Mercosur-Abkommen, TTIP und Co.: Wie die EU um die Zukunft des freien Handels ringt
Erst standen die Handelsgespräche mit den USA im Fokus, jetzt die mit Südamerika. Welche Verhandlungen führt die EU außerdem?
Der G7-Gipfel kürzlich in Biarritz war für Donald Trump eine gelungene Gelegenheit, seine Agenda voranzutreiben. Und ganz weit oben steht dort der Abschluss bilateraler Handelsabkommen. Mit Japan sei eine Einigung erzielt worden, teilte der US-Präsident stolz mit. Und Großbritannien stellte er nach dessen EU-Austritt einen „sehr großen“ Pakt in Aussicht. Auch mit Blick auf die Gespräche mit der EU schlug Trump versöhnliche Töne an und machte der deutschen Autoindustrie Hoffnung, er wolle möglicherweise doch auf Strafzölle verzichten.
Das Treffen der Regierungschefs in Frankreich hat Bewegung in die Handelsgespräche gebracht. Befeuert von den Bildern des brennenden Regenwaldes in Brasilien rückte auch das geplante Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten wieder in den Mittelpunkt. Parallel laufen aber noch zahlreiche weitere Verhandlungen über Freihandelsabkommen der EU mit Staaten in aller Welt.
Auch die Europäer schützen ihre Wirtschaft
Die Europäer präsentieren sich dabei gerne als Verfechter des Freihandels. Gleichzeitig schützen aber auch sie ihre eigene Wirtschaft mit Strafzöllen vor Billigkonkurrenz aus dem Ausland. Auf Fahrräder und E-Bikes aus verschiedenen asiatischen wie afrikanischen Staaten wird hierzulande zum Beispiel ein Strafzoll in Höhe von bis zu 80 Prozent fällig. Zu groß ist die Angst, dass hiesige Produzenten andernfalls mit den Anbietern aus Asien und Afrika nicht mithalten könnten und vom Markt gedrängt würden. Auch beim Kaffee zeigt sich, wie stark die EU in den internationalen Handel eingreift: Kaffeebohnen nämlich können nur dann ohne Strafzoll importiert werden, wenn sie noch nicht geröstet sind. Deshalb ist es in der Regel günstiger, sie in der EU zu veredeln statt in den Erzeugerländern. Das aber hat Folgen für Länder wie Äthiopien, die besonders viel Kaffee anbauen: Bei ihnen bleibt dadurch nur ein kleiner Teil des Verkaufspreises hängen.
Nicht nur wegen solcher Regelungen stehen Freihandelsabkommen immer wieder in der Kritik. Gerade bei dem mit den USA angestrebten und inzwischen auf Eis gelegten Abkommen TTIP und dem mit Kanada abgeschlossenen Vertrag Ceta sorgten sogenannte Schiedsgerichte für Kritik. Sie – und eben keine nationalen Gerichte – sollten in Streitfällen entscheiden. Dass das mit Japan abgeschlossene Abkommen Jefta nicht zu ähnlichem Protest führte, hing mit einem geschickten Schachzug der Diplomaten zusammen: Die Schiedsgerichte ebenso wie der Investitionsschutz, der das Abkommen zu einem völkerrechtlichen Vertrag gemacht hätte, wurden in ein separates Abkommen verlagert. Dadurch musste Jefta nicht den nationalen Volksvertretungen vorgelegt werden, sondern nur dem EU-Parlament.
Der reguläre Gang eines von der EU initiierten Handelsabkommens läuft indes folgendermaßen ab: Der Rat ermächtigt die Kommission, im Namen der EU ein Abkommen auszuhandeln. Hat man sich mit dem jeweiligen Verhandlungspartnern geeinigt, bekommt der Rat den Vertrag zur Prüfung vorgelegt und nimmt ihn vorläufig an. Am Schluss muss das Abkommen aber noch vom EU-Parlament – und wenn völkerrechtliche Belange berührt werden von den nationalen Parlamenten – angenommen werden.
