Interview mit Primark-Deutschlandchef: "Wir tun alles, um Produktionsbedingungen zu verbessern"
Der Deutschland-Chef von Primark, Wolfgang Krogmann, spricht im Interview über das Unglück von Rana Plaza, faire Produktion und Kunden, die nur wenig ausgeben können.
Herr Krogmann, in einem Magazinbericht hieß es einmal, Primark sei Crystal Meth für die Jugend. Teenager kommen in Horden, stopfen sich die Taschen voll und shoppen sich high. Verderben Sie die Jugend?
Das ist Ihr Eindruck, aber nicht die Erfahrung, die wir machen. Als wir neu waren in Deutschland, haben junge Kundinnen an sich gerissen, was sie tragen konnten, weil sie dachten, in einer halben Stunde gebe es das Angebot vielleicht nicht mehr. Die waren dann häufig aber auch zwei bis drei Stunden angereist, saßen am Ende in der Ecke auf dem Boden und haben aussortiert. Im Durchschnitt kaufen Kunden heute weniger als drei Teile.
Wenn ein T-Shirt drei Euro kostet, fördert das nicht die Wegwerf-Mentalität? Wie soll man da Wertschätzung lernen für das, was man kriegt?
Ehrlich gesagt finde ich das respektlos gegenüber denen, die nicht mehr ausgeben können. Und davon haben wir in der Gesellschaft genug. Wir haben eine sehr breite Zielgruppe, darunter Kunden, die nur an Mode interessiert sind, aber auch Kunden, die wenig Geld haben und froh sind, dass sie dafür etwas bekommen, das auch noch gut aussieht.
Tragen Sie Primark?
Anzüge gibt es nicht in meiner Größe, aber die Socken sind von Primark, die Krawatte auch. Die Krawatte hat 2,50 Euro gekostet. Sieht man ihr nicht an.
Eine Krawatte muss man nicht oft waschen. Wie steht es um die Qualität der T-Shirts?
Unsere T-Shirts werden in den gleichen Fabriken und aus den gleichen Materialien hergestellt wie die bekannter Mitbewerber. Die Menschen fragen uns: Warum verkauft ihr T-Shirts so billig? Ich frage: Warum verkaufen sie die anderen teurer? Wir erlauben uns eine sehr schlanke Struktur ohne Werbung, ohne Superstars, mit einer ganz flachen Verwaltung und hoch effizienter Logistik, so können wir günstige Preise anbieten.
Dann hält ein Primark T-Shirt genauso lange wie eines von Hilfiger?
Das hängt zuallererst vom Kunden ab. Wenn das 50 Euro teure Designer-T-Shirt von Hand gewaschen, liegend getrocknet und vorsichtig gebügelt wird, darf man es nicht vergleichen mit einem Primark-Teil, das man mit Handtüchern zusammen in der Maschine schleudert und anschließend in den Trockner tut. Ich habe meine Kinder gelehrt, die Dinge mit einer gewissen Würde zu behandeln und zu pflegen, egal, was sie gekostet haben.
Kaufen Ihre Töchter bei Primark?
Auch. Meine jüngste ist 21, die älteste 24. Sie ist Juristin und eine sehr kritische Konsumentin. Die setzt mich ganz schön unter Druck: Wo kommt das her? Kannst du deine Hand dafür ins Feuer legen, dass bei der Produktion dieses und jenes beachtet wurde?
Und? Können Sie Ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass Ihre T-Shirts unter menschenwürdigen, fairen Bedingungen hergestellt wurden?
Ja. Und ich kann meine Hand dafür ins Feuer legen, dass wir alles tun, was wir können, um die Produktionsbedingungen weiter zu verbessern. Im vergangenen Juni war ich in Bangladesch, habe mit Arbeitern und Managern gesprochen. Wir haben Teams vor Ort, die die Einhaltung unseres Verhaltenskodex überprüfen.
Alles, was Sie können – wodurch ist das begrenzt? Es scheint doch so einfach zu sein: Ein Euro mehr pro T-Shirt, ein Euro mehr für die Näherin, die damit ihre Familie ernährt.
Es sind nicht unsere Fabriken. Wir teilen sie mit 98 Prozent unserer Wettbewerber. Das sind schon ausschließlich A-Fabriken, die in der Lage sind, unsere strikten Bedingungen zu erfüllen. Aber die Dinge werden dort nicht so kontrolliert, wie wir es gewöhnt sind. Wir gehen in die Personalbüros, checken Arbeits- und Pausenzeiten, beobachten, wie das Management mit den Mitarbeitern umgeht, wie die Auszahlung des Gehalts erfolgt und und und. Im letzten Jahr hatten wir 2412 offizielle Kontrollen in den Fabriken, in denen wir herstellen lassen. Das größte Beschaffungsland ist übrigens China. In Bangladesch befindet sich ein kleinerer Teil unserer Fabriken.
Wieso hat man das nicht früher gemacht? Wie konnte es zu Unglücken wie dem Fabrik-Einsturz in Rana Plaza kommen?
Wir haben uns immer schon Produktionsbedingungen angeguckt, aber nicht die Statik. In Rana Plaza sind zwei Stockwerke illegal aufs Gebäude gesetzt worden, mit schweren Textilmaschinen. Heute beschäftigen wir ein Team aus Ingenieuren, die die Gebäudesicherheit und Statik überprüfen.
