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Soja, Erbsen oder Kichererbsen statt Fleisch: Für Veggie-Burger gibt es unterschiedliche Rezepturen.
© Getty Images/iStockphoto
Update

Streit über vegetarische Ersatzprodukte: Der Veggie-Burger darf bleiben

Das Europaparlament hat entschieden, dass Veggie-Alternativen weiterhin Burger, Schnitzel und Co. heißen dürfen. Verbraucher würden nicht getäuscht.

Er riecht nach Fleisch, und er schmeckt auch so. Leicht rauchig kommt er daher, der Beyond Burger, selbst die körnige Struktur ist dem Rinderhack täuschend echt nachempfunden. Doch statt Fleisch enthält der Burger Erbsen; für die Patties hat kein Tier sterben müssen.

Immer mehr Verbraucher wissen das zu schätzen. Veggie statt Fleisch, das liegt im Trend. Vor allem, wenn das Soja, die Linsen oder die Erbsen in den veganen oder vegetarischen Würstchen, Schnitzeln oder Chicken Nuggets mit Hilfe von Aromen und Zusatzstoffen genauso schmecken und aussehen wie Fleisch. 

Vom wachsenden Kuchen wollen sich nicht nur die Kalifornier von Beyond Meat eine Scheibe abschneiden, auch traditionelle Lebensmittelhersteller wie Nestlé oder Iglo mischen mit, genauso wie der Geflügelhalter Wiesenhof. 

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Rügenwalder Mühle, einst mit Wurst und Frikadellen groß geworden, ist mit seinen veganen Schnitzeln sogar zum Marktführer in Deutschland aufgestiegen. In Deutschland ist das gesamte Veggie-Segment in einem Jahr um 67 Prozent gewachsen.

Das Europaparlament trifft eine wichtige Entscheidung

Doch die Erfolgsgeschichte der Veggie-Burger und -Würste schien in Gefahr. Denn das Europaparlament musste darüber entscheiden, ob die Veggie-Alternativen weiterhin Burger, Schnitzel und Co. heißen dürfen. 

Befeuert von Fleischproduzenten und dem Europäischen Bauernverband verteufeln Kritiker die Fleischersatzprodukte als Verbrauchertäuschung. Von „Trittbrettfahrerei“ spricht der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, Bernhard Krüsken. 

„Ein Marketing, mit dem das Original erst in Verruf gebracht und dann in der Bezeichnung kopiert wird, ist unlauter“, kritisiert Krüsken mit Blick auf die wachsende gesellschaftliche Kritik an Fleischkonsum und Intensivtierhaltung. Doch am Freitag kam die für die Veggie-Produzenten erlösende Nachricht: Der Veggie-Burger darf bleiben, beschlossen die Parlamentarier.

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Milch muss von der Kuh kommen

Selbstverständlich war das nicht. Veggie-Fleischprodukte bewegen sich rechtlich in einer Grauzone, anders als etwa die vegane Milch. Der Begriff „Milch“ ist seit 1987 per EU-Recht geschützt, das sollte die Milchbauern einst vor der Konkurrenz der Margarineproduzenten schützen. 

Milchimitate aus Hafer oder Mandeln dürfen daher nicht als Milch verkauft werden, sie stehen stattdessen als Hafergetränk, Soja- oder Mandeldrink im Regal.

Milch muss von der Kuh kommen. Produkte aus Mandeln oder Soja dürfen nicht als Milch verkauft werden.
Milch muss von der Kuh kommen. Produkte aus Mandeln oder Soja dürfen nicht als Milch verkauft werden.
© picture-alliance/ dpa

Veggie-Burger und -Würste unterliegen bislang aber nur der allgemeinen EU-Lebensmittel-Informationsverordnung. Diese verbietet zwar die Irreführung von Verbrauchern, lässt aber den Mitgliedstaaten weitgehend freie Hand bei der Beurteilung.

In Deutschland gibt es Streit

In Deutschland herrscht Streit zwischen Veggie-Produzenten und der Deutschen Lebensmittelbuchkommission, die verbindlich definiert, wie Lebensmittel hierzulande zusammengesetzt und bezeichnet werden dürfen. Anlehnungen an tierische Lebensmittel sollen möglich sein, wenn die Veggie-Produkte ihnen mit Blick auf den Verwendungszweck, die Konsistenz und das Mundgefühl ähneln, hatte die Kommission im Dezember 2018 entschieden. 

Was das Bundesagrarministerium für einen tragbaren Kompromiss hält, wollen andere nicht akzeptieren. Eine „vegane Salami“ dürfte danach nur noch als „vegane Tofu-Wurst nach Art einer Salami“ bezeichnet werden, kritisierte der Vegetarier- und Veganerverband „ProVeg“. Zahlreiche Firmen und Verbände haben bereits interveniert und die Kommission aufgefordert, den Leitsatz zu überarbeiten.

Vor einem Jahr hatte sich der Agrarausschuss auf die Seite der Fleischproduzenten geschlagen

Nun drohte sich das auf europäischer Bühne zu wiederholen. Im Frühjahr 2019 hatte der Agrarausschuss des Europaparlaments beschlossen, dass Steak, Wurst oder Burger Fleisch enthalten müssen. Aus dem Veggie-Burger würde danach die „Veggie-Scheibe“, aus der Veggie-Wurst die „Veggie-Stange“. Absatzfördernd wäre das für die veganen Bratlinge sicherlich nicht.

