Berlins Wiederaufbau nach 1945: Auf der Suche nach der neuen Stadt
Nach dem Kriegsende gab es in Berlin viele Pläne. Zum neuen Baumeister aber wurde das Faktische. Das zeigt auch ein Blick in alte Tagesspiegel-Berichte.
Die offizielle Erinnerungskultur erkennt heute mit Blick auf das Kriegsende vor 75 Jahren – je nach dem politischen Standort – das Bild von der siegreichen Roten Armee. Oder sie erkennt im Tag der Kapitulation, an dem das Deutsche Reich nach fast sechs Jahren Krieg und Millionen von Toten schließlich seine Niederlage eingestehen musste, nach Richard von Weizsäcker den „Tag der Befreiung“.
Wer damals auf den zerbombten Straßen Berlins unterwegs gewesen sein mag, dürfte sich an einen Schwebezustand erinnern. An Suizide, an Vergewaltigungen, Schikanen, an Flüchtlinge und Kriegsheimkehrer, an Angst und Perspektivlosigkeit – und an die Suche nach Anverwandten und Freunden. „Leute laufen betreten durch die Straßen“, notierte Erich Kästner unter dem 7. Mai in sein Tagebuch. „Die Lücke zwischen dem Nicht-mehr und dem Noch-nicht irritiert sie.“
Der Tagesspiegel begleitete diesen Prozess des Neuanfangs seit dem 27. September 1945. Wer die alten Ausgaben auf der Suche nach moralisch und materiell Verfüg- und Verwertbarem durchstöbert und die ersten Anzeichen für eine Rekonstruktion – oder besser eine Neuplanung der Stadt? – sucht, findet eine Vielzahl von Anordnungen. Er findet entschlossenen Wiederaufbauwillen („Jetzt erst recht!“) gepaart mit der Fähigkeit zu einem routinierten Wegducken („Mir kann keener!“).
Der Wiederaufbau verlangte Geduld - die hatte nicht jeder
So hatte der Tagesspiegel zwar einerseits Verständnis dafür, dass die Berliner Bevölkerung im März 1946 noch nicht wieder richtig zu Kräften gekommen war, wunderte sich unter der Zeile „Das ist zuviel“ aber über den Krankenstand auf der Baustelle des „Hauses der Zentralverwaltung“, zuvor Reichsluftfahrtministerium. Heute hat dort das Bundesfinanzministerium seinen Sitz.
„Am 16. Februar (1946, d. Red.) fehlten von den an diesem Tage eingesetzten 3129 Bauarbeitern 1026, vier Tage später von 3549 Bauarbeitern 1233, und am 23. Februar von 3414 eingesetzten Arbeitern sogar 1321. Hier scheint nicht die Gesundheit sondern die Moral schlecht zu sein.“ Wer wollte es ihnen heute verdenken? Der Wiederaufbau war als Kraftanstrengung eine Zumutung. Und eine Geduldsprobe. „Wir sind nicht der Hoffnung (…) gewesen, daß nach dem 2. Mai 1945, als der Waffenlärm in Berlin, und nach dem 8. Mai 1945, als der Waffenlärm in Deutschland verstummte, sofort alles anders, alles besser werden müsse“, versuchte dieses Blatt zur Jahreswende 1945/46 auf unruhige Geister und Gemüter einzuwirken.
Glaubt man dem Tagesspiegel, so blieb die Gesamtzahl der im Berliner Verwaltungsapparat Beschäftigten „unter der an und für sich schon niedrigen Ziffer vor dem Zusammenbruch. Über 25.000 Nationalsozialisten wurden entlassen. Heute arbeitet die Verwaltung mit 28.000 Personen gegenüber 31.000. Unter Einschluss der Post und Polizei beschäftigt die Stadtverwaltung rund 85.000 Personen.“ Zum Vergleich: Heute hat das Land Berlin laut Senatsverwaltung für Finanzen mehr als 110.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Nach dem Krieg galt es zunächst, den verfügbaren Wohnraum festzustellen und zu verteilen. Der unablässige Strom der Evakuierten und Heimkehrer erschwerte die Planung. Oft wurde improvisiert, was sonst? Die Bezirksbürgermeister erhielten zwar Richtlinien der Berliner Stadtverwaltung, hatten jedoch mehr selbstständige Entscheidungen zu treffen, als ihnen in der Mangelwirtschaft wohl lieb war.
