Ergo-Vorstand im Interview: „Das Scheitern der Riester-Reform wäre ein Rückschlag für alle“
Michael Fauser über die Liebe der Deutschen zur Lebensversicherung, die Vor- und Nachteile von Riester und die Rentenpflicht für Selbstständige.
Die Zinsen sinken, dennoch schließen die Menschen weiter Lebensversicherungen ab. Woher kommt die Treue, lohnt sich das und legen die Lebensversicherer das Geld wirklich besser an als Privatleute? Fragen an Michael Fauser (56), der im Vorstand der Ergo Versicherung für Lebensversicherungen zuständig ist.
Herr Fauser, im vergangenen Jahr haben die deutschen Versicherer deutlich weniger Lebensversicherungen verkauft. Wie sieht es bei der Ergo aus?
In der Branche sind zwar weniger neue Verträge abgeschlossen worden, die Beitragseinnahmen sind branchenweit aber im Neugeschäft etwa gleich geblieben.
Das heißt, weniger neue, aber dafür größere Verträge?
Ja, und das ist durchaus ein Erfolg. 2019 war ein absolutes Rekordjahr, da war also die Messlatte hoch. Zudem ist die Lebensversicherung ein beratungsintensives Produkt – Beratungsgespräche unter Corona-Bedingungen waren im letzten Jahr aber nicht ganz leicht.
Und wie ist Ihr Geschäft gelaufen?
Wir sind sehr zufrieden. Wir haben mehr neue Verträge abgeschlossen als im Jahr zuvor, die Beitragseinnahmen entsprechen dabei in etwa dem Vorjahr. Hier zahlt sich aus, dass wir uns in den vergangenen Jahren auch digital neu aufgestellt haben und unsere Kunden nun auch online umfassend beraten können. Und wir sehen, dass das Angebot gut angenommen wird.
Lebensversicherungen werfen kaum Zinsen ab. Woher kommt die unerschütterliche Treue der Bundesbürger zu diesem Produkt?
Die Menschen suchen gerade in unsicheren Zeiten und angesichts von Niedrig- bis hin zu Strafzinsen auf Guthaben nach Alternativen für eine sichere Geldanlage mit soliden Anlagemöglichkeiten – insbesondere, wenn sie für das Alter vorsorgen wollen. Da sind die Lebensversicherungen mit ihren vielen Verträgen und Versicherten eine gute Wahl. Denn die Absicherung findet hier im Kollektiv und über die Zeit statt. Niedrige Zinsen lassen sich so besser ausgleichen. Hinzu kommt, dass die Lebensversicherung das einzige Produkt am deutschen Vorsorgemarkt ist, das eine lebenslange Rente garantiert.
Die Mathematiker der Versicherungsbranche schlagen vor, dass der Garantiezins, den Versicherer ihren Kunden für die gesamte Vertragslaufzeit garantieren, von 0,9 auf 0,25 Prozent gesenkt werden soll. Warum schafft man ihn dann nicht gleich ab?
Der Garantiezins zeigt ja lediglich auf, was der Kunde mindestens bekommt. In der Regel kommt ja noch einiges oben drauf. Umso wichtiger ist es daher, dass die Kunden ihre Anlagemöglichkeiten flexibel gestalten können, um so das Beste für sich herauszuholen.
Unter dem Dach der Ergo sind noch die alte Viktoria-Versicherung und die Hamburg-Mannheimer. Deren Verträge laufen zwar jetzt peu à peu aus, haben aber zum Teil noch hohe Garantiezinsen. An den Kapitalmärkten können Sie solche Zinsen nicht mehr bekommen. Wie gefährlich sind die Altlasten?
Wir haben uns frühzeitig gegen niedrige Zinsen abgesichert und Kapitalanlagen mit sehr langer Laufzeit gewählt. So stellen wir sicher, die Verzinsung durch ausreichend hohe laufende Erträge zu gewährleisten und vermeiden gleichzeitig, dass die Garantieversprechen länger laufen als die Kapitalanlagen, mit denen sie finanziert werden. Dass wir hier sehr gut aufgestellt sind, sehen Sie an unseren hohen Bewertungsreserven. Diese Reserven entstehen immer dann, wenn der Marktwert einer Anlage über dem ursprünglichen Kaufpreis liegt.
Ihre Konkurrentin, die Allianz, hat sich bei neuen Lebensverträgen von dem Versprechen verabschiedet, dass Kunden am Ende der Vertragslaufzeit wenigstens das eingezahlte Kapital zurückbekommen. Planen Sie das auch?
