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Alarmstufe Rot: Aus Protest haben Kohlefreunde das Vattenfall-Kraftwerk Schwarze Pumpe am Freitagabend rot angestrahlt.
© Rainer Weisflog/Imago

Kohle in der Lausitz: Sozialer Blackout

Der Energiekonzern Vattenfall hatte im Herbst verkündet, sich aus dem Kohlegebiet Lausitz zurückzuziehen. Nun verschärfen die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Gabriel zur Kohlebagabe die Situation in der Region. Wie reagieren die Menschen vor Ort?

70 Busse will die Gewerkschaft IG BCE aus der Lausitz am Samstag nach Berlin karren, 4000 Mitarbeiter des Energiekonzerns Vattenfall samt Familien sollen vor dem Kanzleramt und dem Bundeswirtschaftsministerium gegen die Pläne von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) für eine Klimaabgabe für ältere Kohlekraftwerke demonstrieren.

Im März waren sie publik geworden, seither ist die Aufregung im Süden Brandenburgs groß. Von Zusammenbruch einer ganzen Region ist die Rede, Vattenfall müsste seine Braunkohlekraftwerke in Jänschwalde, Schwarze Pumpe und Boxberg dichtmachen oder zumindest arg drosseln, auch die Tagebaue wären betroffen. Gewerkschaft, Wirtschaft und Politik warnen unisono vor einem „sozialen Blackout“ in der ansonsten wirtschaftlich schwachen, schon durch die Umbrüche 1990 gebeutelten, aber von der Braunkohle weiter abhängigen Region. Die drei Kraftwerke von Vattenfall seien ab 2017 wegen der Klimaabgabe nicht mehr wirtschaftlich zu betreiben, heißt es aus Brandenburgs Wirtschaftsministerium. Immerhin geht es um 8000 direkt in der Braunkohleförderung und Braunkohleverstromung Beschäftigte.

Schon seit die Zentrale des schwedischen Staatskonzerns im Herbst den geplanten Verkauf der Braunkohlesparte in diesem Jahr verkündete, herrscht Verunsicherung. Vattenfall-Vertreter beklagten in internen Runden mit Kommunalpolitikern die problematische Lage, die schwierigen Zeiten, die wahrscheinlichen Sparmaßnahmen und die drohende Ausgliederung von Betriebsteilen. Die geplante Klimaabgabe hat nun die Befürchtung ausgelöst, Vattenfalls Lausitz-Sparte könnte am Ende gar nicht verkauft, sondern gleich dichtgemacht werden.

Lichtaktion als Protest

Auch wenn in einigen Dörfern, denen für neue geplante Tagebaue die Abbaggerung droht, die Menschen wieder hoffen, sind die Kohlegegner in der Minderheit. Der Protest gegen die Klimaabgabe ist allgegenwärtig – selbst mit Lichtinstallationen. In der Nacht zum Freitag wurden mehrere prominente Gebäude in der Region, das Rathaus, das Staatstheater, das Stadion des FC Energie und die Vattenfall-Zentrale in Cottbus, aber auch der Kühlturm des Kohlekraftwerks in Schwarze Pumpe rot angestrahlt mit dem Schriftzug „Jetzt laut werden“. Der Titel der breit abgestimmten Aktion lautet „Alarmstufe Rot“, bei der IG BCE laufen die Protestaktionen unter dem Label „Fünf vor Zwölf“.

Holger Kelch (CDU), Oberbürgermeister in Cottbus, sagt: „Wenn die Bundesregierung ihre Pläne zur Klimaschutzabgabe umsetzt, bricht die Basis regionaler Wertschöpfung weg und mehrere tausend Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze.“ Kelch, der auch am Samstag in Berlin bei den Protesten dabei sein wird, warnt vor den verheerenden Folgen für den Mittelstand, für die Kultur, die gesamte soziale Infrastruktur.

Tatsächlich ist der Energiekonzern Vattenfall bislang allgegenwärtig, als Steuerzahler in den Kommunen, als Förderer von Kultur und Sport. Laut Vattenfall haben 2014 etwa 4400 andere Unternehmen von Aufträgen mit einem Gesamtvolumen von 1,2 Milliarden Euro von Vattenfall profitiert. Daran waren demnach 785 Firmen in Brandenburg mit einem Gesamtumsatz von 500 Millionen Euro beteiligt.

Jens Taschenberger, Sprecher des Lobbyverbandes Pro Lausitzer Braunkohle, berichtet, dass auch die vielen kleinen Mittelständler langsam nervös werden. Am Industriepark Jänschwalde etwa arbeiten bis zu 600 Menschen für Dienstleister, Elektrofirmen, Rohrleitungs- und Anlagenbauer, die von Vattenfalls Aufträgen abhängig sind. 500 Menschen versammelten sich am Freitag dort bei einem Protest, initiiert von dem Lobbyverein. „Die Leute merken, dass es um die Wurst geht.“

Kritische Stimmen werden ignoriert

Die Landesregierungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt lehnen die Pläne Gabriels rigoros ab. Zwar wollten sie Alternativvorschläge vorlegen, wie die Klimaziele für die Kohlekraftwerke verträglicher erreicht werden könnten. Doch nun heißt es aus Brandenburgs Wirtschaftsministerium, dass man sich schon vor Jahren von den eigenen Klimavorgaben für das Land verabschiedet habe. Die Ziele seien Sachen des Bundes, man sei nicht in der Lage, ein eigenes Instrument zu entwickeln. Kritische Stimmen, dass Gewerkschaften und Politik mit der Warnung vor dem Verlust tausender Jobs übertreiben, dringen kaum durch. Dabei gehören die Lausitzer Kraftwerke zu den schmutzigsten Europas, die Langzeitfolgen wie die braun gefärbte Spree sind deutlich sichtbar. Die hohe Sulfat-Belastung gefährdet inzwischen die Trinkwasserversorgung in Berlin.

Dass die Kohle eine ungewisse Zukunft hat, ist in Brandenburg seit Jahren klar. Seit 2007 hatte das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung von der Landesregierung einen Plan B für die Lausitz gefordert. Geschehen ist nichts. Das beklagt selbst der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer Cottbus (IHK), Wolfgang Krüger. Die Landesregierung habe den „Diskurs über die Zukunft der Lausitz ohne Braunkohle nie richtig eröffnet“. Zwar werde die Kohleenergie als Brückentechnologie für die Energiewende bezeichnet, aber keiner habe über die Länge dieser Brücke gesprochen.

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