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Sichtlich gealtert: Kanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) schmückt am Dienstagvormittag eine mobile Plakatwand vor dem Kanzleramt in Berlin.
© John MACDOUGALL/AFP

Kaum noch neue Verträge ab 2022: Riester-Rente vor dem Aus

Weil die geplante Reform gescheitert ist, wollen sich viele Anbieter zurückziehen. Altverträge bleiben bestehen, Verbraucherschützer fordern Systemwechsel.

Mit grauen Haaren und tiefen Falten im Gesicht blicken Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz finster auf die Menschen, die sich an diesem Dienstagvormittag vor dem Haupteingang des Bundeskanzleramts versammelt haben. Auf drei Plakatwänden hat ein Bündnis von Verbraucherorganisationen die Spitzenkandidatin und ihre Konkurrenten um die Kanzlerschaft künstlich altern lassen.

„Stoppt die Riester-Rente – sonst sehen wir alt aus“, fordern die Verbraucherschützer von der künftigen Regierung. Egal ob diese von Grünen, SPD oder Union geführt wird: Die Politik soll der Riester-Rente ein Ende setzen.

Vor 20 Jahren machte der Bundestag den Weg frei für Riester

Dabei hätte die staatlich geförderte private Altersvorsorge eigentlich Grund zum Feiern, sie hat nämlich Geburtstag: Vor genau 20 Jahren beschloss der Bundestag das Altersvermögensgesetz und machte so den Weg frei für das Riester-Sparen. Doch ein Anlass zum Jubeln ist das aus Sicht der 15 in Berlin protestierenden Verbraucherschützer nicht – im Gegenteil. „Die Riester-Rente wurde zwanzig Jahre lang reformiert. Mittlerweile ist klar, sie ist nicht reformierbar“, kritisiert der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen (VZBV), Klaus Müller.

Die Forderungen des Verbraucherbündnisses richten sich direkt an die Kanzlerkandidaten von Grünen, CDU und SPD.
Die Forderungen des Verbraucherbündnisses richten sich direkt an die Kanzlerkandidaten von Grünen, CDU und SPD.
© John MacDougall/AFP

Das Bündnis aus VZBV, dem Bund der Versicherten und der Bürgerbewegung Finanzwende spricht sich für einen radikalen Schnitt aus. Die Verbraucherschützer fordern einen Neustart für die private Altersvorsorge. Jeder gesparte Euro müsse effizient eingesetzt werden. Statt die ihrer Meinung nach teure und unrentable Riester-Rente weiter mit Steuerzahlergeld zu päppeln, soll die Vorsorge künftig über einen Fonds laufen, der von einem öffentlichen Träger gemanagt wird. Damit entfallen hohe Vertriebskosten, die Rendite soll steigen.

SPD-Sprecher hält Fond für kostengünstig und renditestark

In der Politik gibt es für diese Idee durchaus Zustimmung. „Ein solcher Fonds könnte kostengünstig arbeiten und wegen seines Anlagevolumens attraktive Konditionen am Markt erzielen“, sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, dem Tagesspiegel. In der Union halten weite Teile dagegen die Riester-Förderung zwar für reformbedürftig, aber auch für reformfähig.

Verbraucherschützer sehen das anders. Das aktuelle Riester-Konzept ist ihrer Meinung nach aus vielen Gründen ein Problem. Die Hauptkritik: Riester-Verträge sind zu teuer. Nach einer „Finanzwende“-Studie fließt bei einer durchschnittlichen Riester-Versicherung fast jeder vierte eingezahlte Euro in die Kosten. Gerhard Schick, „Finanzwende“-Mitbegründer und früherer Grünen-Politiker, führt das auf die hohen Vertriebskosten zurück.

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Viel zu viel Fördergeld komme so den Anbietern und Vertrieben zugute, nicht aber den Sparerinnen und Sparern. „20 Jahre lang wurde damit Rentenpolitik für die Versicherungslobby gemacht“, sagt Schick. Selbst in den Koalitionsvertrag habe die Lobby Einzug gefunden.

Dort ist von einem „Dialogprozess mit der Versicherungswirtschaft“ die Rede – mit dem Ziel einer zügigen Entwicklung eines attraktiven standardisierten Riester-Produkts. „Damit war von vorneherein eine wirkliche Riester-Reform ausgeschlossen“, kritisiert Schick.

Auch Axel Kleinlein vom Bund der Versicherten hält die Riester-Rente für ineffizient, intransparent und handwerklich schlecht umgesetzt. Weil die Rendite sinkt, verlieren auch viele Menschen die Lust am Riestern. Hatten in den ersten Jahren immer mehr Sparer neue Verträge unterschrieben, sinken seit 2018 die Neuabschlüsse.

Die Euphorie ist verpufft, zahlreiche Anbieter haben sich aus dem Geschäft bereits zurückgezogen. Von den 16,5 Millionen Verträgen ist ein Fünftel ruhend gestellt, wird also nicht mehr aktiv bespart.

