Zoodirektorin, Dozentin, Oberbürgermeisterin: Drei Frauen, die Berlin nach dem Krieg wieder aufbauten
Katharina Heinroth, Roswitha Wisniewski, Louise Schroeder - sie hielten zusammen mit anderen Frauen Berlin am Laufen. Drei Porträts.
Sie wolle zeigen, dass jeder zweite Berliner eine Frau ist, sagte die Kuratorin Martina Weinland bei der Eröffnung einer Ausstellung im Berliner Stadtmuseum 2016. 20 Frauen war sie gewidmet, die zwischen 1829 und 1909 geboren wurden und allesamt auf ihre Art gegen das Diktat des Mieders angekämpft hatten.
Es war nie leicht, eine Frau zu sein, doch zum Ende des Zweiten Weltkriegs muss dies noch eine Untertreibung gewesen sein.
Knapp eine Million Frauen sollen laut Historikern zum Kriegsende vergewaltigt worden sein. Gleichzeitig hielten Frauen an der Heimatfront das Land am Laufen.
Allein bei der BVG waren zum Kriegsende 5000 Frauen angestellt. Zumindest im Osten sollten viele von ihnen bleiben, während Wirtschaftswunder und konservative Familienpolitik viele Frauen im Westen zurück in das Modell der Hausfrau des Alleinverdieners drängten. Trotzdem prägten viele Frauen den Wiederaufbau Deutschlands – auch jenseits des Trümmerfrauen-Mythos.
Exemplarisch seien hier drei Frauen genannt, die herausstechen. Doch mit ihrer Aufopferungsbereitschaft und ihrem Mut stehen sie für so viele mehr.
KATHARINA HEINROTH (1897–1989)
In der Stunde des größten Chaos übernimmt Katharina Heinroth Verantwortung. Zoodirektor Lutz Heck hat sich in den letzten Kriegstagen aus Angst vor den Russen in Richtung Westen abgesetzt.
Im Frühjahr 1945 wird die damals 48-Jährige die einzige weibliche Zoodirektorin Deutschlands, führt den Berliner Zoo am Hardenbergplatz – oder das, was davon übrig ist. Das Gelände ist verwüstet, fast alle Gebäude zerstört, von mehr als 4000 Tieren überlebten nur 91 die Schlacht um Berlin. Darunter „Knautschke“, das zweijährige Nilpferdkalb, Elefantenbulle Siam und ein Watussirind mit einrasiertem Hakenkreuz auf dem Fell.
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Nicht alle Tiere überleben die Nachkriegszeit. Es gibt kaum zu essen. Nicht für hungernde Menschen, schon gar nicht für darbende Affen. Einige Paviane werden von der Bevölkerung offenbar sogar entführt und gekocht.
Die Not erlebt Heinroth hautnah. Ihr Mann Oskar, Ornithologe, Begründer der vergleichenden Verhaltensforschung und Erbauer des Aquariums, stirbt wenige Tage nach Kriegsende an Entkräftung. Die Witwe versucht den Suizid – doch die 40 Jahre alte Zyankalikapsel, die ihr Mann einst von einer Südsee-Expedition aufbewahrte hatte, wirkt nicht. Schnell fasst sie neuen Mut, der Wiederaufbau des Zoos wird zu ihrer Lebensaufgabe. Ihr Motto: „Tu was, dann wird dir besser.“
Auf dem Schutt des Krieges legt Heinroth den Grundstein für den neuen Berliner Zoo. Energisch widersetzt sie sich Plänen, Geschäftsgebäude auf dem Zoogelände zu erbauen. Auch den Befehl der Alliierten, alle Bäume abzuholzen, verweigert die Zoologin trotz Androhung der Todesstrafe couragiert. Die Bäume bleiben, und auch einen Umzug in den Grunewald verhindert sie. Zoo und Aquarium bleiben im westlichen Stadtzentrum – und erleben eine Renaissance.
Heinroth führte das Oktoberfest in Berlin ein
In ihr Direktorat von 1945 bis 1956 fallen die Erbauung des Flusspferd- und Elefantenhauses sowie die Eröffnung eines neuen Antilopen- und Schweinehauses. Um jedes Stück Pappe und jeden Nagel habe sie mit den Behörden feilschen müssen, heißt es in ihrer Biografie. Um die klammen Zookassen zu füllen, führt Heinroth kurzerhand das Oktoberfest, das sie aus ihrer Studienzeit in München kennt, bei den Preußen ein. Von den Mietgeldern der Schausteller kauft sie Flamingos und Zebras. Die Gehege, zuvor mit Gemüse bepflanzt, füllen sich wieder mit Tieren.