Ein Überblick über den Stand der Verhandlungen der EU:
Südamerika: Knackpunkt ist die Zerstörung des Regenwalds
Südamerika
Jair Bolsonaro sprach von „großer Freude für unsere Völker“, von einem „historischen Abkommen“. Brasiliens Präsident fiel beim G20-Gipfel in Osaka seinem argentinischen Amtskollegen Mauricio Macri um den Hals, später verkündete man im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron die Rahmendaten des geplanten Freihandelsabkommens zwischen EU und dem südamerikanischen Mercosur-Bund (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay). Mit einem weitgehend zollfreien Markt für 780 Millionen Menschen soll ab etwa 2021 die größte Freihandelszone der Welt entstehen.
91 Prozent der EU-Exporte in die Mercosur-Staaten sollen von Zöllen befreit werden und 92 Prozent der Mercosur-Ausfuhren nach Europa. Bisher fallen zum Beispiel für Autos aus Europa 35 Prozent Zollaufschläge an, für Maschinen bis zu 20 Prozent des Wertes. Die Generaldirektorin Handel bei der EU-Kommission, Sabine Weyand, betont die geostrategische Bedeutung, wo doch für beide Seiten gerade der Handel mit den USA schwieriger geworden ist. Die internationale Ordnung hänge auch in der Handelspolitik „am seidenen Faden“.
Doch am seidenen Faden hängt auch dieses Abkommen, das bis Herbst 2020 unterschriftsreif sein soll – und dann einem Beschluss des Europaparlaments vorläufig in Kraft treten soll, die einzelnen Staaten müssten es noch ratifizieren. Zwar dürfen nur maximal 99 000 Tonnen Rindfleisch aus den Mercosur-Staaten in die EU pro Jahr zollfrei eingeführt werden. Aber die Amazonas-Politik von Bolsonaro ist zum Knackpunkt geworden und hat zu massivem Protest geführt, allen voran von Macron – Frankreich sieht das Abkommen aus Sorge um seinen Agrarsektor ohnehin kritisch. Erst stieg die Regenwaldabholzung, nun stehen wegen der Brandrodungen gewaltige Flächen in Flammen. Vor allem weil versucht wird, weiteres Weide- und Ackerland sich anzueignen – wird der Trend durch das Abkommen nicht noch befördert?
Laut Abkommen muss Bolsonaro aufforsten
Es ist das erste Handelsabkommen der EU, das direkt an die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens gekoppelt worden ist – daher ist das nun eine Frage der Glaubwürdigkeit. Unter dem Druck, das für Brasiliens Wirtschaft so wichtige Abkommen abzuschließen, willigte Bolsonaro in den Regenwaldschutz gemäß der Paris-Ziele ein – er verpflichtet sich, die illegale Abholzung und Rodung des Regenwaldes bis 2030 auf null zurückzufahren und 12 Millionen Hektar Wald wiederaufzuforsten. Denn der Regenwald ist ein entscheidender CO2-Speicher und Feuchtigkeitsspender, ohne ihn kann die Erderwärmung außer Kontrolle geraten.
Doch Weyand muss einräumen, dass es keinen Sanktionsmechanismus gibt, wenn das Abkommen erst einmal unterschrieben ist. Wenn Ziele nicht eingehalten werden, soll das durch Experten-Panels analysiert und im Dialog eine Lösung gefunden werden. Sie verweist darauf, dass auch die Sojaunternehmer in Brasilien inzwischen ein schärferes Vorgehen gegen die Entwaldung fordern – doch ist das nur Taktik, um den Abschluss nicht zu gefährden? Der SPD-Entwicklungspolitiker Sascha Raabe meint, es sei Unsinn, „wenn behauptet wird, dass erst durch den Abschluss des Mercosur-Abkommens Einfluss auf die brasilianische Regierung zum Schutz des Regenwaldes genommen werden kann“, sagt er. „Das Gegenteil ist richtig. Selbst wenn Bolsonaro den gesamten Amazonas zubetonieren würde, würde Brasilien die volle Zollfreiheit für seinen Export behalten.“ Deshalb dürfe die Bundesregierung dem Abkommen nicht zustimmen, solange das Nachhaltigkeitskapitel keine Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen enthalte.
Nordamerika: Vom Chlorhuhn bis zu Strafzöllen
Nordamerika
Autos, Triebwerke, Arzneimittel: Deutsche Firmen exportieren im Jahr Waren im Wert von 113 Milliarden Euro in die USA. Für US-Präsident Donald Trump ist das ein Ärgernis, er sieht die amerikanischen Firmen dadurch im Nachteil.
