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Götz W. Werner (74) ist Gründer der Drogeriemarktkette dm und war 35 Jahre lang ihr Geschäftsführer.
© Bernd Weißbrod/dpa

dm-Gründer Götz Werner: "Wir müssen Armut endlich abschaffen"

dm-Gründer Götz Werner befürwortet ein bedingungsloses Grundeinkommen. Den Vorschlag Michael Müllers zum solidarischen Grundeinkommen nennt er eine „mephistophelische Blendgranate“

Von Carsten Werner

Die Debatte um Grundeinkommen ist nicht neu, Sie setzen sich seit vielen Jahren dafür ein – was macht das Thema jetzt so evident?

Dass wir als Gesellschaft so produktiv sind, wie niemals zuvor in unserer Geschichte. Wir können immer mehr Menschen mit Gütern und Dienstleistungen vorsorgen, gleichzeitig müssen wir dafür viel weniger Arbeitskraft aufwenden. Wir leben also im Grunde im Schlaraffenland und trotzdem leisten wir uns noch Armut. Wir lassen es zu, dass rund 20 Prozent – also jeder fünfte – von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen sind. Immer noch müssen Menschen betteln oder sind wohnungslos. Das ist ein Skandal! Wenn wir nicht jetzt damit anfangen, Armut endlich wirksam abzuschaffen, wann denn bitte dann?

Nicht alle, die von Grundeinkommen sprechen, meinen dasselbe – ist das schon ein Kampf um Deutungshoheit?

Die gesellschaftliche Debatte, in welcher Gesellschaft wir leben wollen, ist sehr wichtig. Sie hilft uns zu begreifen, dass die Zeiten der Selbstversorgung endgültig vorbei sind. Wir alle sind Fremdversorgte, wir verlassen uns darauf, dass überall auf der Welt die Menschen für uns Dinge herstellen. Gleichzeitig werden wir für die ganze Welt tätig. Angesichts dieser Tatsache brauchen wir zutreffende Lösungen, wie wir unsere Ressourcen sinnvoll einsetzen, sodass alle Menschen versorgt sind und die Existenz gesichert ist. Die technischen Möglichkeiten dazu haben wir längst. Nun müssen wir das noch mit unserem Denken durchdringen. Früher oder später fällt der Groschen und dann fragen wir uns, wieso es früher kein bedingungsloses Grundeinkommen gab. Das ist wie mit dem Frauenwahlrecht. Es ist doch unvorstellbar, dass noch vor wenigen Jahrzehnten Frauen nicht wählen durften.

Berlins Bürgermeister Michael Müller setzt sich für ein „solidarisches Grundeinkommen“ für gemeinnützige Arbeit ein – geht das in Richtung Ihrer Vision?

Der wesentliche Punkt beim bedingungslosen Grundeinkommen ist die Entkopplung von Arbeit und Einkommen: Die Gemeinschaft, also der Staat, spricht jedem zu, dass jeder bescheiden, aber menschenwürdig leben kann. Egal, ob er einer Erwerbsarbeit nachgeht oder nicht. Alle anderen sogenannten Grundeinkommenskonzepte, die dies nicht anerkennen, sind mephistophelische Blendgranaten.

Der Berliner Verein „Mein Grundeinkommen“ verlost regelmäßig einjährige Grundeinkommen. Lassen sich damit Erfahrungen sammeln und Schlüsse ziehen, wie es funktionieren würde?

Menschen, die für ein Jahr so ein Grundeinkommen bezogen haben, hatten Glück, sie konnten den Zugewinn an Freiheit persönlich erleben. Der Verein hat auch die breite mediale Debatte wieder entfacht. Das freut mich sehr. Andererseits sind die umfassenden positiven Kräfte, die entfesselt werden, die Freiheit, die jeder durch ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält, nicht vorhersagbar und auch nicht zu verproben. Wir hätten ja eine ganz andere Gesellschaft, wir kämen vom Sollen zum Wollen. Die Grundgedanken der Idee sind Freiheit und Bedingungslosigkeit. Es geht um die Freisetzung von Kreativität. Jeder bekommt ein Einkommen, einfach weil er Mensch ist, und dann kann er zeigen, was er kann und sich mit seinen Talenten und Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen.

Welche Ideen gehen in die richtige Richtung? Andrea Nahles’ Idee für ein Bürgerguthaben oder Chancenkonto – oder eine Kinder-Grundsicherung?

Sinnvolle Ideen, die Einkommen und Arbeit voneinander entkoppeln, begrüße ich sehr. Ein einmaliges Bürgerguthaben ist aber der falsche Weg. Wir müssen die Menschen von den Existenznöten befreien, das wird ungeahnte Kräfte freisetzen: ehrenamtliches Engagement, Erziehungsarbeit, die Pflege von Angehörigen – das alles brauchen wir doch ganz dringend, und wir können es nur ermöglichen, indem wir es wertschätzen. Ein Kindergrundeinkommen wäre ein erster wichtiger Schritt, denn Kinderarmut ist irrsinnig. Sie bedeutet, an dem Ast zu sägen, auf dem man sitzt. Schließlich erwarten wir von unseren Kindern, dass sie in Zukunft die Güter und Dienstleistungen hervorbringen, damit die Rentner versorgt sind. Damit sind wir bei einem anderen wichtigen Gedanken: der Altersarmut. Altersarmut ist grober Undank. Schließlich verdanken wir unseren Eltern und Großeltern den Wohlstand, in dem wir heute leben. Es liegt bei uns, ob wir den nun an unsere Kinder und Enkel weitergeben wollen.

Werben fürs bedingungslose Grundeinkommen - eine Plakataktion im Mai 2016 auf der Straße des 17. Juni in Berlin.
Werben fürs bedingungslose Grundeinkommen - eine Plakataktion im Mai 2016 auf der Straße des 17. Juni in Berlin.
© dpa

Und was halten Sie von den Plänen in Schleswig-Holstein für ein staatliches Modellprojekt; welche Anforderungen würden Sie daran stellen?

Da möchte ich mit einer Gegenfrage antworten: Was wäre, wenn wir – natürlich nur als Modellprojekt – in Berlin von Rechts- auf Linksverkehr umstellen würden? Die Antwort kann sich jeder denken. Ich plädiere für eine andere Form der Verprobung: Wir beginnen mit einem bedingungslosen Grundeinkommen für Kinder. Und wir schaffen sofort das menschenunwürdige System Hartz IV ab. Alles noch in dieser Legislaturperiode. Es gibt keinen vernünftigen Grund, das nicht zu tun. Und dann sprechen wir über das bedingungslose Grundeinkommen für alle, die nicht mehr am Berufsleben teilnehmen können.

Was wären sinnvolle politische Schritte? Wäre eine Enquete-Kommission des Bundestags ein sinnvoller Rahmen?

Zunächst müssen die Politiker führender demokratischer Parteien anerkennen, dass wir alle längst eine Gesellschaft geschaffen haben, in der es ohne bedingungsloses Grundeinkommen nicht mehr geht. Dann müssten wir in einem demokratischen Prozess festlegen, welche Höhe angemessen ist, um bescheiden, aber menschenwürdig zu leben. Das Grundeinkommen muss also spürbar über der Armutsgrenze liegen. Dann schauen wir uns die Finanzierungsmöglichkeiten an: Ich plädiere für eine Reform hin zu einer reinen Konsumbesteuerung. Mit der Kosumbesteuerung lassen wir das Kapital in Ruhe arbeiten, frei von Zugriffen, bevor die Wertschöpfung in konsumfähige Leistung für die Menschen zum Ende gekommen ist.

Das Interview führte Carsten Werner.

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