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Die Südamerikaner kommen. Die Landwirtschaft ist wettbewerbsfähiger als in der EU.
© REUTERS

Abkommen mit südamerikanischem Staatenbund: Was das Freihandelsabkommen für die EU bedeutet

Die EU und der südamerikanische Staatenbund Mercosur schaffen die weltgrößte Freihandelszone. Ist das Segen oder Fluch? Fragen und Antworten zum Thema.

Beim G-20-Gipfel in Osaka war Donald Trump mal wieder Chef im Ring. Fast wäre am Widerstand des US-Präsidenten gegen die Aufnahme des Klimathemas das Abschlusskommuniqué der Gipfel gescheitert. Er macht auch beim Thema Handel mit Schutzzöllen sein eigenes Ding. Die G20 sind in einer schweren Krise und schaffen nur noch minimale Fortschritte – aber zugleich führt Trumps Politik dazu, dass sich neue Fenster der Möglichkeiten ergeben.

So ist aus deutscher und europäischer Sicht das wichtigste Ergebnis ein am Rande geschlossenes Abkommen, für das auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) seit Jahren kämpft. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker spricht von einem „historischen Moment“ – die EU und vier südamerikanische Staaten wollen die größte Freihandelszone der Welt aufbauen.

Was ist geplant?

Die EU und der Staatenbund Mercosur mit Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay wollen einen zollfreien Markt für rund 780 Millionen Menschen schaffen – auch als Antwort auf die neue Handelspolitik der USA. 91 Prozent der EU-Exporte in diese Staaten werden von Zöllen befreit und sogar 92 Prozent der Mercosur-Ausfuhren nach Europa. Bisher fallen zum Beispiel für Autos aus Europa 35 Prozent Zollaufschläge an, für Autoteile 14 bis 18 Prozent, für Maschinen bis zu 20 Prozent des Wertes, für Wein 27 Prozent und für Pfirsiche in Dosen sogar 55 Prozent. Das verteuert die Produkte stark und macht sie weniger wettbewerbsfähig.

Im Rahmen des Abkommens wird der Mercosur sich für 357 regionalspezifische Produkte öffnen und die Marken respektieren – die EU-Staaten wiederum werden traditionelle Regionalbezeichnungen wie den brasilianischen Zuckerrohrschnaps Cachaça oder Mendoza-Wein aus Argentinien achten und diese Produkte nicht kopieren. Bisher werden Waren im Wert von 45 Milliarden Euro in die Mercosur-Staaten exportiert und Waren von dort im Wert von 43 Milliarden Euro in die EU eingeführt.

Warum wird Lateinamerika zunehmend wichtig für die Europäer?

Weil man sich in Zeiten zunehmender Unsicherheit nach neuen Märkten umschaut. Zudem fasst auch China immer stärker in der Region Fuß. Und Lateinamerika ist historisch und kulturell stark mit Europa verbunden. Seit 1999 wird mit Unterbrechungen verhandelt. Dass nun sogar Brasiliens rechter Präsident Jair Bolsonaro den Weg frei macht, hängt damit zusammen, dass das Abkommen als eines auf Augenhöhe angesehen wird – und auch Brasilien braucht neue Märkte.

Zudem gehört Bolsonaros Wirtschaftsminister Paulo Guedes der Schule der sogenannten Chicago Boys an, er hat bei Verfechtern der Lehre freier Märkte wie Milton Friedman in Chicago studiert. Schon bei den ersten und bisher einzigen deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen 2015 stellte Merkel einen Abschluss des Abkommens in das Zentrum. Dass es jetzt klappt, liegt auch an den Wahlen am 27. Oktober in Argentinien. Der liberale Präsident Mauricio Macri muss dringend Erfolge vorweisen. Zudem sieht auch der Mercosur, dass Trump kein fairer Partner ist – er hat erst das Nafta-Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada aufgekündigt und dann neue Konditionen durchgedrückt.

Um den Austausch dauerhaft zu stärken, hat Außenminister Heiko Maas (SPD) im Mai eine große Lateinamerika-Initiative gestartet; er hatte über 20 Außenminister aus der Region zu Gast. Bei Wissenschaft, Klimaschutz, Umwelt, Digitalisierung und Justiz soll die Zusammenarbeit ausgebaut werden.

Wer profitiert in Europa?

Das sind vor allem die Industriekonzerne. Sie müssen bislang hohe Zölle zahlen, wenn sie ihre Waren in die Mercosur-Staaten exportieren wollen. Europäische Konzerne könnten dadurch rund vier Milliarden Euro einsparen. Für deutsche Autobauer wird es sich dann viel eher lohnen, Wagen nach Brasilien oder Argentinien zu verkaufen. Bislang sind die Exporte dorthin sehr gering: Gerade einmal 78 000 Autos haben Europas Hersteller 2018 nach Südamerika verschifft. Um die Zölle zu umgehen, produzieren derzeit viele Hersteller dort: Allein in Brasilien und Argentinien haben deutsche Autobauer und Zulieferer 140 Produktionsstandorte.