Wieso Primark auf die Flüchtlinge hofft
Die Katastrophe vom April 2013 ist eng mit dem Namen Primark verknüpft: Bilder, die Ihre Etiketten im Schutt der Unglücksstelle zeigten, gingen um die Welt. Wie sehr hat das dem Unternehmen geschadet?
Wir waren alle geschockt von dem Einsturz. Primark war das erste Unternehmen, das offen mit der Situation umgegangen ist. Wir waren vor Ort, haben Opferfamilien mit Lebensmitteln versorgt und nicht nur Geld gezahlt, sondern den Menschen auch geholfen, es anzulegen. Also haben wir ihnen Konten eingerichtet.
Wenn Sie sich so engagieren, wieso sind Sie bis heute nicht dem Deutschen Textilbündnis beigetreten?
Wir sind seit mehreren Jahren Mitglied in der Ethical Trading Initiative (ETI) von Einzelhandel, Gewerkschaften und NGOs. All das, was wir dort machen, erfüllt nach unserem Kenntnisstand bei weitem das, was im deutschen Textilbündnis gefordert wird. Wir wollen aber nicht in etliche nationale Bündnisse eintreten, deren Verwaltung viel Arbeit macht, sondern ein internationales. Das will übrigens auch Frau Merkel. In der ETI gehören wir nebenbei erwähnt seit drei Jahren zur Gruppe der Leader, die als beispielhaft gelten, weil sie nachgewiesenermaßen viel zur Verbesserung der sozialen und ökologischen Situation in den Lieferbetrieben geleistet haben.
Sie zahlen jetzt nach Tarif. Arbeiten Sie auch an Ihrem Image als Arbeitgeber?
Das muss jeder. Wir tun viel dafür, dass sich die Leute wohlfühlen – am Alex haben wir gerade eine schicke Kantine eröffnet. Und wir bieten Perspektiven: 70 Prozent unserer Führungskräfte haben wir aus eigenen Reihen entwickelt, haben eine eigene Weiterbildungsakademie. Wir bieten rasche Aufstiegschancen, übrigens auch für Menschen ohne Schulabschluss.
Zahlreiche Flüchtlinge kommen ohne Jobs und ohne Klamotten in dieses Land. Kann Primark von ihnen profitieren?
Das beruht auf Gegenseitigkeit. Am Alex haben wir viele Mitarbeiter, die in einer früheren Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen sind. Wir arbeiten eng mit der Agentur für Arbeit zusammen. Auf Kundenseite merken wir bereits, dass Leute mit Betreuern und Sozialgutscheinen zu uns kommen: Bei einer Million neuer Menschen im Land, die alle Geld vom Staat bekommen, profitiert der gesamte Handel – aber Gucci und Prada vielleicht weniger als wir.
Wie sieht der Durchschnittskunde aus? Betrachtet sich Primark als Konkurrent von H&M oder als Konkurrent von Kik?
Wir überschneiden uns mit vielen Firmen. Die Kernzielgruppe beginnt bei 15, 16 und geht bis 35. Wir beobachten aber, dass etwa in Steglitz unsere Kunden mitwachsen. Es kommen immer mehr Familien.
Nahezu alle anderen Händler haben in Onlineshops investiert. Fühlen Sie sich über diese Notwendigkeit erhaben?
Das ist eine Preisfrage. Wir sind im Internet gut vertreten, 70 Prozent unserer Kollektion kann man sich auf unserer Seite angucken, und wir genießen ein tolles virales Marketing: Auf Youtube führen zum Beispiel junge Kundinnen ihre Einkäufe vor. Aber bei den knappen Margen, mit denen wir kalkulieren, können wir uns einen Onlineshop nicht leisten. Allein die Retourenabwicklung verursacht enorme Kosten. Also konzentrieren wir uns auf unsere Läden.
In Darmstadt haben Sie gerade die 19. deutsche Filiale eröffnet, in Berlin gibt es zwei. Planen Sie weitere?
Es ist nicht so leicht, in dieser Stadt ausreichend Fläche zu finden. Wir wollen gewachsene Handelsstandorte, wo es auch Kundenfrequenz gibt, und eine gute Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Aber wir können uns grundsätzlich noch einen weiteren Standort vorstellen. Davon profitieren übrigens auch andere: Fragen Sie mal die Cafes und Restaurants in unserer Nachbarschaft, die mögen uns.
Primark rettet die Innenstädte?
Das wäre doch eine schöne Schlagzeile.
Primark, 1969 gegründet, ist derzeit mit 299 Gesellschaften in zehn europäischen Ländern aktiv. In Läden mit mehreren tausend Quadratmetern Fläche verkauft die Kette Kleidung, Schuhe und Accessoires sowie Home-Artikel zu sehr niedrigen Preisen. Insgesamt beschäftigt das Unternehmen 62.000 Mitarbeiter, davon 6000 in Deutschland.
Wolfgang Krogmann war zehn Jahre lang Deutschlandchef bei Hennes & Mauritz. Seit 2010 verantwortet er das Geschäft von Primark in Deutschland und Österreich. Weitere Stationen seiner Karriere waren die Textilhändler Jean Pascale, Ulla Popken und Adler. Krogmann hat drei Kinder und lebt in Hamburg. Mit ihm sprach Maris Hubschmid.
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