Wir bieten den Kunden, die dies wünschen, nach wie vor Produkte mit einer hundertprozentigen Bruttobeitragsgarantie an. Das heißt, sie bekommen auf jeden Fall alle ihre eingezahlten Beiträge zurück. Gleichzeitig haben wir in den vergangenen Jahren aber unser Angebot bewusst auch um flexiblere, kapitalmarktorientierte Produkte erweitert, die höhere Renditechancen bieten. Dabei kann der Kunde je nach Tarif selbstständig zwischen einer eher sicherheitsorientierten und einer renditeorientierten Anlagestrategie wählen. Es bleibt abzuwarten, wie die Branche auf die Absenkung des Garantiezinses auf 0,25 Prozent reagieren wird. Die Frage über die Zukunft der Beitragsgarantie wird dann sicher erneut aufkommen.
Warum?
Weil uns der Garantie- oder Höchstrechnungszins, wie er korrekt heißt, bei der Verzinsung der Kundengelder und damit bei der Kapitalanlage Grenzen setzt. Ich erwarte, dass sich bei einem Garantiezins von 0,25 Prozent fast alle Versicherer von der Bruttobeitragsgarantie verabschieden werden.
Bei der Riester-Rente ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass Sparer ihre Beiträge zu hundert Prozent zurückerhalten.
Das stimmt und muss sich schleunigst ändern. Die aktuelle Regelung passt nicht mehr in die Zeit und schließt die Versicherten mit ihrer Altersvorsorge aktiv von den Chancen am Kapitalmarkt in Form höherer Renditen aus. Das ist aber nur ein Punkt, der bei Riester angepackt werden muss.
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Was denn sonst noch?
Riester muss einfacher werden. Es kann nicht sein, dass bereits ausgezahlte Zulagen im Nachhinein zurückgefordert werden, weil die Berechtigungsprüfung nicht vorab erfolgt ist. Das führt zu verständlichem Frust bei den Versicherten und zu vermeidbaren bürokratischen Aufwand bei den Anbietern. Außerdem bedarf es einer generellen Vereinfachung der Informationspflichten.
Welche meinen Sie?
In jedem Versicherungsangebot gibt es eine Beispielrechnung, dazu schreibt der Gesetzgeber eine weitere Modellrechnung vor, künftig soll es auf EU-Ebene noch zusätzliche Angaben geben... Ich glaube, dass dieses Übermaß an Informationen den Verbrauchern nicht hilft. Stattdessen sollten sich die Informationen auf das wirklich Wesentliche konzentrieren, um die Kunden aufzuklären und eine wirkliche Orientierung zu geben. Hier sind die Gesetzgeber in Deutschland und auf europäischer Ebene ebenso wie die Lebensversicherer selbst gefordert.
Im Koalitionsvertrag hat sich Schwarz-Rot auf eine Reform der Riester-Rente verständigt. Jetzt sieht es aber so aus, als ob das in dieser Legislaturperiode doch nichts mehr wird. Wäre das das Ende für Riester?
Sollten sich die Berichte bewahrheiten, dann wäre das ein herber Rückschlag für alle Versicherten. Riester ist ein sehr wichtiges und gutes Produkt, dass vielen Menschen, die es sich sonst nicht leisten könnten, eine Form der privaten Altersvorsorge ermöglicht. Immerhin über 16 Millionen. Verträge wurden seit der Einführung abgeschlossen, das ist unterm Strich eine Erfolgsgeschichte. Es gibt unbestritten Reformbedarf, es liegen aber auch gute Vorschläge vor, die nur umgesetzt werden müssten. Ich würde mir wünschen, dass die Reform noch in dieser Legislaturperiode kommt – gerade auch sozialpolitisch.
Aber schließen nicht vor allem Gutverdiener Riester-Verträge ab, um sich Steuervorteile zu sichern?
Nein, Riester-Verträge werden häufig von Menschen abgeschlossen, die man gemeinhin nicht zu den Gutverdienern zählen würde. Und genau an sie richtet sich das Angebot ja auch. Nehmen Sie zum Beispiel eine alleinerziehende Mutter oder einen alleinerziehenden Vater mit drei Kindern. Diese Menschen haben kaum einen Eigenbeitrag zu leisten, aber bekommen hohe Zulagen.
Hat nicht inzwischen jeder einen Riester-Vertrag, der einen will?
