Klimaziele und Wachstum: Deutschlands führende Ökonomen fordern Konsumverzicht
Nur durch Innovationen seien die Klimaziele nicht zu erreichen, meinen die Wirtschaftsforscher. Ihre Konjunkturprognose korrigieren sie nach unten.
Es war erneut Christian Lindner, der sich zum Gegenpol aktueller Klimabewegung inszenierte. „Ich will nicht verzichten und will auch nicht, dass andere verzichten müssen“, schrieb der FDP-Chef vor gut einer Woche bei Twitter. „Ich will durch die beste und neueste Technik erreichen, dass die Menschen frei leben und sich frei bewegen können, während wir gleichzeitig etwas für den Klimaschutz tun“, führte er weiter aus.
Es dauerte nicht lang, bis Lindner erneut einen Shitstorm am Hals hatte. Denn längst wird der Klimadiskurs nicht mehr nur von konkreten Maßnahmen wie dem Kohleausstieg oder der Förderung regenerativer Energien geprägt, sondern von einer weitergehenden Verzichtsethik.
Befürworter gehen davon aus, dass der Klimawandel nur mit einem generellen „Weniger“ zu schaffen ist – von der Zahl der Flugreisen pro Person über SUV bis zum Fleischkonsum. Lindner hingegen, der schon bei letzterem als Gegenstimme auftrat, ist der Meinung, technologische Innovationen könnten den Ressourcenverbrauch derart effizient gestalten, dass kein Verzicht nötig werde.
Dieser Einschätzung haben nun Deutschlands führende Ökonomen deutlich widersprochen. „Wenn wir das Innovationstempo der vergangenen Jahre beibehalten, verfehlen wir die Klimaziele mit Sicherheit“, stellte Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) klar. So zu tun, als könne man wirksamen Klimaschutz nur mit Innovationen erreichen, sei „sehr gefährlich“, weil dadurch der Druck für sofortige Neuerungen ausbleibe, so Holtemöller weiter.
Industrie steckt in der Rezession
Zwei Mal im Jahr geben die fünf wichtigsten Wirtschaftsforschungsinstitute der Bundesrepublik ihre Einschätzung der Konjunktur ab. Und eigentlich stand das Klima bei der Präsentation am Mittwoch zunächst nicht im Fokus. Die Wissenschaftler korrigierten ihre vorherige Einschätzung erwartungsgemäß von 0,8 Prozent Wachstum im Jahr 2019 auf 0,5 Prozent nach unten. Der Industrie in Deutschland attestierten sie bereits eine Rezession. „Ihre Produktion ist seit gut eineinhalb Jahren rückläufig, was maßgeblich für die konjunkturelle Schwäche ist“, heißt es in ihrem Gutachten. Diese Flaute strahle allmählich auch auf unternehmensnahe Dienstleister aus.
Der Brexit und der Konflikt zwischen den USA und China dämpfen weiterhin die Erwartungen. Auch wenn die Ökonomen wegen anstehender Wahlen und negativer Auswirkungen auf die jeweils eigene Wirtschaft im Handelsstreit keine weitere Eskalation erwarten. So werde die Wirtschaft in Deutschland 2020 wieder um 1,1 Prozent zulegen. Noch im Frühjahr waren die Ökonomen allerdings von 1,8 Prozent ausgegangen.
Auf lange Sicht macht den Forschern sogar nicht das Klima, sondern die Demografie die größten Sorgen. Es müsse ein Fokus darauf gelegt werden, die sozialen Sicherungssysteme „demografiefest“ zu machen, forderte Stefan Kooths von Institut für Weltwirtschaft Kiel. Und zwar ohne dafür einfach ein höheres Staatsdefizit in Kauf zu nehmen: Viel mehr müsse sich das System grundsätzlich an die veränderte Altersstrukturen der Bevölkerung anpassen. Das langfristige Wachstum der deutschen Wirtschaft sei durch die geringere Zahl von Menschen im arbeitsfähigen Alter massiv bedroht.
