Tag der Arbeit: Welche Jobs durch die Digitalisierung wertvoller werden
Die Digitalisierung könnte Büro- und Industriejobs der Mittelschicht zerstören. Andere Berufe dürften dafür endlich profitieren. Ein Gastkommentar.
Nach und nach macht sich die Erkenntnis breit, dass die Digitalisierung, die uns im täglichen Leben so viele nützliche Dienste erweist, auch viele Jobs zerstören wird. Dunkle Prophezeiungen und Angstszenarien machen die Runde, wonach es zukünftig nur noch erlesene Jobs für einige wenige Hochqualifizierte und Arbeitslosigkeit für die meisten – weil ja Maschinen und Computer alles erledigen – geben wird. In der Folge wird die Gesellschaft noch polarisierter sein als jetzt schon, so die Befürchtung. Erstaunlich wenig wird aber darüber nachgedacht und diskutiert, wie die Politik jetzt schon eingreifen und gestalten kann, damit es eben nicht dazu kommt. Dabei gibt es viele Ansätze.
Es stimmt, dass der technologische Fortschritt Jobs kosten wird. Und es wird kaum einen Beruf geben, der sich nicht grundlegend ändern wird. Aber das war in der Geschichte seit der industriellen Revolution immer der Fall: Eine technische Revolution hat die andere gejagt, dadurch sind Tätigkeiten weggefallen und die Menschen, die sie erledigten, hatten keine Arbeit mehr oder mussten sich andere suchen.
Das hat die Wirtschaft in den meisten Industrienationen nicht davon abgehalten, langfristig zu wachsen und die Arbeitslosigkeitsrate (meistens) in den Griff zu bekommen. Das Besondere an der Digitalisierung ist im Vergleich zu diesen vergangenen Fortschrittswellen eindeutig ihr Tempo. Menschen, Regionen und Wirtschaftszweige werden nicht wie bisher Jahrzehnte Zeit haben, um den Wandel zu gestalten, sondern häufig, wenn es hoch kommt, einige Jahre.
Das duale Ausbildungssystem, worauf Deutschland (in vielen Aspekten zu Recht) so stolz ist, könnte uns da in die Quere kommen. Denn durch dieses System spezialisieren sich die Menschen sehr früh auf eine Kompetenz und eine Tätigkeit. Was tun aber, wenn diese verschwindet, weil sie innerhalb einiger Jahre ein Computer übernimmt, der sie besser und zuverlässiger erledigt, nie krank ist und weniger kostet? Durch die hohe Bedeutung der Industrie sind in Deutschland in der Tat viele Jobs gefährdet.
Frühe Spezialisierung hat keine Zukunft
Gehört man zu denjenigen, deren Job wahrscheinlich verschwindet – gerade gut bezahlte Industrie- und Bürojobs der Mittelschicht in Deutschland sind gefährdet –, wird man gezwungen sein, schnell umzusatteln. Extrem wichtig werden in den nächsten Jahren also die Fähigkeit, dazuzulernen – Stichwort lebenslanges Lernen –, und Flexibilität. Bereits heute sollte sich unser Bildungssystem darauf einstellen. Konkret heißt das, dass von frühen Jahren an in Kindergärten und Schulen Wert auf die Eigenschaften gelegt werden muss, die Eigenverantwortung fördern; dass mehr Geld in die Weiterbildung fließen muss; dass man dem Silodenken im Bildungssystem und dem zu frühen Spezialisieren den Rücken kehren muss.
Wir brauchen neue Mechanismen und Modelle, die es erlauben, auch im Erwachsenenalter und auch wenn man womöglich die finanzielle Verantwortung für eine Familie trägt, sich Zeit zu nehmen für eine Umschulung oder eine Weiterbildung, gar für eine völlige Neuorientierung. Ein Ansatz wäre hier zum Beispiel ein Lebenschancenerbe. Hier würde jedem 18-jährigen Menschen ein Budget von beispielsweise 20.000 Euro zur Verfügung gestellt werden, den er oder sie zu einem beliebigen Zeitpunkt in der Zukunft nutzen könnte, um sich entweder weiterzubilden, Risiken wie für Selbstständigkeit einzugehen oder Auszeiten für die Pflege von Angehörigen zu nehmen. Das erscheint mir weitaus zielführender, als die Verliererinnen und Verlierer der Digitalisierung mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ruhigstellen zu wollen.
Maschinen und Computer besitzen weder Kreativität noch Empathie
Eine solches Lebenschancenerbe gibt den Menschen vor allem das, was ihnen durch Digitalisierung und technologischen Wandel zunehmend genommen wird: Freiheit, Eigenverantwortung und die Fähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu leben. Eine andere, komplementäre Idee wäre die Schaffung eines Staatsfonds, wie ihn beispielsweise Länder wie Singapur oder Norwegen haben. Ein solcher Fonds, der sich zum Beispiel aus Einnahmen einer reformierten, gerechteren Erbschaftssteuer speisen würde, könnte in Champions der Digitalisierung investieren und einen Teil der Gewinne, die zum Beispiel die Dividende vom Google-Eigentümer Alphabet abwirft, in die Weiterbildung und Unterstützung derjenigen investieren, die in Deutschland der Digitalisierung zum Opfer gefallen sind.
Es gilt aber nicht nur, Abwehrstrategien zu entwickeln und die Transformation der Arbeitswelt als Drohung zu begreifen. Wie jede Entwicklung birgt die Digitalisierung Chancen, auch auf dem Arbeitsmarkt. Und da meine ich nicht nur die Köpfe der Digitalisierung, die Entwickler und Programmierer, für die es einen wachsenden Bedarf geben wird.
Zwischenmenschliche Dienstleistungen
Zwei entscheidende Kompetenzen besitzen nämlich Maschinen und Computer nicht: Kreativität und Empathie. Es wird noch eine ganze Weile dauern, ja wahrscheinlich gar nicht erst dazu kommen, dass Roboter das können, was Kunstschaffende, Designerinnen und Designer, aber auch Pflegekräfte, Pädagoginnen und Pädagogen leisten.
Keine noch so modernen Geräte werden die persönliche Ansprache und die menschliche Wärme einer Altenpflegerin ersetzen – in einer Zeit, in der parallel die Anzahl älterer Menschen rasant steigen wird. Kein Programm wird eine geniale Idee für eine Kunstinstallation haben, die aus seinen Erfahrungen und Gefühlen schöpft. Und so wird in diesen Bereichen der Wert der Arbeit, die heute oft wenig entlohnt wird, steigen. Viele Dienstleister, speziell im Sozialbereich, werden den Aufstieg in die Mittelschicht schaffen. Wahrscheinlich ist daher auch, dass zwischenmenschliche Dienstleistungen, die heute nicht die Wertschätzung erfahren, die viele ihr zuordnen würden – zum Beispiel, weil man sich dafür ausschließlich auf Familienangehörige oder Ehrenamtliche verlässt –, deutlich an Wert gewinnen werden.
Der Digitalisierung sollten wir nicht mit Angst begegnen, sondern jetzt schon mit politischen Instrumenten versuchen, zum Besten zu gestalten. Es gibt viele gute Gründe, optimistisch auf die digitale Zukunft zu schauen, die uns erlauben wird, uns auf das zu konzentrieren, was uns als Mensch ausmacht. Es gibt kein Patentrezept gegen die Transformation von Jobs und Arbeit, aber hervorragende Ansätze, wie ein Lebenschancenerbe, um diese klug zu begleiten.
Marcel Fratzscher ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Marcel Fratzscher