Frühe Bauten von Hans Scharoun: Der Weg zur Philharmonie
Im ostpreußischen Insterburg begann Hans Scharoun seine Laufbahn als Architekt. Seine dortigen Bauten sind fast vollständig verschwunden.
Ostpreußen zählt zu den Gegenden, die aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden sind. Das Band zu dieser Region, die einmal Heimat war, ist durch die Generationenfolge dünn geworden oder bereits gerissen. Dadurch sind aber auch historische Kenntnisse verloren gegangen, die zum Verständnis notwendig sind.
Beispielsweise zum Verständnis von Hans Scharoun. Der Baumeister von Philharmonie und Staatsbibliothek in Berlin war vor dem Zweiten Weltkrieg Professor für Architektur an der Breslauer Akademie; auch sie ist als ein Zentralort der Moderne der Weimarer Republik heute nahezu vergessen. Vor der Berufung dorthin im Jahr 1925 arbeitete Scharoun zehn Jahre lang in Ostpreußen mit eigenem Büro in Insterburg.
Bereits ab August 1915 lief ein umfangreiches Wiederaufbauprogramm für das zu Beginn des Ersten Weltkriegs vom Einmarsch der russischen Armee stark in Mitleidenschaft gezogene Ostpreußen an. Rund 100 000 Bauten waren zerstört. Scharoun wirkte als Architekt am Aufbau mit. Bis 1914 hatte er an der Technischen Hochschule in Charlottenburg studiert; einen Abschluss machte er damals und auch später nicht. Dafür hatte er in Ostpreußen reichlich Gelegenheit zu praktischer Erfahrung. Das Werkverzeichnis Scharouns, das die Berliner Akademie der Künste ihrem langjährigen Mitglied erstellt und 1993 vervollständigt hat, weist 14 ausgeführte Bauten in Ostpreußen aus; jüngere Ergänzungen zum Frühwerk lassen eine Gesamtzahl von über 40 ostpreußischen Projekten vermuten.
Expressive Formen als Ausweis einer neuen Zeit
Viel sei nicht erhalten von Scharouns Frühwerk, bedauert Dimitri Suchin. Er ist selbst Architekt und lebt in Berlin, wo er als Vorstand des „Fördervereins Kamswyker Kreis“ amtiert. Der hat seinen Sitz in einem Scharoun-Gebäude, dem 1928/29 errichteten Appartementhaus am oberen Kaiserdamm, seinerzeit als „Junggesellenhaus“ bezeichnet. Doch eins der umfangreichsten Projekte steht noch, die damals „Bunte Reihe“ genannte Siedlung an der Kamswyker Allee von 1920/21, auch als Siedlung „Kamswykus“ bekannt, in Insterburg, dem heutigen Tschernjachowsk. Sie ist in jener gemäßigt expressionistischen Formensprache gehalten, die damals in Deutschland weit verbreitet war, und für die sich in Berlin manche zumeist jedoch überformte Beispiele finden. Es sind Bauten, die expressive Formen als Ausweis einer neuen Zeit verwenden. Sie gehen den großen Leistungen der Weimarer Zeit voran, jenem „Neuen Bauen“, wie es Scharoun selbst mit der Siedlung Siemensstadt in Berlin verwirklicht hat.
Bereits in Insterburg wandte Scharoun sich einer sachlicheren Formensprache zu, wie seine 1924 fertiggestellten Wohnhäuser am dortigen Parkring zeigen, deren gerundete Balkons ein für Scharoun typisches Element wurden. Diese als „Siedlung Germaniagarten“ errichtete Hausreihe sei „restlos verschwunden“, bedauert Suchin – bis auf zwei Möbelstücke aus der dortigen Wohnung Scharouns.
Im heutigen Tschernjachowsk steht Scharouns Frühwerk noch – noch, wie Suchin betont, der mit dem Förderverein „Patenschaften“ vermittelt, materielle Unterstützung für diese und womöglich andere, noch zu ermittelnde Bauten Scharouns (Mehr unter pate.instergod.ru).
„Bunte Reihe“ gehört zu den meistgefährdeten Denkmalen
Für die „Bunte Reihe“ hat der Architekt den Versuch unternommen, das einstige Aussehen zu rekonstruieren, das, wie der Name es sagt, ein farbiges war: Man denkt an die Experimente, die Bruno Taut, der 13 Jahre ältere Zeitgenosse Scharouns, bereits vor dem Krieg bei der „Tuschkastensiedlung“ in Berlin-Falkenberg unternommen hat. Alle Architekten, die sich wie Taut und Scharoun 1919/20 im Freundeskreis der „Gläsernen Kette“ austauschten, strebten danach, Architektur farbig zu gestalten.
Fotografien aus Tschernjachowsk zeigen einen weit vorangeschrittenen Verfall der Bauten. Eile ist geboten: Bereits im Jahr 2014 setzte die Denkmalschutzvereinigung Europa Nostra die „Bunte Reihe“ auf ihre Liste der „Sieben meistgefährdeten Denkmale“. Europa Nostra ist Mitveranstalter des „European Cultural Heritage Summit“ am 21./22. Juni in Berlin, der im Rahmen des Europäischen Kulturerbejahres 2018 stattfindet.
Von Scharouns Insterburger Frühwerk geht die Entwicklung über die Berliner Bauten vor 1933 bis zu seinem Spätwerk, in dem Scharoun wiederum expressiv ist, nicht jedoch expressionistisch. Den Anfang gemacht hat er im ostpreußischen Insterburg.
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