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Nach der Neuwahl der Europaabgeordneten im vergangenen Mai hat sich der Wind jedoch gedreht. Selbst die Europäische Volkspartei hatte sich zuletzt um einen Kompromiss bemüht. Sie schlugen vor, dass verarbeitete Fleischersatzprodukte weiterhin Fleischnamen tragen dürfen. 

Veggie-Burger oder -Bratwürste sollten danach weiter erlaubt sein, anders als vegane Steaks oder Filets. „Wir wollen hier Klarheit für den Verbraucher schaffen, gleichzeitig den Markt für Veggie-Produkte nicht ausbremsen“, sagte der Vorsitzende des Agrarausschusses, Norbert Lins, dem Tagesspiegel.

Doch die Parlamentarier wollten mehrheitlich keine Differenzierungen. Veggie-Bezeichnungen bei Fleisch dürfen bleiben, ausnahmslos.

Das Parlament macht sich lächerlich, warnen die Grünen

Die Grünen hatten Diskussionen über Namensverbote generell für „Unsinn“ gehalten „Damit würde sich das Parlament lächerlich machen“, warnte der Agrarexperte der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling. 

Fleischhaltige Bezeichnungen sollen weiterhin verwendet werden dürfen, sagte Häusling dem Tagesspiegel, solange diese deutlich mit dem Beiwort „pflanzlich“, „vegetarisch“, „fleischfrei“ oder ähnlichem versehen sind.

Auch Verbraucherschützer sehen keine Gefahr, dass die Verbraucher beim Veggie-Burger getäuscht werden. "Das ist schon klar und deutlich", sagte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg.

Begriffe wie „Burger“, „Wurst“ oder „Schnitzel“ sind gelernt und häufig verwendet, betont man bei Nestlé. "Diese Bezeichnungen beziehen sich in der Regel auf das Aussehen eines bestimmten Produktes und nicht auf die Herkunft der Zutaten", betont eine Unternehmenssprecherin. 

Nestlé weise zudem auf der Verpackung deutlich darauf hin, dass die pflanzlichen Fleischalternativen oder Alternativen zu Milchprodukten "100% veggie", "vegan" und/oder aus "pflanzlichem Eiweiß" hergestellt sind. "Wir glauben, dass dieser Ansatz funktioniert und beim Verbraucher keine Verwirrung stiftet", sagte die Sprecherin dem Tagesspiegel.

Alles Wurst? Diese "Vurst" enthält kein Fleisch.
Alles Wurst? Diese "Vurst" enthält kein Fleisch.
© promo

Was hinter dem Streit steckt

Der Namensstreit klingt absurd, hat aber handfeste, wirtschaftliche Hintergründe. Als Beyond Meat im Mai vergangenen Jahres an die Börse gegangen ist, kostete die Aktie zunächst 25 Dollar, jetzt sind es 184 Dollar. 

Das hat seinen Grund: Die neuen Ersatzprodukte könnten einer Studie der Unternehmensberatung A.T. Kearney zufolge im Jahr 2030 einen Anteil von 28 Prozent am gesamten Fleischmarkt haben, zehn Jahre später könnten es sogar 60 Prozent sein. 

In Deutschland sind nicht nur die rund sieben Millionen Veganer und Vegetarier Zielgruppe, sondern vor allem die wachsende Zahl der Flexitarier, die zwar weiterhin Fleisch essen, aber auch gern zu pflanzlichen Alternativen greifen. 55 Prozent der Bundesbürger haben im Ernährungsreport des Bundesagrarministeriums angegeben, dass sie ab und zu bewusst auf Fleisch verzichten.

Schützt der Veggie-Burger die Umwelt?

Pflanzen statt Fleisch, das soll dem Tier- und dem Klimaschutz dienen. Glaubt man dem Umweltbundesamt, entstehen bei der Herstellung von pflanzlichen Ersatzprodukten bis zu zehn Prozent weniger Treibhausgase, auch der Wasser- und Flächenverbrauch ist geringer. 

Die Umweltbilanz von Beyond Meat litt jedoch lange darunter, dass die Kalifornier ihre Patties tiefgefroren von den USA nach Europa verschifft haben. Inzwischen kooperieren die Amerikaner aber mit einem holländischen Hersteller und planen auch den Bau einer eigenen Fabrik in Enschede.

Alternative: Auch die Currywurst gibt es als vegetarische Variante.
Alternative: Auch die Currywurst gibt es als vegetarische Variante.
© REUTERS

Wie gesund ist das Veggie-Fleisch?

Vor einem Jahr haben die Hamburger Verbraucherschützer die Veggie-Produkte unter die Lupe genommen. Sind sie gesünder als rotes Fleisch, das im Verdacht steht, Krebs zu erregen? "Viele Produkte sind interessant", sagt Lebensmittelexperte Valet. 

Allerdings sollten Verbraucher unbedingt auf die Zutatenliste schauen. Um den Fleischgeschmack zu erzeugen, wird mit Aromen gearbeitet, Farbstoffe sorgen für das fleischähnliche Aussehen. Zudem enthalten viele Produkte Salz und gesättigte Fettsäuren.

Wie geht es weiter?

Ein „Veggie-Burger“ verkauft sich besser als ein „Erbsenbratling“. Kein Wunder, dass die Lebensmittelhersteller gebannt auf das Europaparlament schauen. Doch egal, was bei der Abstimmung herauskommt: Bis ein neues Gesetz kommt, vergeht noch viel Zeit. 

Denn der Veggie-Burger ist Teil des Anstimmungsprozesses rund um die europäische Agrarreform. Ministerrat, EU-Parlament und -Kommission müssen in vielen wichtigen Punkten eine Einigung finden. Vor dem nächsten Jahr wird das nichts.

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