Chinas weltpolitische Ambitionen: Auf dem Sprung zur globalen Gestaltungsmacht
China weitet seine Präsenz in der Welt konsequent aus – und inszeniert sich selbstbewusst als Alternative zu Trumps USA. Wie das Land um mehr Einfluss kämpft.
Bei seinen öffentlichen Auftritten bemüht Chinas Präsident Xi Jinping in letzter Zeit gerne auch mildes Pathos, um den Anspruch seines Landes auf eine Hauptrolle auf der Weltbühne zu bekräftigen. Eine „Familie des harmonischen Miteinanders der Nationen“ hoffe China zu begründen, sagte er zum Beispiel Mitte Mai vor 29 in Peking zum Seidenstraßen- Forum versammelten Staats- und Regierungschefs. Auch machte er sich stark für „Austausch statt Entfremdung“. Wenn Xi Anfang Juli zuerst zum Staatsbesuch nach Berlin und dann zum G-20-Gipfel in Hamburg anreist, dürfte dieses neue chinesische Selbstbewusstsein wieder in seinen Reden mitschwingen.
Dass China für sich eine zentrale Rolle in der Welt beansprucht, wurzelt tief in der chinesischen Tradition. „Zhongguo“, das Reich der Mitte, heißt das Land auf Chinesisch. Während der chinesischen Kaiserdynastien war mit diesem Selbstverständnis die meiste Zeit keine expansive Außenpolitik verbunden. Die 1949 gegründete Volksrepublik verfolgte unter Mao eine von ideologischen Prämissen geprägte, zeitweilig sprunghafte und mehrfach revidierte Diplomatie.
Dies änderte sich 1978, als Deng Xiaoping die Politik der Reform und Öffnung einleitete. Die intensivierte Zusammenarbeit mit wirtschaftlich und technologisch führenden Ländern der Welt leitete Chinas Außenbeziehungen an. Vier Jahrzehnte später stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob China ein zentraler globaler Akteur wird, sondern nur wann. Und dieser Zeitpunkt ist durch den drastischen Richtungswechsel in der US-Außenpolitik in greifbare Nähe gerückt.
Kann China die internationale Klimapolitik retten?
China hat in den vergangenen Monaten das durch Donald Trump erzeugte Vakuum geschickt genutzt: Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos inszenierte sich Xi als Verteidiger der Globalisierung und einer regelbasierten Weltordnung und als Gegenpol des auf „America First“, also auf Protektionismus und Isolation setzenden US-Präsidenten.
Als Trump jüngst das Pariser Klimaabkommen aufkündigte, sprang China prompt als Retter des Weltklimas in die Bresche. Sollte das Land, das noch 2009 maßgeblich zum Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels beitrug, ausgerechnet über das Thema Umwelt zu der zentralen Rolle in der Weltpolitik finden, die es spätestens seit Beginn dieses Jahrhunderts aktiv anstrebt? Die Chancen dafür stehen nicht schlecht – auch aus Mangel an Alternativen.
Chinas Wille, sich als starke, Gegensätze überwindende Kraft zu positionieren, wird nicht nur in der Klimapolitik deutlich. Noch stärker zeigt sich das in einer mittlerweile fast den gesamten Globus umspannenden Außenwirtschaftspolitik. Allein in den vergangenen zwölf Jahren hat sich Chinas Außenhandel mehr als verzehnfacht. 2016 exportierte das Land Waren im Wert von mehr als zwei Billionen US-Dollar, die Importe erreichen eine Höhe von fast 1,6 Billionen Dollar.
China will ein neues Handelsnetz zwischen Asien und Europa spannen
Da sich das Wirtschaftswachstum im Inland seit Jahren verlangsamt – derzeit hat es sich um 6,7 Prozent eingependelt – schaut die Regierung auf der Suche nach Märkten und Investitionen in die Nachbarschaft und auch auf andere Kontinente: Im Rahmen der riesigen Infrastruktur-Initiative „Neue Seidenstraße“ hat China Investitionen von mehr als 900 Milliarden Dollar angekündigt.
Geplant ist ein Netz von Handelskorridoren, das etwa 100 Länder über Land und Meer verbindet, von zentral- und südasiatischen Nachbarn wie der Mongolei, Pakistan und Sri Lanka bis zu Griechenland, Ungarn und Dschibuti. Chinesische Firmen bauen dort Straßen, Schienenwege, Stromleitungen, aber auch Häfen und Industrieanlagen. Güterzüge sollen über tausende Kilometer China mit Europa verbinden, über die Maritime Seidenstraße sollen Containerschiffe bis in den Hafen von Piräus fahren, der seit April mehrheitlich der chinesischen Reederei Cosco gehört.