Die erste Sorge galt der Ernährung, die zweite dem Wohnraum
Förderbänder, Lastwagen und -kähne, Bagger und anderes Großgerät waren dem Größenwahn zum Opfer gefallen. Mit der Einführung des Verwaltungsstatuts vom 1. August 1945 wurde die Verantwortung für das ganze Aufgabengebiet der Bezirksverwaltungen kurzerhand den Bürgermeistern und Bezirksräten übertragen.
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Ihre Hauptsorge galt zwar der Ernährung. Doch dann kam schon das Bau- und Wohnungswesen. „Die ganze Stadt Berlin wird (…) zum Brennpunkt des Wohnungsbedarfes erklärt“, hieß es in einer Anordnung der Alliierten Kommandantur vom September 1946. Punktum.
Der Zuzug war ein großes Problem. In Berlin ging es nach dem Krieg neben der Instandsetzung von Wohnungen (und deren Vergabe) um die Begeh- und Befahrbarkeit von Straßen, die Organisation von Abbruch- und Enttrümmerungsarbeiten, das Herrichten öffentlicher Gebäude, Schulen und Fabriken.
Berlin entstand wieder aus Ruinen. Denn die 50 bis 60 Millionen Kubikmeter Trümmermasse wurden zur Baustoffgewinnung mithilfe neuer Großenttrümmerungsanlagen zermahlen. 1948 gab es fünf davon. „An ganzen, halben und Dreiviertel-Steinen, die in der vorgefundenen Form wieder verwertbar sind, wurden bisher in Berlin etwa 280.000.000 – in ganzen Steinen gerechnet – geborgen“, errechneten die Ämter gut drei Jahre nach der Kapitulation.
Berlins Nachkriegsgeschichte ist reich an Abrissirrtümern. Geschmackssicherheit und Stilempfinden spielten nicht immer die entscheidende Rolle. Das Völkerkundemuseum beispielsweise war nicht stärker zerstört als der benachbarte Martin-Gropius-Bau, die Synagoge in der Fasanenstraße war besser erhalten als das Schauspielhaus und die Dome am Gendarmenmarkt.
Der sowjetfreundliche Stadtplaner Hans Scharoun kann seine Pläne nicht umsetzen
Für den Aufbau Berlins sollte 1946 ein Plan gemacht werden. Innenwohnblöcke sollten – entkernt – zu Grünanlagen werden. Überhaupt sollte „der Flachbau mit Gartenanteilen stärker in das Stadtbild Berlin eingerückt“ werden. Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen war Hans Scharoun, 1945–1946 für Stadtplanung zuständig. Sein gemeinsam mit gleichgesinnten Bauhaus-Mitarbeitern entwickelter „Kollektivplan“ sah eine komplette Neuordnung Berlins vor und demonstrierte die Nähe zur sowjetischen Besatzungsmacht. „Ein planerisches Glaubensbekenntnis für eine völlig neue Stadt Berlin“, wie Berlins ehemaliger Senatsbaudirektor Hans Stimmann rückblickend schrieb.
Das vorhandene Radial- und Ringstraßensystem aus Hobrechts Zeiten wurde flugs durch ein Rechtecksystem aus Schnellstraßen, die durch eine grüne Stadtlandschaft führen sollten, ersetzt. „Die mechanische Auflockerung durch Bombenkrieg und Endkampf gibt uns jetzt die Möglichkeit einer großzügigen organischen und funktionellen Erneuerung“, schrieb der Architekt Scharoun: „Wir müssen aus den natürlichen Gegebenheiten, aus den sozialen Bedingungen und aus den menschlichen Unterlagen die Neue Stadt bauen.“
Scharouns Leitbild in Stimmanns Worten zusammengefasst: „Die City sollte in moderner Architektur, aber in der alten Lage zwischen Potsdamer Platz und Spree neu entstehen, das administrative Stadtzentrum zwischen Alexanderplatz und Spree neu gebaut werden.“ Als Außenseiter prägte Scharoun die Epoche des Wiederaufbaus, mehr noch mit Entwürfen als mit Gebautem (Philharmonie, Berlin 1963).
