Folgen des Coronavirus: Die Weltwirtschaft am Tropf der chinesischen Konjunktur
Chinas Anteil an der globalen Wirtschaftsleistung ist dreimal so groß wie zu Zeiten der Sars-Epidemie. Entsprechend groß ist die Sorge an den Aktienmärkten.
Es brauchte in dieser Woche nicht viel Fantasie, um zu verstehen, wie unmittelbar das Coronavirus die Wirtschaft in China schwächt. Starbucks hat rund 2000 seiner Filialen im Land geschlossen, McDonalds hunderte Restaurants, die Modekette Uniqlo 130 Shops und Ikea hat sogar gleich alle 30 Möbelhäuser in der Volksrepublik geschlossen. Allein die Tatsache, dass 70.000 Kinos ihre Türen bis auf weiteres nicht mehr öffnen, soll umgerechnet rund eine Milliarde Dollar Verluste bringen.
Doch es sind nicht nur diese kundennahen Branchen, die mit Sorge auf die Ausbreitung des Virus’ blicken. Die Folgewirkungen könnten schon bald zur Bedrohung des globalen Konjunktur werden. Wie groß die Verunsicherung ist, ließ sich in dieser Woche an den Aktienmärkten weltweit ablesen. Der Dax, der noch am 24. Januar sein Allzeithoch von 13640 Punkten erreicht hatte, stürzte in den vergangenen Tagen auf den niedrigsten Stand seit Anfang des Jahres. Auch der Dow Jones ist alle Gewinne vom Jahresanfang wieder los. „Der Coronavirus überschattet alles“, sagte am Freitag Ulrich Kater, der Chefvolkswirt der Deka-Bank.
Dass bald wieder Ruhe an den Märkten einkehrt, ist unwahrscheinlich – auch dafür gibt es einen Index: Der Volatilitätsindex VIX, der die Bewegung der kommenden 30 Tagen prognostiziert und auch Angstbarometer genannt wird, schoss am Donnerstag um 22,73 Prozent hoch.
Chinesische Touristen sind ein Wirtschaftsfaktor
Konzerne preisen diese Unsicherheit bei ihren Geschäftserwartungen vermehrt ein. Dass die Tesla-Gigafactory in Shanghai für gut eine Woche geschlossen wird, soll leichte Auswirkungen auf den Profit im laufenden Quartal haben. Auch Apple gab bei seiner Prognose für das laufende Quartal eine ungewöhnlich breite Umsatzspanne an – man könne die Folgen des Virus’ einfach noch nicht abschätzen, so der US-Konzern.
Es sind verschiedene Wege, auf denen die Krankheit auch Firmen am Ende der Welt treffen kann. So fehlen den Firmen die Einnahmen aus dem großen chinesischen Markt. Außerdem reißen die geschlossenen Fabriken Lücken in die globalen Lieferketten vieler Hersteller, was massive Verzögerungen zur Folge hat.
Und schließlich sind chinesische Touristen selbst ein großer Wirtschaftsfaktor. Wie groß, das lässt sich anhand einiger Zahlen erahnen. Laut dem Zahlungsdienstleister Wirecard lässt jeder chinesische Tourist im Durchschnitt 3000 Euro im bereisten Land. Eine Zahlung, die das Unternehmen für den chinesischen Zahlungsvermittler Alipay abwickelt, beträgt durchschnittlich 800 Euro.
Allein im Pariser Edel-Kaufhaus Galeries Lafayette geben chinesische Touristen im Durchschnitt 1400 Euro pro Person aus. Es spricht für sich, dass das Edel-Kaufhaus in der französischen Hauptstadt in Laufnähe des Stammhauses erst jüngst ein neues Gebäude bezogen hat, das nur auf chinesische Kundschaft ausgerichtet ist. Weil die zahlungskräftige chinesische Mittelschicht inzwischen weltweit zu den größten Abnehmern des Luxussegments zählt, knickten Unternehmen wie LVMH besonders stark ein, wozu etwa Marken wie Louis Vuitton oder Céline gehören.