Dass es so nicht weiter geht, sieht auch die Branche. In einem Fünf-Punkte-Plan hatten die Verbände der Versicherer, Bausparkassen und Investmentfondsgesellschaften einen vereinten Rettungsversuch unternommen. Sie wollten kostengünstige Standardprodukte entwickeln und auch Selbstständige in den Kreis der Geförderten einbeziehen.

Die SPD zeigt sich offen für den Vorschlag, die Altersvorsorge künftig über einen öffentlich verwalteten Fond laufen zu lassen.
Die SPD zeigt sich offen für den Vorschlag, die Altersvorsorge künftig über einen öffentlich verwalteten Fond laufen zu lassen.
© John MacDougall/AFP

Wichtigster Punkt: Die Förderung aus Zulagen und Steuererstattungen sollte transparenter werden. Denn derzeit blicken viele nicht mehr durch und sind gefrustet. Jedes Jahr müssen 800.000 Riester-Sparer Geld zurückzahlen, weil sie zu wenig in ihren Vertrag einzahlen, um die volle Zulage beanspruchen zu können. Doch statt die Betroffenen vorher zu warnen, wird erst gezahlt und dann die zu viel überwiesende Förderung zurückverlangt.

Bis zur Bundestagswahl keine Riester-Reform mehr möglich

Lange hatte die Finanzwirtschaft gehofft, mit einer Reform das Riester-System zu retten. Doch das ist nicht gelungen. Selbst das von der Finanzindustrie gern vorgetragene Argument, dass vor allem Geringverdiener mit Kindern von der geförderten privaten Altersvorsorge profitieren, hat die Politik nicht überzeugt. Oder nicht genug überzeugt.

Der Austausch mit den unterschiedlichen Akteuren und Gruppen habe bislang ergeben, dass zur Zukunft von Riester „noch sehr unterschiedliche Auffassungen und Vorschläge gibt“, teilt das Bundesfinanzministerium auf Tagesspiegel-Anfrage mit. In der verbleibenden Zeit bis zum Ende dieser Legislaturperiode sei eine Riester-Reform nicht mehr zu schaffen, meint SPD-Finanzexperte Binding. Selbst eine Teilreform sei nicht mehr möglich.

Doch diese wäre aus Sicht der Anbieter dringend nötig für das Überleben des Systems. Denn zum Jahreswechsel droht de facto das Aus für neue Riester-Rentenverträge. Denn dann sinkt der sogenannte Höchstrechnungszins für Lebensversicherungen von 0,9 auf 0,25 Prozent.

Das beißt sich aber damit, dass die Verträge, um gefördert werden zu können, garantieren müssen, dass zumindest das eingezahlte Kapital erhalten bleibt – von einer Rendite ganz zu schweigen. Das ist aber kaum zu schaffen, wenn man bedenkt, dass der Garantiezins nur auf den Sparanteil der Verträge (Beiträge minus Kosten) entfällt und künftig eben auf 0,25 Prozent limitiert ist.

Auch die Grünen schlagen in ihrem Wahlprogramm einen öffentlich verwalteten Bürgerfond vor.
Auch die Grünen schlagen in ihrem Wahlprogramm einen öffentlich verwalteten Bürgerfond vor.
© John MacDougall/AFP

„Eine hundertprozentige Beitragsgarantie ist unter diesen Bedingungen dann kaum noch möglich und aus unserer Sicht erst recht nicht mehr zeitgemäß“, heißt es bei der Ergo-Versicherung. Viele Riester-Anbieter „werden sich ab 2022 vom Markt zurückziehen, weil sie dann den vom Gesetzgeber verlangten 100-Prozent-Beitragserhalt unter dem neuen Höchstrechnungszins nicht mehr garantieren können“, warnt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Versicherungsverband GDV. „Das führt zu einer De-facto-Beerdigung der Riester-Rente.“

Bündnis fordert Bestandsschutz für aktuelle Verträge

Betroffen sind wohlgemerkt nur neue Verträge, nicht die Millionen bestehenden. An die wollen auch die Verbraucherschützer nicht heran. Für den Übergang soll es einen Bestandsschutz für die aktuellen Verträge geben. Diese sollen weiter gefördert werden. Verbraucherinnen und Verbraucher sollten allerdings die Möglichkeit bekommen, auf eigenen Wunsch und kostenfrei aus einem Riester-Vertrag in das neue System wechseln zu können, schlägt das Bündnis vor.

Was sollen Riester-Sparer tun? Die Verbraucherorganisationen empfehlen, laufende Verträge beizubehalten. Wer die Beiträge nicht mehr zahlen möchte, solle sich lieber davon freistellen als zu kündigen. Laufende Betriebskosten der Anbieter wie Fondsgebühren seien jedoch weiter zu zahlen.

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