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Vegane Würstchen: Burger, Schnitzel oder Wurst aus Pflanzen liegen im Trend. Der Markt wächst rasant, aber könnte bald an seine Grenzen stoßen.
© mauritius images

Bremst der Rohstoffmangel den Veggie-Boom?: „Was gerade passiert, ist der Wahnsinn“

In den nächsten zwei, drei Jahren könnten alle Hersteller Lieferprobleme bekommen, warnt der Chef der Rügenwalder Mühle, Michael Hähnel.

Veggie-Burger, -Schnitzel oder - Wurst liegen im Trend. Das weiß kaum jemand besser als Michael Hähnel (55), Chef der Rügenwalder Mühle. Das 1834 im pommerschen Rügenwalde gegründete Familienunternehmen ist zwar mit Buletten und Würstchen aus Fleisch groß geworden. Heute macht man aber mehr Umsatz mit den vegetarischen Alternativen. Rügenwalder ist mit einem Marktanteil von 40 Prozent Marktführer bei vegetarischen und veganen Fleischalternativen in Deutschland.

Herr Hähnel, essen Sie noch Fleisch?
Ich bin das, was man einen Flexitarier nennt. Ich esse bewusst weniger Fleisch, aber Veganer oder Vegetarier werde ich nicht werden. Dazu mag ich ein gutes Stück Fleisch einfach zu gern.

Schnitzel vom Schwein sind im Supermarkt billiger als Veggie-Schnitzel. Ist Veggie zu teuer oder Fleisch zu billig?
Den Preis macht der Handel, nicht wir. Aber man kann beide Märkte nicht miteinander vergleichen. Bei der Fleischverarbeitung haben Sie eine hochstandardisierte und effiziente Produktion. Bei vegetarischen/veganen Alternativen ist das anders. Hier sind wir auf die internationalen Rohstoffmärkte angewiesen, und die sind oft sehr eng. Auch das Thema Verarbeitung steckt teilweise noch in den Kinderschuhen. Wir haben uns entschieden, beim Thema Rohstoffe selber einzusteigen und beispielsweise Soja anzubauen, um zu lernen. Rohstoffknappheit führt bei steigender Nachfrage automatisch zu höheren Preisen.

Was wird knapp? Soja, Erbsen?
Alle pflanzlichen Proteine. Bei uns kommt erschwerend hinzu, dass wir großen Wert darauf legen, woher unsere Rohstoffe kommen. Wir kaufen Soja aus Europa und Nordamerika, aber nicht aus Südamerika. Erbsen beziehen alle Hersteller aus Frankreich. Letztes Jahr war es dort aber extrem trocken, die Erträge waren 75 Prozent niedriger als sonst. Das ist die große Herausforderung: Die Märkte legen um 50 bis 70 Prozent zu, viele große internationale Firmen bauen derzeit neue Fabriken und brauchen Material. Alternative Proteine, pflanzliche Rohstoffe werden knapp.

Wie sichern Sie sich Ihre Rohstoffe?
Wir haben langfristige Verträge mit unseren Partnern.

Könnten Sie Ihren Bedarf in Deutschland decken? Erbsen wachsen ja auch hierzulande.
Nein, Deutschland reicht nicht. Soja wächst zwar inzwischen in der Donauregion in Südosteuropa, aber noch nicht in Deutschland. Das größte Problem ist aber die verfehlte Agrarförderung. Die Subventionspolitik basiert auf der Größe der Flächen. Man bekommt Geld für den Acker, aber nicht für das, was man darauf anbaut. Die Politik muss die Förderung so ändern, dass nicht mehr überall Mais und Zuckerrüben produziert werden, sondern auch Erbsen oder Bohnen. Und sie muss die Forschung nach pflanzlichen Alternativen unterstützen.

Michael Hähnel leitet das Familienunternehmen.
Michael Hähnel leitet das Familienunternehmen.
© promo

Wie kompliziert ist es, Soja zum Fleischersatz zu machen?
Sehr anspruchsvoll. Soja hat einen starken Eigengeschmack. Wenn Sie es veredeln wollen, ist das eine Wissenschaft für sich. Wir lernen ständig dazu. Den Markt gibt es ja erst seit zehn Jahren. Und auch Erbse ist nicht gleich Erbse. Man braucht bestimmte Sorten. Das Ganze muss am Ende ja auch schmecken und sich im Mund gut anfühlen. Das ist für die Verbraucher das A und O. Ein Produkt kann noch so nachhaltig sein, wenn es nicht schmeckt, wird es nicht gekauft. Wir entwickeln all unsere Rezepturen selbst.

Werden Ihre Veggie-Würstchen schon diesen Sommer knapp?
Nein, wir haben ja langfristige Verträge, aber in den nächsten zwei, drei Jahren könnten alle Hersteller Lieferprobleme bekommen. Das, was gerade international passiert, ist der Wahnsinn, die Börsengänge, die vielen Start-ups. Die großen multinationalen Konzerne, die kleinen Start-ups und Mittelständler wie wir greifen alle auf dieselben Märkte zu. Der Wettbewerb nimmt zu. Wir haben aber keine Angst vor den großen Konzernen. Am Ende profitiert nicht der Größte, sondern das Unternehmen, das am meisten Vertrauen schafft.