„Die jüngsten Zahlen für 2018 zeigen, dass die Zahl der Touristen aus China bei 150 Millionen liegt. Die Übertragungseffekte für die Wirtschaft werden beträchtlich sein“, sagt Rajiv Biswas, Asien Pazifik Chefökonom beim Londoner Daten- und Informationsdienstanbieter IHS Markit.
Lufthansa, SAS und BA streichen Flüge nach China
Besonders hart trifft das Virus deshalb auch die Reisebranche. Die Fluglinien Lufthansa, SAS und British Airways haben den Flugverkehr von und nach China vorerst bis zum 9. Februar komplett eingestellt. Für ihre Frachtflüge hat der deutsche Konzern am Freitag einen Sonderflugplan veröffentlicht, der zunächst drei Flüge in den kommenden Tagen vorsieht.
Verglichen wird die Corona-Epidemie gerne mit der Sars-Krise 2003. Das Virus breitete sich damals auf 17 Länder aus und tötete fast 800 Menschen. Allein in China wurden die wirtschaftlichen Auswirkungen auf 25 Milliarden US-Dollar geschätzt. Der Hang Seng Index in Hongkong, dem Epizentrum der Epidemie, verlor zwischen November 2002 und April 2003 zwar rund 15 Prozent. Doch schon am Jahresende hatte der Index wieder 50 Prozent zugelegt.
Coronavirus könnte Wachstum drücken
Doch damals befand sich die gesamte Weltwirtschaft im Aufschwung, nachdem die Dotcom-Blase geplatzt war. Allein Chinas Bruttoinlandsprodukt wuchs damals in zweistelligen Prozentzahlen. Das ist heute anders. Das Wachstum ist deutlich langsamer, in vielen Volkswirtschaften ist eine Seitwärtsbewegung zu beobachten. Der seit Jahren andauernde Handelskrieg sowie der Brexit lähmen die Konjunktur ebenfalls. Selbst in China wuchs die Wirtschaft 2019 „nur“ noch um 6,1 Prozent.
Zhang Ming, Ökonom der von der Regierung unterstützten Denkfabrik der Chinesischen Akademie der Sozialwissenschaften, warnte gar, das Virus könne Chinas Wirtschaftswachstum im ersten Quartal unter fünf Prozent drücken. Die Folgen des Coronavirus’ könnte daher laut Klaus-Jürgen Gern vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel deutlich schwerer wiegen. „Für China selbst, weil die Epidemie auf eine bereits geschwächte Wirtschaft trifft“, sagt Gern. „Aber auch für die Weltwirtschaft, weil sich Chinas Anteil daran seit 2003 etwa verdreifacht hat.“
Und die Exportnation Deutschland könnte darunter besonders leiden. Jim O'Neill, der als Chefökonom von Goldman Sachs den Begriff „Brics“ für die Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika prägte, warnt nun besonders Deutschland und damit die größte Volkswirtschaft Europas vor den Folgen. „Die Krise hätte nicht zu einem schlechteren Zeitpunkt kommen können. China schien gerade dabei zu sein, den Abwärtstrend zu stabilisieren“, sagte O'Neill der „Financial Times“. „Nun stehen nicht nur die Behörden vor einem Dilemma, sondern auch die Länder mit engen Verbindungen nach China – vor allem Deutschland.“
Dennoch sieht Gern sogar ein paar positive Auswirkungen; „stimulierende Effekte“ für die Wirtschaft, wie er sagt. Wegen der Sorge vor einem schwächeren Wachstum, gingen die Rohstoffpreise in den Keller. Produzierende Unternehmen konnten deshalb kurzfristig günstiger einkaufen. „Zudem steigt die Kaufkraft der Konsumenten, was für sich genommen die Binnennachfrage etwa in Deutschland stärkt“, sagt Gern. An den Börsen ist diese Sicht aber noch nicht angekommen.