Es gibt durchaus noch Neuabschlüsse. Im vergangenen Jahr sind in der Branche 300.000 neue Riester-Verträge verkauft worden. Nach einer Reform wären es sicherlich noch mehr.
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Verbraucherschützer lehnen die Riester-Rente wegen der hohen Kosten ab und fordern stattdessen einen Altersvorsorgefonds, in dem alle Bürger abgesichert sein sollen.
Die Erfahrungen mit staatlichen Fonds überzeugen in der Praxis nicht. Dafür gibt es genügend Beispiele. In Irland wurde etwa der Altersvorsorgefonds dafür genutzt, um die Banken in der Finanzkrise zu retten. Man sollte die Altersvorsorge lieber den privaten Anbietern überlassen. Ich plädiere daher dafür, die dritte Säule der Altersvorsorge zu stärken und die private Vorsorge weiter zu fördern.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil möchte alle Selbstständigen zwingen, eine Altersvorsorge zu haben. Sie sollen wählen können, ob sie in die gesetzliche Rente gehen oder eine private Versicherung, etwa die Basisrente, wählen. Wie finden Sie das?
Das finde ich absolut richtig, um drohender Altersarmut bei Selbstständigen vorzubeugen. Selbstständige haben keine oder nur geringe Ansprüche auf gesetzliche Leistungen. Wie schnell diese Gruppe in finanzielle Nöte geraten kann, sehen wir ja aktuell im Zuge des Lockdowns, der vielen Selbstständigen die Geschäftsgrundlage entzieht. Mit Blick auf eben diese Belastungen sollte es aus meiner Sicht aber Übergangsfristen geben, um aktuell zusätzliche finanzielle Belastungen zu vermeiden.
Wie werben Sie bei Selbstständigen für Ihre Basisrente? Warum sollte jemand zu Ihnen gehen statt in die gesetzliche Rentenversicherung?
Der Vorteil liegt in einer besseren Planbarkeit. Bei der privaten Versicherung wird Geld für den Einzelnen angespart. Was später herauskommt, ist daher kalkulierbar. Im Gegensatz dazu sind Sie bei der gesetzlichen Rentenversicherung darauf angewiesen, dass später genug Beitragszahler da sind, um Ihre Rente zu finanzieren. Ob das klappt, weiß bis dahin aber niemand sicher.
Das Ansparen über eine private Lösung ist im Moment aber auch nicht gerade leicht.
Das sehe ich anders. Es gibt durchaus attraktive Anlagemöglichkeiten in der Lebensversicherung, unabhängig vom zur Verfügung stehenden Budget. Eine Basisrente können Sie zum Beispiel rein fondsgebunden abschließen, etwa über Aktienfonds. Damit hätten Sie eine Aktienquote von 100 Prozent und attraktive Renditechancen. Dabei zählt jeder Betrag.
Wie hoch ist die Aktienquote der Ergo?
Sie liegt bei 6,8 Prozent.
Das ist aber nicht viel.
Wir investieren darüber hinaus ja auch noch in andere attraktive und auch nachhaltige Anlagen, etwa in Windparks.
Sie bieten Ihren Kunden seit kurzem eine Lebensversicherung an, bei der Geld ausschließlich in nachhaltige Anlagen investiert wird.
Das stimmt. Unsere "Eco-Rente Chance" ist eine fondsgebundene Rentenversicherung, in der ausschließlich nachhaltig zertifizierte Fonds enthalten sind. Die Eco-Rente bieten wir über unsere Tochter, die „Ergo Life“ an. Sie hat ihren gesamten Geschäftsbetrieb CO2-neutral organisiert und auch die Kapitalanlagen der „Ergo Life“ stecken in nachhaltigen Werten.
Welche sind das?
Wir orientieren uns an den gängigen Nachhaltigkeitsratings. Die Fonds berücksichtigen dabei ökologische und soziale Gesichtspunkte sowie Aspekte nachhaltiger Unternehmensführung. Das heißt, wir kaufen zum Beispiel keine Unternehmensanleihen von Kohleproduzenten.
Verzichten Sie damit nicht auf Rendite?
Nein. Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge gewinnt immer mehr an Bedeutung. Gerade Jüngeren und Familien ist dieses Thema wichtig und sie achten vermehrt auch auf nachhaltige Investitionen. Und auch immer mehr Unternehmen legen bei ihrer Kapitalanlage darauf Wert. Das wirkt sich günstig auf die Renditen aus.