Großes Angebot: Rügenwalder Mühle ist in Deutschland Marktführerin.
Großes Angebot: Rügenwalder Mühle ist in Deutschland Marktführerin.
© imago images/Joerg Boethling

Sie treten gegen Nestlé und Unilever an. Wie wollen Sie sich behaupten? Ist das nicht David gegen Goliath?
Aber in Deutschland sind wir der Goliath. Wir haben einen Marktanteil von 40 Prozent, und wir haben einen Riesenvorteil: Wir haben mit Abstand die stärkste und die beste Marke. Uns gibt es seit 1834. Die rote Mühle ist einzigartig. Wir verbinden Handwerk und Innovation.

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Die großen Konzerne werden sicherlich aufholen, aber wir bewegen uns ja auch. Und jeder neue Wettbewerber bringt neue Kunden, der Markt wird größer, davon profitieren wir alle. Früher gab es eine Spaltung: der gute Veganer und der böse Fleischesser, das ist vorbei. Jeder will essen, was er will. Wir bieten beides und lassen den Menschen die Wahl. Verbraucher wollen nicht erzogen werden, das mögen sie gar nicht.

Rügenwalder kommt aus der Wurstproduktion. Hilft Ihnen das?
Ja. Der Erfolg der vegetarischen Alternativen basiert auf der handwerklichen Kompetenz unserer Fleischer.

Inzwischen machen Sie mehr Umsatz mit Ihren vegetarischen Produkten als mit den fleischhaltigen. Wollen Sie eines Tages aus der Fleischverarbeitung aussteigen?
Nein. Der Bereich ist für unsere Marke wichtig. Das ist unsere Herkunft. Und auch wenn der Veggie-Markt wächst, bleiben Fleisch und Wurst ein Riesensegment. Es wird beides noch lange parallel geben, aber die Gewichtung verschiebt sich hin zum Veggie-Bereich.

Mit und ohne Fleisch: Rügenwalder Mühle will auch in Zukunft zweigleisig fahren.
Mit und ohne Fleisch: Rügenwalder Mühle will auch in Zukunft zweigleisig fahren.
© picture alliance/dpa

Fleisch ist in Verruf geraten. Fleischesser stehen unter Rechtfertigungszwang wegen der Tierhaltung und des Klimas. Profitieren Sie davon?
Das Wachstum der veganen und der vegetarischen Ernährung basiert auf verschiedenen Bereichen. Das ist zum einen die Bevölkerungsentwicklung ……

Inwiefern?
In der Gruppe der 15- bis 29-Jährigen gibt es doppelt so viele Vegetarier und Veganer wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Hinzu kommt eine Bewusstseinsveränderung. Die Menschen möchten gesünder essen, weniger Fleisch, mehr Pflanzen. Und dann haben wir noch den Klimawandel und Corona. Immer mehr Menschen wollen sich nachhaltiger und besser ernähren. Das ist keine Mode mehr, sondern da bewegt sich etwas ganz Grundsätzliches, etwas Großes. Deshalb wollen ja alle Hersteller dabei sein.

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Wie gesund sind eine Veggie-Bulette oder eine vegane Streichwurst? Braucht man nicht unglaublich viele Zusatzstoffe, damit das Soja nach Rind, Schwein oder Huhn schmeckt?
Die Debatten über Ernährung nehmen inzwischen überhand und sind auch teilweise nicht mehr fachlich geführt. Daran beteiligen wir uns nicht. Aber wir haben den CO2-Fußabdruck unserer Produkte untersucht. Und da kann ich Ihnen sagen: Die Fleischwurst hat einen vier Mal höheren Footprint als die vegetarische Alternative. Das hängt mit der Tierhaltung zusammen. Hier ließe sich allerdings vieles verbessern. Die Richtung der Vergangenheit war mehr „Quantität“ und weniger „Qualität“. Die meisten Verbraucher sind leider nicht bereit, mehr Geld für bessere Qualität auszugeben. Alle wollen Bio und Nachhaltigkeit, aber bitte zum Discounterpreis. Das geht aber nicht.

Große Konkurrenz: Auch Nestlé baut den Veggie-Bereich aus.
Große Konkurrenz: Auch Nestlé baut den Veggie-Bereich aus.
© AFP

Wo kaufen Sie von Rügenwalder denn Ihr Fleisch? Beim Bio-Bauern?
Wir haben auch Bio, aber wir bekämen nicht genug Bio-Fleisch, um die gesamte Produktion umzustellen.

Was ist Ihr Bestseller im Veggie-Sortiment?
Die Vegetarischen Mühlen Würstchen sind der Topseller. Aber auch Schnitzel, Cordon Bleu und Nuggets laufen gut, in der Corona-Zeit sind die viel gekauft worden.

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Was sind die Zukunftstrends?
Das verrate ich heute noch nicht. Nur so viel: Wir stellen weitere Produkte auf vegan um. Und Snacks sind ein großes Thema. Die Menschen wollen ja wieder unterwegs sein. Wir schauen uns auch In-Vitro-Fleisch an, also das sogenannte Laborfleisch. Aber ich bin nicht sicher, ob die deutschen Konsumenten für so etwas schon bereit sind.

Viele Ihrer Konkurrenten sind an der Börse, planen Sie für Rügenwalder auch einen Börsengang?
Wir sind ein Familienunternehmen aus Bad Zwischenahn und wollen das auch bleiben. Wir möchten aus eigener Kraft wachsen. Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr – trotz Corona – zweistellig zulegen, das muss man erst einmal verarbeiten.

Auch wenn Sie nicht an die Börse wollen: Werden Sie von Investoren umworben, die mit Ihnen ins Geschäft kommen möchten?
Unsere Telefonnummer ist öffentlich zugänglich, und der eine oder andere wählt sie auch schon mal. Aber wir gehen unseren Weg, in unserem Tempo. Das machen wir seit 1834 und das bleibt auch so.

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