Fleisch und Milch werden verschleudert: Preisschlacht im Supermarkt
Bundesagrarministerin Julia Klöckner will den Handel zu höheren Preisen zwingen, doch der wehrt sich. Am Preisverfall seien andere Schuld.
Es war im vergangenen Februar, da trafen sich die Spitzen der Politik mit der Crème de la Crème der deutschen Lebensmittelhändler. Die Chefs der größten deutschen Supermarktketten reisten nach Berlin, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihren Parteifreunden, Agrarministerin Julia Klöckner und Wirtschaftsminister Peter Altmaier, über ein heikles Thema zu sprechen: die Lebensmittelpreise. Hähnchenschenkel für 20 Cent pro 100 Gramm, so etwas sei „unanständig“, hatte Klöckner kurz zuvor in einem Interview mit dem Tagesspiegel erklärt und klar gemacht, wen sie in der Verantwortung sieht. Die kleinen Bauern hätten keine Chance, sich gegen die Handelsriesen zu wehren, die sie mit Kampfpreisen ausquetschen.
Ein knappes Jahr ist seitdem vergangen, und für die Bauern ist die Lage schlimmer denn je. „Wir verdienen kein Geld“, klagt Elisabeth Waizenegger von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Die Bäuerin hat einen Hof im Allgäu mit 50 Milchkühen. 32 Cent pro Liter bekommen deutsche Landwirte im Schnitt für ihre Frischmilch. 46 Cent müssten es nach Berechnungen der EU-Kommission sein, damit die Höfe kostendeckend arbeiten können.
Davon ist man weit entfernt, im Gegenteil: Anfang des Jahres ist auch noch der Butterpreis abgerutscht. „Der Handel nutzt seine Marktmacht“, ärgert sich Waizenegger. Die Not hinterlässt Spuren. Die Zahl der deutschen Milchhöfe hat sich in den vergangenen 15 Jahren halbiert. Viele Landwirte machen nur deshalb weiter, weil sie Kredite abbezahlen müssen, berichtet Hans Foldenauer vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM).
Die Bauern gehen wieder auf die Straße. In den vergangenen Wochen blockierten Trecker wiederholt die Auslieferungslager von Aldi, Lidl, Rewe und Edeka. Neben den Milchbauern protestieren auch die Schweinehalter. Sie hat es im vergangenen Jahr besonders hart getroffen. Der massenhafte Ausbruch von Covid-19 in deutschen Schlachthöfen führte dazu, dass Tönnies und andere im Sommer vorübergehend den Betrieb einstellten. Im Herbst brach dann auch noch die Afrikanische Schweinepest in Deutschland aus.
700.000 Schweine stauen sich in den Ställen
Aus Angst vor der Tierseuche lässt China, der größte Abnehmer auf dem Weltmarkt, seitdem kein deutsches Schweinefleisch mehr ins Land. „600.000 bis 700.000 Schweine stauen sich in den Ställen“, sagt Dirk Andresen, einer der Köpfe der Bauernbewegung „Land schafft Verbindung“. Gut zwei Euro hatten die Schweinemäster Anfang des Jahres noch pro Kilo Schwein bekommen, jetzt sind es 1,19 Euro. 1,50 Euro wären nötig, um die Kosten zu decken. „Wir machen Minus, und der Handel hat die Preise für Schweinefleisch im Laden um sechs Prozent erhöht“, kritisiert Andresen, der auf seinem Hof in Norddeutschland ebenfalls Schweine mästet.
Klöckner sieht den Handel in einer „moralischen Verantwortung“. Sie will der Branche per Gesetz untersagen, mit Billigfleisch Werbung zu machen und wirbt bei Altmaier um Unterstützung, „Es ist fatal, wenn gerade Fleisch als Ramschware über die Theke geht“,sagte Klöckner dem Tagesspiegel, „denn dafür haben Tiere gelebt und sind geschlachtet worden.“ Opfer der „ruinösen Preisschlacht“ seien häufig die Landwirte. „Mein Ziel ist daher ein Verbot von Werbung mit Fleischpreisen“.