Doch schon bevor er ins Weiße Haus gezogen ist, haben die Europäer versucht, den Handel mit den Nordamerikanern neu zu regeln. Mit den USA hatten sie eigentlich das Freihandelsabkommen namens TTIP abschließen wollen. Dagegen allerdings sind allein in Deutschland Tausende auf die Straße gegangen. Zu groß war die Angst, durch das Abkommen könnten Sozial-, Umwelt- und Verbraucherstandards absinken. Zum Symbol für diesen Streit wurde das Chlorhühnchen: In den USA werden Hühnchen nach dem Schlachten in Chlor gebadet, um Keime abzutöten. In Europa ist das verboten. Ein vorzeitiges Ende fand die Diskussion dann aber ohnehin mit Trumps Amtsantritt. Denn der hält von Freihandelsabkommen grundsätzlich wenig.
Die EU hat eine Absenkung der Industriezölle angeboten
Inzwischen verhandelt die EU zwar wieder mit den Amerikanern, aber auf einer ganz anderen Basis. TTIP hat die EU im April für „obsolet und nicht mehr relevant“ erklärt. Vorstellen kann man sich in Brüssel nun anderes: Die EU ist bereit, die Zölle auf Industriegüter wie Autos abzubauen. Sie hofft, so Strafzölle der Amerikaner auf Autos aus der EU zu verhindern. Auf einen solchen Deal aber will sich der US-Präsident nicht einlassen. Er besteht darauf, auch über die Absenkung von Agrarzöllen zu sprechen. Das aber lehnen die Europäer ab.
Mit Kanada dagegen hat sich die EU bereits auf ein Freihandelsabkommen verständigt. Doch obwohl Ceta schon seit 2017 steht, ist es bislang nur vorläufig in Kraft. Noch immer haben nicht alle EU-Staaten das Abkommen ratifiziert, auch Deutschland nicht. Offen ist nämlich, wie künftig der Streit zwischen Investoren und Staaten beigelegt werden soll. Im Zuge von Ceta soll dafür ein neuer, multilateraler Investitionsgerichtshof geschaffen werden. Kritiker jedoch fürchten, dass es Konzernen über diesen Klageweg gelingen könnte, Umwelt- und Sozialstandards abzusenken. Der Europäische Gerichtshof (EuGh) hat den umstrittenen Investitionsschutz zwar als mit EU-Recht vereinbar erklärt. Nach der Sommerpause aber muss sich das Bundesverfassungsgericht noch einmal mit Ceta befassen.
Asien: Die meisten Verhandlungen stagnieren
Asien
Nicht nur für Donald Trump, auch für die EU steht der Handel mit China im Mittelpunkt. Und auch wenn Brüssel die Verhandlungen über ein Investitionsabkommen mit der Volksrepublik weder auf Twitter noch in der Tonlage des US-Präsidenten führt, ist nach 21 Gesprächsrunden keine Einigung in Sicht. Der seit 2013 anvisierte Vertrag soll die 26 bestehenden Abkommen zwischen der Volksrepublik und den EU-Ländern ersetzen.
Als China im April dieses Jahres Zugeständnisse bei den Themen fairer Handel, Patentschutz und Marktöffnung machte, feierte EU-Ratspräsident Donald Tusk das als „Durchbruch“. Angesichts der Auseinandersetzungen um Hongkong und des geplanten Scoring-Systems, dem sich auch ausländische Firmen in China unterwerfen müssen, dürften die nächsten Verhandlungen allerdings nicht leichter werden.
Mit Japan hingegen ist seit Februar 2019 ein Freihandelsabkommen in Kraft getreten. Es „beseitigt die überwiegende Mehrheit der von den europäischen Unternehmen gezahlten Zölle, die jährlich bis zu einer Milliarde Euro ausmachen“, heißt es dazu von der EU-Kommission. Als größter EU-Handelspartner Japans profitiert gerade auch Deutschland davon. Das Handelsvolumen zwischen beiden Ländern ist seit 2009 stetig gewachsen und betrug 2017 rund 42,4 Milliarden Euro.
Mit Indien wird es so schnell kein Abkommen geben
Bei den Verhandlungen mit Indien herrscht allerdings seit 2013 Stillstand. Sechs Jahre lang hatte man über ein Freihandelsabkommen mit der drittgrößten Volkswirtschaft des Kontinents verhandelt, sich dann aber noch nicht einmal auf den Umfang des Vertrages einigen können.
