Nobelpreis-Viewing an der Charité: Berliner Mediziner freuen sich über einen „Volltreffer“
Nobelpreis für Grundlagenforschung: Charité-Ärzte sehen die Entscheidung beim „Nobel Viewing“ positiv - auch wenn der Preis wieder nicht nach Berlin ging.
Als die führenden Mediziner Berlins am Montag im Auditorium der Charité zum „Nobel Viewing“ zusammenkommen, liegt vor allem ein Name in der Luft: Emmanuelle Charpentier. Die französische Mikrobiologin, die seit 2015 Direktorin am Berliner Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie ist, ist eine der Entwicklerinnen der Genschere „Crispr“, mit der sich DNA gezielt schneiden und verändern lässt.
Für diese Entdeckung wird Charpentier seit Jahren als Kandidatin für den Medizin-Nobelpreis gehandelt. Auch vor Beginn des Livestreamings von der Bekanntgabe in Stockholm wird sie von ihren Berliner Kollegen als mögliche – und unbedingt wünschenswerte – Gewinnerin genannt.
Um kurz nach halb zwölf aber ist klar: Der Preis geht nicht nach Berlin. Stattdessen werden die US-Forscher William Kaelin und Gregg Semenza sowie der Brite Peter Ratcliffe ausgezeichnet für die Entdeckung molekularer Mechanismen, mit denen Zellen den Sauerstoffgehalt wahrnehmen. Enttäuschung ist im Saal nicht zu spüren – im Gegenteil.
Belohnung nach Jahrzehnten von Forschung
So freut sich Ivar Roots, Vorsitzender der Berliner Medizinischen Gesellschaft, über einen „Volltreffer des Nobelpreiskomitees“. Mit dem Preis würde die Entdeckung eines sehr allgemeinen Prinzips gewürdigt, das für viele biochemischen Vorgänge in der Zelle von extremer Bedeutung sei. „Investition in die Grundlagenforschung ist immer eine Investition in die Zukunft“, sagt Roots dem Tagesspiegel. Seit Jahrzehnten hätten die Forscher auf diesem Gebiet geforscht, nun würden sie belohnt.
Auch Reinhold Kreutz, Direktor des Instituts für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité, ist zufrieden mit der Entscheidung. Als Pharmakologe sei er besonders an der potenziellen Anwendung interessiert. Die Entdeckung von Kaelin, Semenza und Ratcliffe habe bereits zu der Entwicklung von Arzneimitteln geführt, die kurz vor der Zulassung stehen. Darunter seien Tabletten gegen Blutarmut, die unter anderem Menschen mit chronischer Nierenerkrankung helfen können.
Die Berlin University Alliance als Chance
Die Entdeckung könnte auch für die Heilung altersbedingter Makuladegeneration eine Rolle spielen, die bei vielen Menschen zur Erblindung führt. Das merkt Michael Foerster an, Chefarzt für Augenheilkunde und Vorstandsmitglied der Berliner Medizinischen Gesellschaft. Da Aderhaut und Netzhaut sauerstoffreguliert sind, könnten sich hier neue Therapiemöglichkeiten ergeben.
Detlev Ganten, Präsident der internationalen Konferenz „World Health Summit“ und Gründer des Berliner Max-Delbrück-Centrums für molekulare Medizin, freut sich über einen „tollen Preis“. Die Erforschung der molekularen Mechanismen habe weitreichende Folgen. Sauerstoff werde in jeder Zelle gebraucht, daher betreffe die Entdeckung alle Organe. Grundlagenforschung wie diese sei die „Medizin der Zukunft“, sagt Ganten. „Wir brauchen eine Medizinforschung, die auf Gesundheit abzielt und nicht auf Krankheit.“
Obwohl Emmanuelle Charpentier den Nobelpreis auch diesmal nicht nach Berlin geholt hat, ist Ganten guter Dinge, was die Wissenschaft in der Hauptstadt betrifft. Er sieht in der Berliner University Alliance, die die Universitätsmedizin mit den drei großen Hochschulen verbindet, eine Chance für eine breite, interdisziplinäre Forschung. Ganz vorbei ist die Hoffnung auf einen Nobelpreis für Charpentier aber noch nicht. Am Mittwoch wird die Auszeichnung für Chemie bekanntgegeben – auch hier hat die Wissenschaftlerin eine Chance.