Agrarministerin Klöckner will Handel mit Verboten bekehren
Per Gesetz will Klöckner auch unfaire Handelspraktiken verbieten und für eine bessere Behandlung der Lieferanten sorgen: kurzfristige Stornierungen sollen genauso verboten werden wie das Trödeln beim Bezahlen. Zwei Tage vor Weihnachten legte die Ministerin dann noch einmal nach und präsentierte den großen Lebensmittelhändlern einen Verhaltenskodex: Die Unternehmen sollen darauf verzichten, Standards für ihre Lieferanten unnötigerweise in die Höhe zu schrauben, wenn möglich, heimischen Produkten den Vorzug geben und den Wettbewerb untereinander nicht nur über den Preis führen. Ob solche Vereinbarungen mit dem Kartell- und mit EU-Recht vereinbar sind, ist jedoch zweifelhaft.
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Das umso mehr, weil der Lebensmittelhandel praktisch in der Hand vier großer Konzerne ist. Auf Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit Lidl und Kaufland entfallen 85 Prozent des Marktes. In der Coronakrise haben die Großen ihre Umsätze weiter gesteigert. Von Januar bis November haben Supermärkte preisbereinigt 5,6 Prozent mehr eingenommen, vermeldet das Statistische Bundesamt.
Kleine Anbieter haben der Verhandlungsmacht der Handelsriesen wenig entgegenzusetzen, sagt Klöckner. Eine aktuelle Marktbefragung des Bundeskartellamts im Rahmen der Aufteilung der „Real“-Märkte kommt jedoch zu einem anderen Ergebnis. Die Mehrheit der Hersteller habe keine Probleme mit dem Handel, meldet die „Lebensmittelzeitung“.
Der Handel verhandelt nicht mit den Bauern
Mit Landwirten verhandeln die Einkäufer der großen Ketten ohnedies nur ausnahmsweise und zwar dann, wenn es um regionale Angebote geht. So wie der Kölner Rewe-Händler Richrath. Er bezieht sein regionales Schweinefleisch von einem Hof in Brüggen-Bracht. Eine Kamera sendet Livebilder aus dem Schweinestall. Kunden können in der Filiale oder im Internet die Tiere sehen, die sie in einigen Monaten als Schnitzel im Laden kaufen können. Massenware kaufen die Händler woanders: Milchprodukte bei den Molkereien, Fleisch und Wurst bei Tönnies und Co, Obst und Gemüse bei Erzeugergemeinschaften. Sie sind das Scharnier zwischen Bauern und Handel. Die Landwirte liefern ihre Waren an die Verarbeiter und werden von diesen bezahlt.
Warum Milch verschleudert wird
Zwei Drittel der Milch werden von Genossenschaften vermarktet. Doch obwohl die Landwirte als Genossen Eigentümer sind, haben sie davon keinen Vorteil. Denn um im Geschäft zu bleiben, machen auch die genossenschaftlichen Molkereien beim Preiskampf mit. „Was sollen wir denn machen, wenn die Molkereien die Milch so günstig anbieten?“, sagt Hans Foldenauer vom Bundesverband deutscher Milchviehhalter. "Der Handel könnte freiwillig mehr zahlen, aber warum sollte er das tun?“
Dass die Milch so billig ist, liegt daran, dass es zu viel gibt. Abhilfe, meint Foldenauer, würde nur eine Drosselung der Produktion bringen, so wie sie auch vom Europaparlament als Kriseninstrument gefordert wird.
