Rückläufige Wohneigentumsquoten: Luftschloss Eigenheim
Auf angespannten Wohnungsmärkten sind die Eigentumsquoten rückläufig. Weniger als die Hälfte der Eigentümer sind Selbstnutzer.
Die meisten Niederländer haben sich den Traum von den eigenen vier Wänden erfüllt, ebenso die Polen, Italiener oder Briten: „My home is my castle.“ 70 Prozent der Europäer wohnen im eigenen Heim. Die Deutschen belegen in dieser Hinsicht mit Abstand den letzten Platz in der EU.
Steigende Mieten und Niedrigzinsen haben die Nachfrage nach Baukrediten in den vergangenen Jahren zwar angekurbelt – aber der Anteil der Eigentümer ist sogar gesunken auf 52 Prozent. In weiten Teilen Deutschlands ist in den letzten Jahren auch der Anteil derer, die in selbst genutztem Wohneigentum leben, zurückgegangen. Dies ergab eine aktuelle Kurzstudie des Pestel-Instituts („Eigentumsbildung 2.0 – Stand und Entwicklung der Wohneigentumsbildung auf der Ebene der Länder und der Kreise und kreisfreien Städte"). Sie wurde in Auftrag gegeben vom Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerks- und Wohnungsbau (DGfM), dem Immobilienverband IVD und dem Verband Privater Bauherren (VPB). Sie haben sich im „Verbändebündnis Wohn-Perspektive Eigentum“ zusammengeschlossen.
Die Eigentumsquote wird allem Anschein nach bundesweit langfristig senken
Dem Gutachten zufolge haben zwar etwas mehr Menschen in Deutschland eine eigene Wohnung oder ein eigenes Haus. Zwischen 2011 und 2015 ist die Eigentumsquote einer am Montag vorgestellten Untersuchung des „Verbändebündnisses Wohnperspektive Eigentum“ zufolge bundesweit leicht gestiegen. Der Anteil derjenigen, die ihr Wohneigentum auch selbst nutzen, liege aber weiterhin bei rund 45 Prozent.
In Regionen mit angespanntem Wohnungsmarkt wie Bayern, Baden-Württemberg und Hessen leisten sich demnach immer weniger Menschen ein Eigenheim. Das gelte auch für 30- bis 40-Jährige – die Generation der Häuslebauer. Es sei daher zu befürchten, dass bundesweit die Eigentumsquote langfristig sinkt.
Warum ist das so? Experten nennen neun Gründe. Einer der wichtigsten liegt lange zurück: Nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Städte zerbombt, es wurde rasch Wohnraum gebraucht, auch für die Millionen Heimatvertriebenen. Staat, Unternehmen und Wohnbaugenossenschaften zogen in der jungen Bundesrepublik massenhaft Mietwohnungen hoch, wie Alexander Schürt vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung erklärt. Deshalb ist der Bestand an Häusern aus den 1950er und 1960er Jahren hier so hoch.
Deutschland ist außerdem dicht besiedelt, doppelt so dicht wie die EU insgesamt. „In der Stadt gibt es eher Geschosswohnungsbau, und das geht oft einher mit Mietwohnungen“, sagt Schürt. Auch heute boomt vor allem der Bau großer Wohnhäuser in den Städten. „In Italien oder Spanien ist der Mietwohnungsmarkt nicht so gut“, sagt Ludwig Dorffmeister, Immobilienexperte des Münchner Ifo-Instituts. „Mietwohnungen haben auch einen schlechteren Ruf, zum Beispiel in Großbritannien.“ Der deutsche Baustandard ist dagegen hoch, auch „die Qualität der Mietwohnungen in Deutschland ist vergleichsweise gut, man muss nicht eigene vier Wände haben, um gut zu wohnen“, sagt Schürt.
Der Staat belastet Käufer mit hohen Nebenkosten
Und dazu kommt: „In Deutschland sind Mieter besser geschützt als in vielen anderen europäischen Staaten“, wie Schürt sagt. Der Kündigungsschutz ist hoch, die Politik eher mieterfreundlich. Jüngstes Beispiel: die Mietpreisbremse.
„Wir müssen weg von einer Mietenpolitik hin zu einer Wohneigentumspolitik“, sagt dazu Jürgen Michael Schick, Immobilienmakler in Berlin und Präsident des Immobilienverbands Deutschland (IVD). Schick spricht sich angesichts des Pestel-Gutachtens für Eigenkapitalzuschüsse des Staates für Schwellenhaushalte aus. Private Ersterwerber sollten zudem von der Grunderwerbsteuer befreit werden.
