre alt geworden.