"Dead Malls": Wenn Einkaufszentren verfallen
Shoppingcenter werden vom Zeitgeist gesteuert – wandeln sie sich nicht, laufen sie leer.
Leere zieht Blicke an. Zumindest im Netz. 1,6 Millionen Klicks heimsten Youtube-Videos ein, die verwaiste Ladenreigen in vor sich hin gammelnder Konsumarchitektur zeigen. Das Siechtum wird in den USA „Dead Mall“ genannt, übersetzt heißt das „Totes Einkaufszentrum“. Und die breiten sich in der Heimat der Shoppingcenter fast seuchenartig aus. Schuld am galoppierendem Verfall ist ein eklatanter Mietermangel. 6100 Filialschließungen registrierte das Finanzonlinemagazin 24/7 Wall St. seit Anfang des Jahres, aber nur 3400 Eröffnungen. Wenn es um Neueröffnungen geht – dergleichen ist auch in Berlin mit der „Markthalle Neun“ zu beobachten – dann sind es Food-Märkte. In den überdachten Hallen an verschiedenen Orten der Stadt werde das Angebot von Gourmetküche bis Street Food reichen, teilte die Tourismusmarketing-Organisation für den Großraum Miami kürzlich mit. Gleich sieben Hallen sollen hier eröffnet werden.
Von derlei Flurbereinigung ist Deutschlands Handelslandschaft weit entfernt. Hierzulande sehen zwei Drittel der 47 befragten Großfilialisten ihr Netz weiterwachsen, dokumentiert das vom Europäischen Handelsinstitut Köln herausgegebene Whitepaper „Expansionstrends Herbst 2017“. Jedoch sieben Standortverantwortliche akribisch, wo sie Läden weiterführen oder neue eröffnen. Lieber gemächlich wachsen als Kompromisse in Miete, Lage oder Qualität eingehen, lautet ihr Credo. Für Besitzer von Handelsimmobilien bedeutet das, sie müssen härter um ihre Mieter und Kunden kämpfen. Gerade der einstige Frequenzgarant Mall verliert an Gunst. Dort klagt fast jeder zweite Standortverantwortliche über Kundenschwund. Zum Vergleich: In Einkaufsstraßen ist es nur jeder dritte, im Fachmarkt jeder zehnte.
Auch das Schloss-Straßen-Center wehrte sich gegen den Leerstand
So gibt es auch hierzulande bereits vereinzelt Einkaufszentren, die zur Dead- Mall-Kulisse taugen, wie Bambergs Atrium oder Lüdenscheids Sauerlandzentrum. Von dem sind gerade noch eine Arztpraxis, eine Spielhalle und unzählige Sachbeschädigungen übrig. Der Geschäftsführer des Berliner Einzelhandelsverbands Nils Busch-Peterson hält solche Fälle für „moralischen Verschleiß“. Er sagt: „Es wird nicht mehr konsumiert, weil zu lange nicht investiert wurde.“ Der Abwärtstrend komme immer schleichend. Zunächst kommen weniger Besucher und erste Mieter ziehen aus. Wenn Eigentümer die Zeichen der Konsumschwäche ignorieren statt zu erneuern, wird der Leerstand chronisch und der Verfall nimmt bedrohlich Fahrt auf.
Im Umkehrschluss heißt das: Wehren Eigentümer den Anfängen, ist keine tödliche Gefahr in Verzug. Beispiele für geheilte Konsumkraft gibt es in Berlin einige. Etwa das Schloss-Straßen-Center. 2009, zwei Jahre nach Eröffnung, standen 30 Prozent der Flächen leer. Die Mall war damals eine von dreien, die in der Schloßstraße kurz hintereinander eröffnete. Dank der Umgruppierung vorhandener Mieter gelang es jedoch, eine genügend große Fläche für Berlins ersten Primark freizuschaufeln. Der Teenagermagnet behob den Leerstand auf einen Schlag und verdreifachte die Besucherzahlen auf 30 000 pro Tag. „Wir folgten dem Konzept, Marken anzusiedeln, die es nirgendwo anders in der Straße gibt. Der Mix aus Primark, Toys R Us und Cyberport schafft nachhaltig Alleinstellungsmerkmale im Wettbewerbsumfeld“, lüftet Frank Röhlings vom Centermanager CMde das Geheimnis anhaltenden Erfolgs.
Gefeit gegen Siechtum sind die Einkaufszentren der Wachstumsmetropole jedoch nicht. 67 hat Berlin derzeit, erste künstlich am Leben erhaltene gibt es bereits. Ihr Angebot ist auf einen Bodensatz Händler reduziert, von denen viele nur noch reine Umsatzmieten zahlen. „Geld verdienen die Eigentümer damit keins mehr!“, weiß Marktkenner und Handelsexperte Christoph Meyer, CM Best Retail. Namen nennt er bewusst keine. Das käme in Beraterkreisen dem Delikt der Kapitalwert-Vernichtung gleich. Wer sich jedoch in Berlins Einkaufsstätten umblickt, kann den Kreis der Verdächtigen eingrenzen. Zu den notorisch von Leerstand betroffenen gehören das Viktoria Center am Ostkreuz, das am Tierpark, das Dolgensee-Center, das Hohenschönhauser Tor oder auch zwei Center in Hellersdorf.
Sind einmal ins Koma gefallene Einkaufsstätten wiederbelebbar?