Doch noch belastet der Staat Käufer mit hohen Nebenkosten. Bayern kassiert 3,5 Prozent Grunderwerbsteuer, Nordrhein-Westfalen sogar 6,5 Prozent. Dazu kommen 1,4 Prozent Notargebühr plus Maklercourtage – das alles verteuert den Kauf schnell um zigtausend Euro. Dies schrecke viele ab, sagt Dorffmeister. Zumal das Geld bei einem Verkauf verloren ist. Die Briten dagegen könnten alle zehn Jahre umziehen, „die verkaufen halt ihr Haus und kaufen ein neues“.
Zugleich fährt die Politik bei der Förderung von Wohneigentum einen Schlingerkurs. Lange unterstützte der Staat gut verdienende Häuslebauer steuerlich. Von 1996 bis 2006 gab es dann Kinder- und Eigenheim-Zulagen bis zu bestimmten Einkommensgrenzen. Heute hilft der Bund noch ein bisschen mit billigen Krediten und Wohn-Riester – aber „im Prinzip ist das ein Feigenblatt“, sagt Dorffmeister. Grunderwerbsteuer erhöht und Eigenheimzulage gestrichen – „wir sind Schlusslicht mit Ansage“, kritisiert Stephan Kippes, Leiter der Marktforschung beim Immobilienverband Deutschland Süd.
An vielen Normalverdienern geht der Bauboom vorbei
Im Beruf ist heute Mobilität gefordert. Wer nach Ausbildung oder Studium eine Stelle sucht, muss vielleicht in eine andere Stadt umziehen, bekommt mitunter sogar nur einen befristeten Vertrag. Die Immobilie aber macht eher immobil. „In Südeuropa haben viele ihr eigenes Häuschen, die Leute sind stärker verwurzelt in ihrer Region. Das ist auch eine Mentalitätsfrage“, sagt Dorffmeister.
Wo das Vertrauen in den Staat geringer und die sozialen Sicherungssysteme schwächer sind, bietet ein Häuschen im Alter ein Stück Sicherheit. In Deutschland funktioniert der Sozialstaat, und die gesetzliche Rente hat zumindest bislang den meisten für einen auskömmlichen Lebensabend gereicht.
„Den Baufirmen ging es seit der Wiedervereinigung noch nie so gut“, teilte das Ifo-Institut nach der jüngsten Konjunkturumfrage mit. An vielen Normalverdienern geht der Bauboom jedoch vorbei. Nicht nur die Mieten, auch die Grundstückspreise in den Ballungsräumen und die Baukosten sind enorm gestiegen. Ein gebrauchtes Einfamilienhaus in München kostet laut Bundesinstitut im Durchschnitt 1,2 Millionen Euro – in einigen anderen Regionen gebe es dafür ein Dutzend Häuser. „Die Frage ist, ob man dort Arbeit findet und wohnen will“, sagt Dorffmeister.
Neue Wohnungen in Berlin sind meist für Vermietungen vorgesehen
Er sieht zwei gegenläufige Tendenzen: Niedrigzins, Inflationsangst und die Suche nach einer sicheren Geldanlage erhöhen die Eigentumsquote – der Bau neuer Mietwohnungen für Flüchtlinge und Zuwanderer senkt sie. „Insgesamt hebt sich das in etwa auf.“ In Berlin dürfte die Eigentumsquote wegen des Zuzugs – auch wegen des Zuzugs von Flüchtlingen – deutlich rückläufig sein, sagt Pestel-Vorstand und Studienleiter Matthias Günther. Und die im Bau befindlichen Wohnungen seien eher für hochpreisige Vermietungen vorgesehen, nicht für die Eigennutzung durch Eigentümer.
Unter diesen Vorzeichen gerät das Umfeld von Metropolen in den Blick: Das Verbändebündnis forderte in dieser Woche in Berlin die bessere Anbindung der „Speckgürtel“ an die Ballungsräume. „Es geht ums Wohnen – aber es geht auch um Wohnen und Arbeiten“, sagte Thomas Penningh, Präsident des Verbandes Privater Bauherren: „Das Thema ist noch gar nicht weitergedacht worden.“
(mit dpa)