Bei Aldi verweist man auf schlechte Erfahrungen mit einseitigen Solidaritätsaktionen. Vor einem Jahr erhöhte der Discounter den Einkaufspreis für Trinkmilch und zahlte den Molkereien freiwillig fünf Cent über dem damaligen Marktpreis, verbunden mit der Bitte, dies an die Bauern weiterzugeben. „Wir wissen von vielen Landwirten, dass dort nichts oder nur sehr wenig angekommen ist“, sagt Florian Scholbeck, Geschäftsführer Kommunikation bei Aldi Nord. Nachahmer habe dieses Vorgehen bei anderen Händlern auch nicht gefunden, vermutet Scholbeck. Deshalb sei der Vorwurf von Marktmacht an Aldi auch falsch. Aldi Nord und Süd würden zusammen gerade einmal drei Prozent der in Deutschland produzierten Trinkmilch abnehmen. Generell landet nur ein Viertel der deutschen Milch im Handel, der Rest wird exportiert oder von der Lebensmittelindustrie weiterverabeitet.
Dennoch will der Discounter ein Zeichen setzen und künftig nur frische Milch verkaufen, die von deutschen Milchbauern kommt. Auch Rewe will bei seinen Eigenmarken bald nur noch Frischmilch von deutschen Höfen ins Regal räumen. Um die Schweinebauern zu unterstützen, zahlt der nach Edeka zweitgrößte deutsche Lebensmittelhändler beim Einkauf von Schweinefleisch zudem Preise wie vor dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest. Dass das Geld bei den Bauern ankommt, sei vertraglich festgelegt, heißt es bei Rewe.
Auch andere sind aktiv: Die Schwarz-Gruppe überweist 50 Millionen Euro an die Initiative Tierwohl, die Bauern beim Umbau der Ställe fördert. Zudem haben Lidl und Kaufland den Einkaufspreis für zehn Artikel aus dem Schweinefleischsortiment um ein Euro pro Kilogramm erhöht.
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Handel spricht mit Bauervertretern
Mit Vertretern von „Land schafft Verbindung“ verhandeln Aldi, Edeka, Lidl, Kaufland und Rewe über mögliche Verbesserungen für den Milch- und den Fleischbereich. Das Problem: Molkereien, Fleischkonzerne und Lebensmittelhersteller sitzen nicht mit am Tisch. Die Gespräche sind in der vergangenen Woche gestartet und sollen wöchentlich fortgesetzt werden.
Im Gespräch ist ein Hilfsfonds, an dem sich auch der Staat beteiligen soll. Im Agrarministerium sieht man das skeptisch. Ein solcher Mischfonds aus Wirtschaft und Steuerzahlergeld sei rechtlich problematisch, gibt ein Sprecher zu bedenken.
Auch die zweite Idee, eine Herkunftskennzeichnung für deutsche Lebensmittel einzuführen, stößt im Ministerium auf Skepsis. Klöckner strebt eine Lösung auf EU-Ebene an, Andresen will eine nationale Kennzeichnung. Nur so würden die höheren Anforderungen honoriert werden, die deutsche Tierhalter erfüllen müssen, meint er. Weil die Bauern weniger Dünger und Pestizide einsetzen dürfen, Ferkel nur noch mit schmerzfreier Betäubung kastrieren dürfen und den Sauen mehr Platz geben müssen, seien die Kosten der Deutschen besonders hoch.
Jede Stunde stirbt ein Hof
Umwelt- und Tierschützer sehen die Krise der Landwirtschaft als Systemversagen. Deutsche Bauern sollten weniger für den Weltmarkt, sondern mehr für deutsche Abnehmer produzieren. Denn auf dem globalen Markt konkurrieren deutsche Erzeuger mit Anbietern, die sich um Ökologie, Tierwohl und Menschenrechte nur wenig scheren. Der Wettbewerb um den niedrigsten Preis kostet Existenzen, kritisiert das Agrarbündnis „Wir haben es satt“, in dem von Greenpeace bis Misereor 60 Verbände versammelt sind. Die Folge: „Jede Stunde stirbt ein Hof in Deutschland“, sagt die Sprecherin des Bündnisses, Saskia Richartz.
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