Nicht zuletzt deshalb geht es auch beim Entwicklungsgebiet „Pankower Tor“ nicht voran. Zwischen den S-Bahn-Höfen Pankow und Pankow-Heinersdorf möchte der Möbelhändler Kurt Krieger ein Einkaufszentrum bauen. Der Bezirk zieht mit. Doch die kapitalismuskritische Leitung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat Bedenken: „Fakt ist aber, dass die angestrebten 30 000 Quadratmeter Verkaufsfläche der Größe des ‚Alexa‘ am Alexanderplatz entsprechen. Bei einer solchen Größenordnung ist ein kritischer Blick deshalb angebracht, um eine Verdrängung des vorhandenen Einzelhandels im Umfeld und einen damit verbundenen möglichen Leerstand zu vermeiden. Zudem gilt es zu prüfen, ob angesichts des Strukturwandels im Einzelhandel und des sich weltweit abzeichnenden Trends der Shoppingcenterentwicklung hin zu sogenannten offenen Centern, die aus mehreren nutzungsflexiblen Baukörpern bestehen, eine große, introvertierte und baulich geschlossene Mall noch zeitgemäß ist“, teilt eine Sprecherin auf Anfrage mit.
Sind einmal ins Koma gefallene Einkaufsstätten wiederbelebbar? Handelsexperte Christoph Meyer ist skeptisch. Je länger Besitzer zögern, umso geringer sind die Chancen, ins pralle Konsumleben zurückzufinden. Gründe zu zögern gibt es einige. Einer sind gravierende Konzeptfehler wie gedrungene Decken oder fehlende Parkplätze. Dadurch sind die Objekte so unzeitgemäß, dass Abriss näherliegt als Modernisierung. Auch ein Umwidmen von Ladenflächen zu Büros oder Wohnungen hält Meyer meistens für unrealistisch. Aufgrund der baulichen Tiefe fehlt es Centern schlichtweg an Tageslicht. Doch der gewichtigste Verhinderungsgrund sind Eigentümerstrukturen. Auffällig oft befindet sich Heruntergekommenes im Besitz angloamerikanischer Fonds. Die investierten – vorm Zusammenbruch der Lehmann-Bank 2007 – oft und gern in Ostdeutschland. Nach dem Erwerb wurde pinselsaniert und die Mieten verteuert. Seither beschränkt sich das Property Management vorrangig auf unterlassene Rücklagenbildung. Nötige Modernisierungen entfallen mangels Geld. Auch auf Verkauf ist nicht zu hoffen. Denn das hieße, Buchwerte berichtigen.
Das gute alte Geschäftshaus feiert Renaissance
Worin sich Berliner Marktexperten einig sind: die Centerlandschaft wird sich über kurz oder lang gesundschrumpfen. Sicher hingegen ist, dass rege Neubautätigkeit den Standortwettbewerb weiter verschärft. Bislang ist kein Ende des Konsumtempel-Zuwachses in Sicht. 2018 sollen die East Side Mall und das Schultheiss-Quartier Moabit eröffnen. Planungen für das einstige Wertheim am Ku’damm oder das Volt Alexanderplatz sind weiterhin im Gespräch. Verdichtet wird aber nicht nur die Handelsfläche für den Lusteinkauf. Auch kleine, aufs tägliche Allerlei ausgerichtete Galerien bekommen Konkurrenz.
„Die Idee der Nahversorgung unterliegt dem Zeitgeist. Vor 30 Jahren gehörten fußballfeldgroße Elektromärkte und Kinos dazu, heute reicht ein Lebensmittelanker plus Bäcker, Apotheke und Drogerie aus“, skizziert Meyer. Der allerneusten Entwicklermode gefolgt, löst Multiuse die Monokultur ab. Einfacher gesagt, feiert das gute alte Geschäftshaus Renaissance. Statt Läden und Gastronomie in eigene Trakte zu sperren, integrieren Projektentwickler Supermärkte und Bäcker wachsend gern in die Sockelgeschosse ihrer Büro- und Wohnimmobilien. Das gilt als zukunftsträchtig, denn heranwachsende Generationen lieben die kurzen Wege.
Beste Beispiele für den neuen Konzeptgeist liefert die Österreichische Signa-Group. Im ehemaligen Kaufhof am Ost-Bahnhof ziehen nach der Kernsanierung Zalando-Büros in die Obergeschosse des ,UP!‘ ein. Das Warenhaus der Konkurrenz am Hermannsplatz wandeln sie zur apartment- und officegekrönten Innenstadtmall. Im Geschäftshaus Mediaspree Friedrichshain setzen die Österreicher auf Gastronomie und Einzelhandel im Entree. Beim Büroturm P1, einst Parkhaus in Nähe des KaDeWes, sind drei Handelsebenen vorgesehen.
Investoren glauben weiterhin an das Format Einkaufscenter
Kurzum, neben wachsender Konsumentenbegeisterung für Netzeinkäufe befeuert rege Neubautätigkeit den Wettkampf zwischen Handelsstandorten. Werden Handelsruinen hierzulande dennoch bedauerliche Einzelschicksale der Modernisierungsrenitenten bleiben? Der langjährige GfK-Konsumforscher Manuel Jahn, seit September Entwicklungsleiter beim Einzelhandelsfonds Habona Invest, zeigt sich optimistisch. „Hierzulande haben die Menschen durchschnittlich mehr Geld in der Tasche und weniger Ladenmasse zur Verfügung: Auf US-Konsumenten entfallen fast drei Quadratmeter pro Kopf, in Deutschland sind es halb so viel, in Berlin mit 1,27 Quadratmeter sogar noch weniger.“
Dass Investoren auch weiterhin an das Format Einkaufscenter glauben, beweist die Modernisierungswelle. Der frisch gestylte Kaufpark Eiche ist erst der Auftakt. Wie nachhaltig das vor Mieterschwund schützt, entscheidet die Abstimmung mit den Einkaufstüten.
Mitarbeit: Reinhart Bünger
Rahel Willhardt
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