Gerade in Brasilien, wo der Automarkt stark wächst, könnten deutsche Hersteller allerdings sehr viel mehr Wagen verkaufen, wenn sie nicht mehr so stark auf die Produktion dort angewiesen sind. Das kann neue Jobs in Deutschland schaffen.

Was sind die Folgen für Landwirte?

Die deutschen Landwirte fürchten, dass die südamerikanischen Bauern ihnen auf ihrem Heimatmarkt Konkurrenz machen. So dürfen die Mercosur-Staaten künftig auch Rindfleisch, Geflügel, Zucker, Ethanol und Honig in großen Mengen zollfrei nach Europa exportieren. In den Verhandlungen war das einer der großen Streitpunkte. Letztlich sind die Mercosur-Staaten dabei auf die Europäer zugegangen. So hatten allen voran Frankreich und Deutschland zum Beispiel darauf gepocht, maximal den Import von 100 000 Tonnen Rindfleisch pro Jahr aus den Mercosur-Staaten zollfrei zu akzeptieren. Geeinigt hat man sich nun auf 99 000 Tonnen.

Die Landwirte machen sich deshalb so große Sorgen, weil der südamerikanische Agrarsektor als sehr wettbewerbsfähig gilt: Landwirte bauen dort auf sehr viel größeren Flächen an und können ihre Produkte auf dem Weltmarkt entsprechend günstig verkaufen. Dazu kommt, dass Landwirte in Europa sehr viel höhere Anforderungen erfüllen müssen, etwa beim Umwelt- und Tierschutz.

Der deutsche Bauernverband sieht deshalb vor allem Familienbetriebe in Gefahr. „Das Abkommen wird die europäischen Landwirte unlauterer Konkurrenz aussetzen“, fürchtet auch die Chefin der französischen Bauerngewerkschaft FNSEA, Christiane Lambert. Sollte es zu Wettbewerbsverzerrungen kommen, könnte für Hilfsgelder bis zu eine Milliarde Euro bereitgestellt werden, versucht EU-Landwirtschaftskommissar Phil Hogan die Sorgen der Bauern zu mindern.

Was heißt das für Verbraucher?

Verbraucherschützer fürchten, dass hierzulande Lebensmittel auf den Markt kommen könnten, die weniger strengen Standards entsprechen. So hat Brasilien zum Beispiel erst vor zwei Jahren einen Gammelfleischskandal erlebt: Verarbeitende Betriebe hatten abgelaufenes Fleisch unter die Ware gemischt – und Lebensmittelkontrolleure bestochen, um dennoch die nötigen Zertifikate zu erhalten. Die EU betont, die strengen Regeln für Lebensmittel-Sicherheit würden auch für dieses Abkommen gelten. Zudem gibt es große Sorgen wegen des massiven Einsatzes von Pestiziden wie dem Glyphosat-Produkt Roundup.

Wer die riesigen Flächen für Rinderzucht und Sojaanbau im Amazonasgebiet besucht, hört dort keine Vögel mehr, Monokulturen überall. Alle 27 EU-Staaten müssen dem Abkommen noch zustimmen. Wie umstritten das Thema Freihandel nicht nur für Trump, sondern auch in Europa ist, zeigt die Debatte um das Ceta-Abkommen mit Kanada. Es ist immer noch nicht komplett ratifiziert und nur zum Teil in Kraft.

Ist der Klimaschutz das Opfer des Abkommens?

Das fürchten viele. Denn Bolsonaro verfolgt eine ökonomische, keine ökologische Agenda im Regenwald. Statt den Amazonas-Regenwald, einer der zentralen CO2-Speicher der Welt und ein Kippelement im Kampf gegen eine unkontrolllierte Erderwärmung, besser zu schützen, steigt die Abholzung weiter an, zwischen 2017 und 2018 wurde eine Fläche fast zehn Mal so groß wie Berlin in Brasilien abgeholzt. Denn um den globalen Bedarf an Soja für Tierfutter und an Rind- und Hühnerfleisch zu stillen, braucht es neue Flächen.

Teil des Abkommens ist ein Bekenntnis zum Weltklimavertrag von Paris und dem Versprechen Brasiliens, die illegale Abholzung bis 2030 auf Null zu fahren und zwölf Millionen Hektar wiederaufzuforsten. Doch ist das Abkommen erst einmal in Kraft, dürfte es kaum wieder gekündigt werden, wenn Brasilien diese Latte im Jahr 2030 reißen sollte.

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