Doch dann wird sie abgesetzt. Ein jüngerer Mann soll den Zoo führen, ihre Pension ist lausig. Heinroth nimmt es mit Würde, unterrichtet Studenten, schreibt wissenschaftliche Abhandlungen und bewirtschaftet nebenher den Bauernhof, den sie sich mit 75 Jahren zugelegt hat. Mit 93 Jahren stirbt sie 1989 in ihrer Wohnung im Hansaviertel – nur 15 Tage nachdem Jonny, ein verhaltensauffälliger, weil missbrauchter Schimpanse, um den sie sich seit 1951 gekümmert hatte, gestorben war.
ROSWITHA WISNIEWSKI (1926–2017)
Auf einem Leichenwagen versucht Roswitha Wisniewski nach Berlin zu gelangen. Anfang 1945, die Rote Armee rückt unaufhaltsam nach Westen vor, ist nicht mehr weit von der pommerschen Stadt Stolp entfernt. Wisniewski ist krank, Scharlach und Ohrenentzündung. Während ihre Eltern zu Fuß fliehen, wird die damals 18-Jährige auf den Leichenwagen eines befreundeten Bestatters verladen.
Doch schon nach etwa 30 Kilometern haben die russischen Soldaten Wisniewski und die übrigen Flüchtlinge eingeholt. „Sie benahmen sich genauso, wie wir es gerüchteweise gehört und wie wir es befürchtet hatten. Viele Frauen wurden vergewaltigt, darunter zu meinem grenzenlosen Schrecken auch meine Freundin“, sagte Wisniewski kurz vor ihrem Tod der Journalistin Helga Hirsch („Endlich wieder leben“, Siedler Random House, München 2012). Sie selbst schützt die Krankheit, vor der sich die Soldaten fürchten.
Im Sommer 1945 erreicht sie im überfüllten Zug doch noch Berlin, kommt bei Verwandten in Kreuzberg unter und erlebt eine Stadt am Boden. „Berlin war völlig zerstört. Die Menschen lebten zusammengepfercht in den wenigen nicht zerbombten Häusern. Sie schlugen sich mehr schlecht als recht mit Schwarzmarktgeschäften durch, suchten in Trümmern und Kellern nach etwas Essbarem und hamsterten auf dem Land.“
"Wir alle waren Habenichtse"
Für Wisniewski in gewisser Weise sogar ein Vorteil. Die Heimatvertriebenen fallen gar nicht auf. „Wir alle waren Habenichtse“, erinnert sie sich. Es sind schwere Zeiten für die Familie, der Vater, ein angesehener Architekt, wird arbeitslos und hat schwere Depressionen, die Familie rutscht in die Armut. Zu viert wohnen sie anfangs in einem Zimmer.
„Neuen Lebensmut schöpften wir wesentlich aus der Musik. Seit Ende der 40er Jahre nahmen wir am wieder auflebenden Berliner Kulturleben teil, besuchten Opern und Konzerte.“ Der Vater versucht sich als Selbstständiger in Prenzlau, finanziert der Tochter das Notabitur und das Studium. Im Herbst 1948 gehört sie zum ersten Jahrgang der neu gegründeten Freien Universität – als eine von nur 491 Frauen.
Sie schreibt sich für das Fach Germanistik ein, doch dafür gibt es noch nicht einmal Bücher. Wie viele andere holt sie aus dem ganzen Stadtgebiet auf Handwagen Möbel- und Bücherspenden nach Dahlem, hilft, den Fachbereich aufzubauen. Am Aufbau der Seminarbibliothek ist sie maßgeblich beteiligt. Nebenher wird studiert: „Ich habe meine Referate und Seminararbeiten weitgehend bei Kerzenlicht geschrieben.“ Bereits 1953 promoviert sie, wird wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin, lehrt die erste Nachkriegsgeneration.
75 Jahre Befreiung und Neuanfang:
- Kindereuthanasie: Gerda durfte nicht leben
- Schlacht um Berlin: Der Wettlauf zum Reichstag
- So erlebten Kinder das Kriegsende
- Wie die "Gruppe Ulbricht" die Macht übernahm
- Hitler-Ausstellung: Im Bunker der Gewissheiten
- Die lebenslange Suche nach dem kleinen Bruder
Der Beginn ihrer akademischen Laufbahn, die sie später nach Kairo und Heidelberg bringen sollte, wo sie als erste Professorin der Philosophischen Fakultät seit Gründung 1386 berufen wird. Noch später führt ihr Weg sie als CDU-Bildungspolitikerin in den Deutschen Bundestag.
Die Berliner Jahre, in denen sie Luftbrücke und Mauerbau erlebt, prägen Roswitha Wisniewski für immer. Politisch, wie durch die Überzeugung, aus Krisen gestärkt hervorgehen zu können. „Wir hatten Fuß gefasst. Wir fühlten uns gut in Berlin. Kalter Krieg hin oder her – das Leben begann wieder lebenswert zu werden.“
LOUISE SCHROEDER (1887–1957)
Es ist der 12. Mai 1949, als in Berlin Geschichte geschrieben wird. Nach 322 Tagen heben die Sowjets die Blockade West-Berlins auf, die Luftbrücke mit den mehr als 500 000 Flügen zur Versorgung der Bevölkerung hatte Erfolg.