Auch in Afrika und Südamerika investiert China Milliardenbeträge. Anfang Juni wurde in Kenia feierlich eine von China finanzierte, fast etwa 470 Kilometer lange Eisenbahnstrecke von Mombasa an der Küste nach Nairobi im Landesinneren eingeweiht. Weitere sind in Bau. Chinesische Firmen sind schon lange auf dem Kontinent präsent, seit 2009 ist China größter Handelspartner Afrikas. Grund für das Engagement ist auch der hohe Rohstoffbedarf: Südamerika zum Beispiel ist für China der wichtigste Lieferant von Soja und Kupfer.
In Südostasien baut Peking seinen Einfluss zielstrebig aus
Zur Flankierung seiner außenwirtschaftlichen Aktivitäten hat Peking – unter den kritischen Augen Washingtons – Ende 2015 eine eigene Entwicklungsbank gegründet: die Asiatische Infrastrukturinvestmentbank (AIIB). Damit schafft sich China eigene institutionelle Aktionsmöglichkeiten und versucht parallel dazu über bestehende multilaterale Institutionen wie die Vereinten Nationen seinen politischen Einfluss auszudehnen.
In der eigenen Nachbarschaft, im asiatisch-pazifischen Raum, arbeitet China nicht minder zielstrebig an der Schaffung einer chinesischen Hemisphäre: In militärisch-politischen Konflikten wie dem Territorialstreit im Südchinesischen Meer tritt China kontrolliert aggressiv auf, schickt immer wieder Militärverbände in die Region und setzt den Bau künstlicher Inseln fort. Gerade in Südostasien wirbt Peking in jüngster Zeit besonders energisch darum, die 2013 gestartete Seidenstraßen-Initiative und damit einen auf China fokussierten Ausbau von Handel und Infrastrukturen zu unterstützen.
Den kleineren Mitgliedern der Staatengemeinschaft Asean bleibt kaum eine Wahl, denn schon jetzt sind sie wirtschaftlich stark von China abhängig. Bis 2020 soll das Handelsvolumen der Staatengemeinschaft mit China auf eine Billion US-Dollar angestiegen sein: In der Region ist die Volksrepublik wirtschaftlich bereits heute unangefochtene Vorherrscherin, militärisch und politisch macht sie den USA als bislang wichtigstem Spieler mächtig Konkurrenz.
140 Milliarden Dollar gab das Land allein 2016 für Rüstung aus
Chinas militärische Aktivitäten gehen inzwischen auch über den eigenen Vorhof hinaus: Die Volksbefreiungsarmee, bereits in mehreren UN-Friedensmissionen aktiv, errichtet derzeit im ostafrikanischen Dschibuti die erste chinesische Militärbasis im Ausland. Als Grund nennt China den Kampf gegen Piraterie im Golf von Aden und den notwendigen Schutz chinesischer Bürger und Investitionen vor Terrorismus. Doch auch bei anderen Hafenanlagen, die derzeit von chinesischen Staatsfirmen im Ausland gebaut werden, wird immer wieder über eine mögliche militärische Nutzung gemutmaßt.
China hat noch einen weiten Weg vor sich, um in der globalen Sicherheitspolitik eine ähnlich zentrale Rolle einzunehmen wie als Wirtschaftsmacht. Doch die intensiven Modernisierungsbemühungen der Volksbefreiungsarmee – rund 140 Milliarden Dollar gab das Land allein 2016 für Rüstung aus – sind ein klarer Beleg dafür, dass China auch in diesem Bereich künftig maßgeblich mitspielen will.
Europäische Unternehmen beklagen unfaire Konkurrenz
Die globalen Aktivitäten Chinas fordern die politischen Entscheider in Deutschland und Europa heraus. Denn auch wenn Xi Jinping und Li Keqiang im Rahmen ihrer regen Reisediplomatie der vergangenen Monate ihr Land als Alternative zu den USA in Position gebracht haben: Viele Probleme der beiderseitigen Beziehungen bleiben bestehen.
Deutsche und europäische Unternehmen beklagen weiterhin fehlende Gleichberechtigung auf dem chinesischen Markt sowie unfaire Konkurrenz, etwa durch chinesischen Billigstahl oder andere staatlich subventionierte Industrieprodukte.
