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Jeder Bundesbürger isst im Schnitt 60 Kilo Fleisch- und Wurstwaren, in den USA sind es durchschnittlich 100 Kilo pro Kopf.
© dpa

Fleischatlas warnt vor den Folgen: Der Hunger nach Fleisch steigt weltweit

Die Massentierhaltung schadet der Umwelt, den Tieren und den Menschen gleichermaßen, sagen Kritiker. Nur in Deutschland lässt der Appetit nach.

Billig zieht noch immer: 4,40 Euro kostet Kasslernacken vom Schwein in dieser Woche bei Edeka, Aldi geht mit Schweineschnitzeln für 5,98 Euro pro Kilo ins aktuelle Preisrennen, Hit-Ullrich verschleudert Hähnchenschenkel für 2,49 Euro pro Kilogramm. Wenn es um das Schweinefleisch geht, wirbt die Supermarktkette allerdings mit ihrem „Qualitätsversprechen“: keine Werkverträge in den Schlachthöfen, kurze Transportwege für die Tiere.

Keine Frage: Auch wenn man es den Prospekten vieler Lebensmittelhändler noch nicht ansieht, zeigen die Coronakrise und die Diskussion über die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen Wirkung. Nach wochenlangen Protesten der Bauern vor ihren Auslieferungslagern haben sich etwa Lidl, Kaufland, Aldi und Rewe bereit erklärt, den Schweinehaltern höhere Preise zu zahlen. Damit sollen die Verluste der Landwirte, die durch die Afrikanische Schweinepest ausgelöst worden sind, ausgeglichen werden.

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Die Tierseuche hat dazu geführt, dass die globale Fleischproduktion 2019 zum ersten Mal seit 1961 nicht gewachsen, sondern um zwei Prozent auf 325 Millionen Tonnen gesunken ist. Das liegt vor allem an China. In dem Land mit dem größten Fleischkonsum weltweit ist die Afrikanische Schweinepest früher ausgebrochen als in Deutschland und hat die Produktion von Schweinefleisch um über 20 Prozent gedrückt. Doch diese Entwicklung wird nicht von Dauer sein, sagen Experten.

Fleisch als Ware: Vor der Afrikanischen Schweinepest war Deutschland ein großer Exporteur von Schweinefleisch.
Fleisch als Ware: Vor der Afrikanischen Schweinepest war Deutschland ein großer Exporteur von Schweinefleisch.
© dpa

Der Fleischkonsum hat sich in den vergangenen 20 Jahren weltweit verdoppelt

Der weltweite Fleischkonsum, der sich den vergangenen 20 Jahren mehr als verdoppelt hat, wird bis zum Jahr 2028 Schätzungen zufolge um 13 Prozent wachsen. Ganz vorne liegen die USA. Mehr als 100 Kilo Fleisch- und Wurstwaren verzehrt ein US-Bürger jährlich im Schnitt pro Kopf, in Deutschland sind es rund 60 Kilogramm. Während hierzulande der Appetit auf Fleisch sinkt, sieht es in China und anderen asiatischen Ländern sowie in Afrika anders aus.
"Der globale Trend ist alarmierend", sagte die Chefin der Heinrich-Böll-Stiftung, Barbara Unmüßig. Unmüßig stellte am Mittwoch gemeinsam mit BUND-Chef Olaf Bandt den neuen "Fleischatlas" vor. Gemeinsam mit dem Bund für Umwelt- und Naturschutz untersucht die Stiftung darin, wie sich der Konsum von Fleisch auf die Umwelt, die Gesundheit, die Biodiversität und die soziale Lage der Bauern auswirkt.

Ihr Fazit: "Wir brauchen eine Fleischwende", forderte Unmüßig. Denn die massenhafte Tierhaltung schadet dem Klima und kostet Ressourcen. Mehr als 15.400 Liter Wasser sind nötig, um ein Kilo Rindfleisch zu produzieren, beim Schwein, das deutlich früher geschlachtet wird, sind es 6000 Liter. Auch Bandt plädiert für einen Systemwechsel. Deutschland und die EU würden sich zu sehr am Weltmarkt orientieren. Statt auf Qualität und Tierwohl zu setzen, geht es nur um den Preis.

Billigfleisch, um Kunden anzulocken: Umweltschützer fordern Supermärkte auf, diese Werbung zu unterlassen.
Billigfleisch, um Kunden anzulocken: Umweltschützer fordern Supermärkte auf, diese Werbung zu unterlassen.
© Stefan Weger

Der hohe Einsatz von Antibiotika in den Ställen führt dazu, dass selbst hochwirksame Reserveantibiotika, die eigentlich für den Menschen reserviert sein sollten, auf Hähnchenfleischproben nachgewiesen werden. Um Platz für Soja zu schaffen, das als Tierfutter verwendet wird, verschwinden in Brasilien weiterhin große Flächen des Regenwalds. Mit Brandrodungen wird das Verbot umgangen, Wald für den Sojaanbau zu roden.

In Brasilien, dem größten Sojaproduzenten der Welt, hat sich die Produktion von Soja seit 1990 fast versechsfacht, parallel dazu hat sich der Einsatz von Pestiziden, vor allem von Glyphosat, um neun Mal erhöht. Hinzu kommt: "Viele Mittel, die in Deutschland verboten sind, werden nach Südamerika exportiert", kritisiert Unmüßig.