Mit dem Asean-Verbund südostasiatischer Staaten wollte die EU 2007 ein Handelsabkommen ins Leben rufen, zwei Jahre später schwenkte man auf bilaterale Verträge um. Mit Singapur steht man nun kurz vor der Unterschrift, zu einem Abschluss führten bislang aber nur die Gespräche mit Vietnam. Neben Handelsförderung beinhaltet das Abkommen auch ein Verbot von Kinderarbeit und eine Zusage zur Umsetzung des Pariser Klimaschutzabkommens. Während die EU in Malaysia und Thailand erst die politische Entwicklung abwarten will, sind mit Indonesien weitere Gespräche geplant. In Zentralasien ist von Freihandelsabkommen derzeit keine Rede.
Ozeanien: Mehr Handel als Signal an Trump
Ozeanien
Aus Neuseeland importiert die EU Schaffleisch, Kiwis und Äpfel, aus Australien kommen seltene Erden und Wein. Im Vergleich zu anderen Handelspartnern spielen beide Länder aus europäischer Sicht zwar eine eher untergeordnete Rolle, doch der Handel mit ihnen wächst. Zwischen 2007 und 2017 hat der Wert der Waren, den die EU jährlich mit Australien austauscht, um 28 Prozent zugelegt. Im Fall von Neuseeland liegt das Plus sogar bei 46 Prozent.
Dazu kommt, dass Europäer, Australier und Neuseeländer mit ihrer stärkeren Zusammenarbeit ein Signal an Donald Trump senden wollen: nämlich, dass ein stärkerer internationaler Handel auch ohne die USA möglich ist.
Australien und Neuseeland haben zuvor große Hoffnungen auf die Transpazifische Partnerschaft (TPP) gesetzt: ein Freihandelsabkommen, das sie und andere Staaten mit den USA hatten schließen wollen. Trump aber hatte TPP bereits im Wahlkampf als „Jobkiller“ bezeichnet. Als eine seiner ersten Amtshandlungen erklärte er dann auch den Ausstieg der USA aus dem bereits verhandelten Abkommen.
Afrika: Der Freihandel existiert nur auf dem Papier
Afrika
Das Netz der Handelsabkommen der EU in Afrika ist kleinteilig. Aus Sicht Brüssels zu kleinteilig, denn im vergangenen Jahr kündigte der damalige Kommissionschef Jean-Claude Juncker noch an, vom „Geber-und-Nehmer-Verhältnis“ wegzukommen und ein umfassendes Freihandelsabkommen mit möglichst vielen Ländern des Kontinents abzuschließen. Die EU ist auch deshalb unter Druck, weil China massiv in Afrika investiert und so ganze Länder finanziell an sich bindet.
Aktuell ist man von einem umfassenden Abkommen allerdings noch weit entfernt. Grundsätzlich gilt das Cotonou-Abkommens, das seit dem Jahr 2000 in Kraft ist und den Handel der EU mit den Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifiks (AKP) regelt. Konkret bedeutet das, dass Brüssel mit einzelnen afrikanischen Ländern sogenannte Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) unterhält. So hat beispielsweise Kamerun seinen Markt seit 2014 für die EU geöffnet und exportiert seitdem unter anderem Erdölprodukte, Aluminium, Holz oder auch Agrarerzeugnisse wie Kakao, Kaffee oder Kautschuk. Auch andere Länder wie Marokko, Tunesien, Südafrika, Namibia oder Ghana haben bilaterale Abkommen mit Brüssel abgeschlossen. Seit 2001 ist zudem die „Everything but Arms“-Initiative (EBA) gültig: Jedes Wirtschaftsgut außer Waffen darf aus den 50 ärmsten Ländern der Welt zoll- und quotenfrei in die EU eingeführt werden. Das betrifft 33 afrikanische Länder.
Experten beklagen deshalb, dass nicht Zölle dem fairen Handel im Weg stehen, sondern ungleicher Wettbewerb und die Bürokratie Brüssels, die den Zugang zum europäischen Markt praktisch unmöglich machen. Ohne Zölle fehlten den Staaten zudem wichtige Einnahmen. Mehrere Entwicklungshilfeorganisationen forderten daher 2018, „die zwangsweise Öffnung afrikanischer Märkte“ auszusetzen.