Welche Kooperationschancen bietet Chinas globales Engagement?
Auf der Feier der Seidenstraßen-Initiative im Mai in Peking scheiterte eine europäische Unterschrift unter das Abschlussdokument an Zweifeln über Transparenz und der Einhaltung europäischer Sozial-, Ausschreibungs- und Umweltstandards bei der Umsetzung der Projekte. Hinsichtlich des Verständnisses von Rechtsstaat und Bürgerrechten bestehen grundlegende Differenzen mit China.
Im Spannungsfeld zwischen Dissenz, Konkurrenz und Zusammenarbeit mit China müssen die Chancen, die das globale Engagement Chinas bringt, aufmerksam im Blick bleiben. Denn es bieten sich neu entstehende Kooperationschancen: In der von China dominierten AIIB wirkt Deutschland als Gründungsmitglied mit. In Afrika wollen beide Länder künftig bei Entwicklungsprojekten stärker zusammenarbeiten. Von der Seidenstraßen-Initiative wird die deutsche Wirtschaft auf Drittmärkten womöglich stark, wenn auch verzögert profitieren können.
China nutzt neue Techniken auch, um sich im Wettbewerb der politischen Systeme in Stellung zu bringen. Ein Beispiel ist das derzeit mit großer Macht vorangetriebene Gesellschaftliche Bonitätssystem (Social Credit System), mit dem China seine Bürger und die im Lande tätigen Unternehmen einem umfassenden Bewertungs- und Sanktionsregime unterziehen will. Bei diesem gigantischen Freilandexperiment in einem 1,3-Milliarden-Einwohner-Staat kommen vernetzte Techniken des massenhaften Datensammelns in einer nie gekannten Dichte zum Einsatz.
Chinas Anwendung von Big Data wird argwöhnisch betrachtet
China kann in der Anwendung von Big Data zu einem globalen Technologievorreiter werden. Der chinesischen Regierung geht es nach eigener Darstellung darum, in Wirtschaft und Gesellschaft regelkonformes Verhalten zu erzwingen. Attraktiv ist ein so umfassendes Kontrollmodell vor allem für autoritäre Regierungen. Das System, in westlichen Staaten argwöhnisch betrachtet, wird von Chinas Vordenkern als konkrete Chance gesehen, die marktwirtschaftlichen Demokratien des Westens mit Blick auf die politische Gestaltungsfähigkeit und die wirtschaftlich-technologische Wettbewerbsfähigkeit hinter sich zu lassen.
Ausgemacht ist ein Siegeszug des IT-basierten Autoritarismus nach chinesischem Vorbild keineswegs, denn China hat auch große Probleme zu bewältigen: Die Wirtschaft steht seit Jahren unter Abwärtsdruck, das Finanzsystem und ein überhitzter Immobilienmarkt sind äußerst labil. Trotz der hohen Devisenreserven ist die Gesamtverschuldung mit rund 280 Prozent des Bruttoinlandsprodukts eklatant, die finanzielle Lage einiger Provinzregierungen bedrohlich. Chinas aktives „Going out“ auf die internationale Bühne hat auch hier sein tieferes Motiv: Um seinen Bürgern den versprochenen „kleinen Wohlstand“ zu bringen, braucht das Land globale Expansionsmöglichkeiten, die nur durch Kooperation mit möglichst vielen Ländern und Regionen erreichbar sind.
Der Weg an die Weltspitze ist noch lang
Einfach und direkt wird Chinas Weg zur globalen Gestaltungsmacht also nicht sein. Und darin liegt letztlich auch eine Chance. Denn während Chinas Aktivitäten – technologisch, militärisch, wirtschaftlich – global rapide an Bedeutung gewinnen, kann das Land seine Ambitionen, international mitzugestalten und zugleich zu Hause Stabilität und Wachstum sicherzustellen, nur in Zusammenarbeit mit anderen realisieren.
Es wird in Zukunft genauer hinzuschauen sein, wie China die zentrale Rolle, die es beansprucht, mit Leben füllt, ob Anspruch und Wirklichkeit zusammenpassen, und was letztlich überwiegt in der Begegnung mit dem China des 21. Jahrhunderts: Dissenz, Konkurrenz oder Zusammenarbeit.
Der Autor ist Direktor des Mercator Instituts für Chinastudien in Berlin und Professor für Politik und Wirtschaft Chinas an der Universität Trier.
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Sebastian Heilmann