Die industrielle Tierhaltung hat aber nicht nur Konsequenzen für Umwelt, Klima und Gesundheit, sie fördert auch Konzentrationen und lässt die globalen Fleischkonzerne immer größer werden. Der Marktführer, die brasilianische JBS, lässt täglich weltweit bis zu 75.000 Rinder, 115.000 Schweine, 14 Millionen Geflügeltiere und 16.000 Lämmer schlachten.

In Deutschland kontrollieren fünf Unternehmen, Tönnies, Westfleisch, Vion, die Müller-Gruppe und Danish Crown die Schweinefleischverarbeitung. Mit ihrer Marktmacht können die Großen den Bauern die Preise diktieren. Zuchtbetriebe bekommen noch nicht einmal ihre Kosten ersetzt. Dass sie dennoch weitermachen, liegt an den Subventionsmilliarden aus Brüssel.

Viele Menschen verzichten häufiger auf Fleisch

Doch inzwischen setzt ein Umdenken ein, vor allem unter jungen Leuten. Beflügelt durch „Fridays for Future“ ernähren sich unter 30-Jährige heute doppelt so häufig vegetarisch oder vegan wie der Durchschnitt der Bevölkerung, wie eine neue Umfrage der Böll-Stiftung und des BUND zeigt.

Dazu passt, dass der Markt für Veggie-Burger oder vegane Schnitzel boomt. Mit pflanzenbasierten Alternativen wurden 2017 rund 4,6 Milliarden US-Dollar umgesetzt, Fachleute rechnen mit einem jährlichen Wachstum von 20 bis 30 Prozent. Der Markt ist so attraktiv, dass auch die Großen längst investiert sind – etwa Nestlé und Nordamerikas größter Fleischproduzent Tyson.

Experten sagen: Der Fleischkonsum muss halbiert werden

Um das Klima zu schonen, mehr Tierwohl in den Stall zu bringen und kostendeckende Preise zu ermöglichen, schlagen Nichregierungsorganisationen und Wissenschaftler vor, den Konsum tierischer Produkte bis 2050 zu halbieren. Würde der Fleischverbrauch von 1,1 Kilogramm in der Woche auf 600 Gramm reduziert, könnten in Deutschland die Schweine- und Mastgeflügelbestände um mehr als 40 Prozent verringert werden.

An Vorschlägen mangelt es nicht. Im Gespräch ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer auf Fleisch von sieben auf 19 Prozent, um Schnitzel und Salami teurer zu machen. Die von Bundesagrarministerin Julia Klöckner eingesetzte Expertenkommission unter Ex-Landwirtschaftsminister Jochen Borchert hatte im vergangenen Jahr eine Tierwohlabgabe von 40 Cent pro Kilo Fleisch vorgeschlagen, mit der der tierwohlgerechte Umbau der Ställe finanziert werden soll. Im Sommer hatte der Bundestag Klöckner aufgefordert, ein Konzept noch in dieser Legislaturperiode zu erarbeiten.

Vegetarischer Hamburger.
Fleischlose Alternative.
© Getty Images/iStockphoto

„Ich kann mir sehr gut eine Tierwohlabgabe auf Fleisch und Wurstwaren vorstellen“, sagte Klöckner dem Tagesspiegel. Die Abgabe soll in einen Fonds fließen, aus dem Stallumbauten und andere Tierwohl-Leistungen unserer Bauern finanziert werden. Um Kollisionen mit EU-Recht zu vermeiden, hatte das Ministerium eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse der Studie – „ein Meilenstein hin zu mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung“ – will Klöckner im Februar oder März vorstellen. „Mein Ziel ist, dazu partei- und fraktionsübergreifend noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung zu erreichen“, kündigte die CDU-Politikerin an. 300 Millionen Euro aus dem Konjunkturpaket sind bereits für zeitnahe Stallumbauten vorgesehen.

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Weitergehende staatliche Vorschriften, um den Konsum tierischer Erzeugnisse einzuschränken, lehnt die Ministerin aber ab. 55 Prozent der Verbraucher seien bereits Flexitarier, die bewusst auch mal auf Fleisch verzichten. „Die Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ernähren sich immer abwechslungsreicher“, sagte Klöckner dem Tagesspiegel. „Was die Konsumenten daher nicht benötigen, sind staatliche Vorschriften für den privaten Einkaufszettel.“

Bundesagrarministerin Julia Klöckner will den Umbau der Ställe mit 300 Millionen Euro fördern.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner will den Umbau der Ställe mit 300 Millionen Euro fördern.
© imago images/Political-Moments

BUND-Chef Olaf Bandt reicht das nicht. Der Umweltschützer fordert eine verpflichtende Haltungskennzeichnung, damit sich Verbraucher im Supermarkt orientieren können. Um auch einkommensschwächeren Haushalten den Verzehr von hochwertigem, teurerem Fleisch zu ermöglichen, sollen die Hartz-IV-Sätze erhöht werden, schlägt Bandt vor.

Welche Rolle Verbraucher spielen

"Man kann das Problem aber nicht allein auf die Verbraucher abwälzen", meint der BUND-Chef. Die Politik müsse die Tierschutzgesetze so nachschärfen, dass die Tiere einen vernünftigen Mindeststandard in der Haltung haben. Die Behörden müssten das kontrollieren. Um sich vor Billigfleisch aus dem Ausland zu schützen, das unter fragwürdigen Bedingungen produziert worden ist, müsse die EU ethische Standards aufstellen und an ihren Außengrenzen verteidigen, forderte Bandt.

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