Diskussion um bedingungsloses Grundeinkommen: Sorge vor der Faulheits-Falle
Viele Führungskräfte lehnen das bedingungslose Grundeinkommen ab. Doch es gibt prominente Befürworter - auch in den Chefetagen.
In deutschen Unternehmen sieht man ein bedingungsloses Grundeinkommen, bei dem jeder Bürger unabhängig von seiner Leistung und seiner Lebenssituation einen bestimmten Betrag als Grundsicherung erhalten würde, kritisch. Von 301 Personalverantwortlichen, Inhabern und Geschäftsführern von Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeitern, die an einer Umfrage der Unternehmensberatung EY teilnahmen, sind 42 Prozent der Ansicht: Die Nachteile überwiegen. Ebenso viele glauben, dass sich Vor- und Nachteile die Waage halten würden. Nur 14 Prozent würden eine Realisierung befürworten.
Viele der Führungskräfte fürchten negative Auswirkungen auf die Motivation ihrer Beschäftigten. 37 Prozent erwarten, dass die Leistungsbereitschaft nach der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens sinken würde, wohingegen nur fünf Prozent von einer höheren Einsatzbereitschaft ausgehen. Gegenargumente sind außerdem, dass es dem Leistungsgedanken widerspreche und den Fachkräftemangel weiter verschärfe.
Weniger bedrohlich für jüngere Personalverantwortliche
Die Einsparung von Verwaltungskosten, wenn bisherige Sozialleistungen wegfallen, fände die Mehrheit hingegen theoretisch gut. Etwas weniger als die Hälfte würde einen Gewinn darin sehen, dass Menschen beruflich mehr wagen würden. „Obwohl sie auch Vorteile sehen, halten die Führungskräfte das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens insgesamt nicht für stimmig und wollen bei der Lösung des Problems der sozialen Ungleichheit nicht nach dem ersten Strohhalm greifen“, sagt Nelson Taapken, Partner und HR-Experte bei EY.
Vier von zehn Umfrageteilnehmern haben sich mit dem Thema schon intensiver befasst. Jüngere Personalverantwortliche empfinden das Thema Digitalisierung aus Sicht von EY weniger bedrohlich und befürchten auch weniger Demotivationseffekte durch das Grundeinkommen als ihre älteren Kollegen. „Die jüngere Generation fühlt sich besser auf die künftigen Entwicklungen vorbereitet. Zudem hat sie bereits andere Motivationsstrukturen, der Wechsel von Job und Arbeitgeber ist für sie zum Normalfall geworden“, folgert Taapken.
Höchste Akzeptanz für Konsumsteuer
Sollte es irgendwann ein bedingungsloses Grundeinkommen geben, halten 41 Prozent der Führungskräfte einen Betrag zwischen 751 und 1000 Euro für adäquat, um den menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. Zum Vergleich: Ein Single, der gerade Hartz-IV bekommt, kriegt den Regelsatz von 416 Euro und die Kosten für Miete und Heizung erstattet – mit der Einschränkung, dass diese nur in „angemessener“ Höhe bezahlt werden. Was die Finanzierung angeht, trifft eine Konsumsteuer bei den Befragten am ehesten auf Akzeptanz. Dieser Variante stimmten immerhin 42 Prozent zu.
Trotz ihrer Bedenken gegenüber dem Grundeinkommen geht die große Mehrheit der Führungskräfte davon aus, dass nicht alle Arbeitnehmer vom Produktivitätsfortschritt durch neue Technologien wie Roboter, künstliche Intelligenz oder Blockchain profitieren werden. Sie glauben sogar, dass sich die Schere zwischen Arm und Reich in Zukunft weiter öffnen wird. Sie sehen die soziale Abkopplung und die schwindenden Teilhabemöglichkeiten einzelner Gruppen als ein drängendes Problem für den Zusammenhalt der Gesellschaft an. 33 Prozent der Befragten erwarten zudem, dass in ihrem Unternehmen Arbeitsplätze auf Grund von Automatisierung wegfallen werden – in der Banken- und Versicherungsbranche sind es weit mehr. Neun Prozent gehen davon aus, dass durch die Digitalisierung zusätzliche Jobs entstehen werden.
Die Hälfte der Deutschen ist für eine Einführung
Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens gibt es schon lange, aber angesichts der Kritik am Hartz-IV-System und der genannten Umbrüche in der Arbeitswelt wird auch in Deutschland wieder stärker darüber debattiert. In der Wirtschaft ist der anthroposophisch denkende Unternehmer und dm-Gründer Götz Werner schon lange ein Befürworter. In den vergangenen Jahren kamen Telekom-Chef Timotheus Höttges und Siemens-Chef Joe Kaeser hinzu. In der deutschen Bevölkerung plädieren 49 Prozent laut einer Erhebung des Sozio-ökonomischen Panels für eine Einführung. 54 Prozent sind für eine Erprobung. 89 Prozent erklärten in der Umfrage, dass sie weiter arbeiten würden, wenn ihnen ein Grundeinkommen garantiert würde.
Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller (SPD), wirbt seit gut einem halben Jahr für ein Solidarisches Grundeinkommen. Auch jetzt wieder – zum morgigen Tag der Arbeit. Es brauche „neue arbeitsmarktpolitische Instrumente, um die Modernisierungsprozesse der vierten industriellen Revolution zu bewältigen“, sagt er. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, das jedem zustehen soll – ganz gleich, ob er arbeitet oder nicht – hat sein Vorschlag aber nichts zu tun. Müller geht es darum, Hartz IV zunächst einmal um einen gemeinnützigen Arbeitsmarkt für Langzeitarbeitslose zu ergänzen.
Marie Rövekamp