Anfang April 1947 wurden Scharouns Pläne über die künftige Planung Groß-Berlins Makulatur. Aus den Wahlen 1946 war die SPD mit knapp 49 Prozent siegreich hervorgegangen. Scharouns Nachfolger als Leiter der Abteilung Bau- und Wohnungswesen war ein SPD-Mann und lehnte die Ordnungsprinzipien des Kollektivplans ab.
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Der Tagesspiegel berichtete gegen Ende 1947: „Karl Bonatz geht mit seinem Plan mehr beamtlich und ökonomisch als ideologisch vor. Er setzt sich auch mit den historischen Gegebenheiten weit mehr als Scharoun auseinander. Er löst Berlin nicht in einzelne Stadtquartiere auf, die von den Verkehrsstraßen gegeneinander abgegrenzt sind, er behält die Radialstraßen bei und bewahrt den Charakter einer Kernstadt, deren Erweiterungen er ringförmig zusammenschließt. Bonatz rechnet auch weit mehr mit den Werten, die unter dem Boden liegen, also besonders mit Installation und Grundmauern.“
Bonatz glaubte nicht, dass auf den Trümmern der Städte so geplant werden könne, als ob hier niemals etwas gestanden habe. Doch auch Bonatz’ Plan wurde von der politischen Wirklichkeit überholt. Die Spaltung der Stadt sollte zu gegensätzlichen Vorstellungen führen, wie – und wo – in Berlin was an zentralen Stellen zu bauen sei.
Die "Bau-Leistungsschau 1948": Endpunkt der ersten Wiederaufbau-Etappe
Mitten in der Berlin-Blockade (24. Juni 1948 bis 12. Mai 1949) markiert die „Bau-Leistungsschau 1948“ unter Mitwirkung der Abteilung für Bau- und Wohnungswesen beim Magistrat (24. September bis 10. Oktober 1948) den vorläufigen Schlusspunkt des unmittelbaren Wiederaufbaus Groß-Berlins.
„Rund einhundert Firmen stellen nahezu alles aus, was die Bauwirtschaft in Berlin und in den Zonen gegenwärtig produziert: Fräs- und Bohrmaschinen, moderne Einrichtungen von Badezimmern, Beschläge und Normteile, Stahlrohr-, Polster- und andere Möbel, Glaspavillons und Glasgärten in vielen Variationen, Werkzeuge aller Art, Oefen und Herde. Neu entwickelte Baustoffe, Dach-, Hohl- und andere Ziegel, Preßstoffplatten und holzsparende Baustoffe, die in Berlin hergestellt werden“, berichtete der Tagesspiegel.
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Das Hauptamt für Stadtplanung stellte einen neuen Plan zur Schau: Die Bebauung sollte geordnet und nach Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Krankenhäuser, Hochschulen, Regierungsstandorte) getrennt werden. „Als Hauptstandort dieser besonderen Aufgaben ist das Gebiet der alten City von Berlin vorgesehen“, heißt es im Ausstellungskatalog. Die einseitige Bevorzugung des Westens solle aber zurückgedrängt werden „durch die Entwicklung starker Ausstrahlungen nach Osten (Gegend um den Friedrichshain), nach Süden (Gegend um den Hermannplatz) und nach Norden (Gegend um den Wedding)“.
Jede Eintrittskarte zur „Bau-Leistungsschau 1948“ war zugleich ein Los und jeder Gewinn ein Bezugschein: für Glas, Dachpappe, Nägel, Glühbirnen oder andere Baustoffe, die von der britischen Militärregierung zur Verfügung gestellt wurden und sofort auf der Ausstellung gekauft werden konnten. Dies alles herangeflogen über eine Luftbrücke von der Royal Air Force, die mit dem ersten großen Bombenangriff die Zerstörung der Stadt im Herbst 1940 eingeleitet hatte.