Die Gunst der Stunde wollen drei prominente Politiker nutzen und zu den Hunderttausenden sprechen, die sich vor dem Schöneberger Rathaus versammelt haben. Berlins Oberbürgermeister Ernst Reuter, auch der spätere erste Bundeskanzler Konrad Adenauer und der Vater des Grundgesetzes, Carlo Schmid. Doch die Menge skandiert einen anderen Namen: „Louise! Louise!“ Gemeint ist eine zierliche Frau, die eigentlich nicht als Rednerin vorgesehen war und nun auf dem Rathausbalkon in Tränen ausbricht.
Louise Schroeder heißt die damals 62-jährige Frau, und die Berliner haben ihre Verdienste um die Stadt nicht vergessen. Bis heute ist die Sozialdemokratin die einzige Frau, die für eineinhalb Jahre, 1947 und 48, als Oberbürgermeisterin die Geschicke Berlins lenkte. Dabei war ihre Nominierung eigentlich nur ein „unvorhergesehener Sonderfall“, wie die eigenen Parteifreunde sagten, doch er sollte zum Glücksfall für eine taumelnde Stadt werden.
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Dabei scheint dieser Lebenslauf zunächst maximal unrealistisch. Als achtes Kind einer Gemüseverkäuferin und eines Bauarbeiters wächst Schroeder in Hamburg–Altona auf. Für Gymnasium oder Universität reicht das Geld nicht, sie bringt sich Französisch und Englisch selbst bei, arbeitet sich als Sekretärin in einer Versicherung hoch. 1910 tritt sie in die SPD ein, nach dem Ersten Weltkrieg wird sie eine von 41 weiblichen Abgeordneten im neuen republikanischen Reichstag. Mit dem ersten Mutterschutzgesetz, auch „Lex Schroeder“ genannt, macht sie sich einen sozialpolitischen Namen.
Dreimal im Krieg verschüttet, nur noch 40 Kilo schwer
Doch die Machtergreifung der Nationalsozialisten bringt sie in Lebensgefahr. Sie zieht nach Berlin, taucht unter, wird im Krieg dreimal bei Bombenangriffen verschüttet. Als der Krieg endlich zu Ende ist, leidet sie an einer Magenkrankheit. Sie soll keine 40 Kilo mehr gewogen haben. Doch ihre schwerste Herausforderung steht Louise Schroeder noch bevor.
Sie gründet die Berliner SPD mit, wird in den Vorstand berufen und 1945 Mitglied der Stadtverordnetenversammlung. Ein Jahr später, nach dem Rücktritt von Oberbürgermeister Otto Ostrowski und der Ablehnung Ernst Reuters durch die Sowjets, wird Louise Schroeder Oberbürgermeisterin.
Fortan wird sie zur „Mutter Berlins“ und der „tapferen Louise“. Charismatisch, volksverbunden und sachbezogen, so wird sie beschrieben, führt sie die Stadt, der es am Nötigsten fehlt. Kohle, Gas und Sturmabteilung sind ein täglicher Kampf, Lebensmittelrationen und Leder für das Besohlen der Schuhe fehlen, die Kinderlähmung verbreitet sich.
Trotz bescheidener Mittel und in ständiger Absprache mit allen vier Besatzungsmächten versucht sie, das Leid der Bürger zu mindern. Kohlerationen werden erhöht, immer wieder setzt sie sich für willkürlich festgenommene Bürger im Ostsektor ein. Sie selbst bleibt bescheiden, wohnt zur Untermiete in Tempelhof.
Im Juni 1948 zerbricht die gemeinsame Stadtverwaltung an der Weigerung des Magistrats, eine neue Währung in Berlin einzuführen, wie es die Sowjets gefordert hatten. West-Berlin wird abgeriegelt, der Strom abgestellt. Mithilfe der Alliierten wird die historische Luftbrücke eingerichtet. Während Ernst Reuter die Völker der Welt auffordert, nach Berlin zu schauen, agiert Louise Schroeder im Hintergrund.
Der britische Observer schreibt bewundernd: „Unter allen deutschen Männern und Frauen, die im belagerten Berlin den Kampf für Freiheit und Demokratie aufgenommen haben, gibt es niemanden, der tapferer, bescheidener und gütiger kämpft als Louise Schroeder.“ Sie tut es bis zur völligen Selbstaufgabe.
Im August 1948 muss sie schwer krank ausgeflogen werden, ihr Herz wird nicht mehr richtig durchblutet. Schroeder zieht sich zurück, macht Wahlkampf für Ernst Reuter, der kurz darauf – auch dank ihr – Oberbürgermeister wird.