Zielkonflikt zwischen Konsum und Umweltschutz
Doch dann kamen die Wirtschaftswissenschaftler erneut auf die Klimadebatte zu sprechen und gaben der Argumentation vieler Fridays-For-Future-Aktivisten neues Futter. „Wir befinden uns in einem Zielkonflikt zwischen aktuellem Konsum und den Zukunftsmöglichkeiten“, führte Holtemöller aus. Wäre der CO2-Ausstoß egal, sei ein massives Wachstum ohne weiteres möglich. Doch das ginge auf Kosten nachfolgender Generationen.
„Es führt kein Weg daran vorbei, dass wir weniger Ressourcen verbrauchen müssen und Investitionen in Innovationen tätigen“, sagte Holtemöller. Beides ginge allerdings nur über Konsumverzicht, da bekannte Verhaltensweisen dann nicht mehr möglich wären. Für den IWH-Forscher bedeutet das: „Die Gesellschaft muss sich entscheiden, welchen Beitrag sie zu leisten bereit ist.“
Auch Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung fügte hinzu: „Die deutsche Wirtschaft ist in einigen Bereichen sehr effektiv, etwa bei der Braunkohle.“ Hier werde sehr effizient viel Geld verdient. Das wird fehlen, diese Einkommen werden wir verlieren, so Michelsen, wenn wir „aus gutem Grund“ aus der Kohle aussteigen.
In ihrem Gutachten bringen die fünf Institute ihre Position so auf den Punkt: „Die Klimapolitik erfordert einen Konsumverzicht der heutigen Generationen zugunsten von Investitionen in emissionsärmere Energieerzeugung und in die Verkehrsinfrastruktur.“ Auch ein langsameres Wirtschaftswachstum sei deshalb möglich.
Degrowth-Bewegung im Aufwind
An diesem Punkt stoßen die fünf Institute an eine Debatte, die angesichts der Klimadiskussion wieder im Aufschwung ist; die Frage, ob eine stetig wachsende Wirtschaft erstrebenswert ist. Seit der „Club of Rome“ im Jahr 1972 das Werk „Die Grenzen des Wachstums“ veröffentlich hat, ist die Wachstumskritik in der Gesellschaft angekommen. Unter dem Schlagwort „Degrowth“ war sie in den vergangenen Wochen mehrmals zu hören.
Wachstumskritiker bezweifeln, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der richtige Maßstab für das Wohlergehen einer Volkswirtschaft ist. Auch Greta Thunberg hatte in ihrer „How dare you“-Rede vor der UN das immer währende Wachstum als „Märchen“ bezeichnet.
„Es geht um die Frage, was Priorität hat: Wachstum von Gütern und Dienstleistungen der Arbeitsplätze wegen, verbunden mit weiterer Umweltbelastung – oder die Einhaltung der planetaren Grenzen, auch wenn dies die Wirtschaftsleistung senken könnte und einen Umbau unserer Arbeitswelt verlangt“, erklärte Angelika Zahrnt, Ehrenvorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Fellow am Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) anlässlich ihres neuen Buches. Sie beschreibt darin, wie das alltägliche Arbeitsleben in einer Postwachstumsgesellschaft aussehen könnte.
Kritiker der Degrowth-Bewegung argumentieren hingegen, dass die Länder mit dem höchsten BIP durchaus in vielen Punkten als Vorbild dienen sollten. So korreliere die Lebenserwartung mit wachsendem BIP pro Kopf. Länder mit höherem Nationaleinkommen könnten sich zudem bessere Schulen leisten und ein ausgebautes Gesundheitssystem. Erst das rasante Wachstum seit der Industrialisierung habe der breiten Bevölkerung Wohlstand und soziale Sicherheit ermöglicht. Auch die Zahl der Chinesen, die dank des Wirtschaftsbooms der Volksrepublik zur Mittelschicht aufrücken, wird als Argument angeführt.
Von der Degrowth-Bewegung sind Deutschlands führende Ökonomen wohl noch ein Stück entfernt. Vom lindnerschen Glauben, die Experten in den Unternehmen würde die Klimaprobleme allein lösen, allerdings auch. Und von den radikalsten Fridays-for-Future-Forderungen sowieso. „Einen entsprechenden Konsumverzicht kann die Wirtschaftspolitik in einer freiheitlich organisierten Gesellschaft nicht erzwingen“, mahnen die Wissenschaftler in ihrem Gutachten. „Sie kann ihn aber mehr oder weniger wahrscheinlich machen.“