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Am Limit. In vielen deutschen Kliniken arbeitet das Personal an der Belastungsgrenze. Durch Quarantänepflichten fällt immer wieder Personal aus.
© Kay Nietfeld/dpa
Exklusiv

Kliniken in der Corona-Krise: „Der Ausfall beim Personal ist teilweise dramatisch“

Stefan Eschmann, Chef der KMG Kliniken, versucht den Normalbetrieb aufrechtzuhalten. Ein Gespräch über sich verdoppelnde Covid-19-Patientenzahlen und Triage.

Stefan Eschmann ist Vorstandsvorsitzender der privaten KMG Kliniken mit Sitz in Bad Wilsnack. Zu der Gruppe gehören neun Akutkliniken, dazu Rehakliniken, Pflegeheime und Arztpraxen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Herr Eschmann, vergangene Woche hat die Nachricht die Republik aufgeschreckt, dass ein Krankenhaus in Sachsen beginne, bei Covid-19-Patienten eine Triage anzuwenden: also das knappe Gut Intensivbetten so aufzuteilen, dass nur noch die Patienten behandelt werden, die eine höhere Überlebenschance haben. Wie sieht die Situation in Ihrer Klinikgruppe aus?
Wir versorgen in unseren Krankenhäusern sehr viel mehr Covid-19-Patient*innen als während der ersten Pandemiewelle im Frühjahr, das gilt für die Intensiv-, aber auch für die Normalstationen. In unseren neun Krankenhäusern behandeln wir aktuell zwischen einem und 20 Covid-19-Patient*innen. Sie belegen über alle unsere Häuser rund elf Prozent der Intensivbetten, in einigen Krankenhäusern aber deutlich mehr. Wir sehen aber auch, dass die Zahl der an Covid-19 Erkrankten täglich steigt.

In welcher Ihrer neun Kliniken versorgen Sie derzeit die meisten Patienten?
Am stärksten in Anspruch genommen ist das Klinikum in Luckenwalde im südlichen Brandenburg, mit dem Auto 25 Minuten von Berlin entfernt und in der Nähe von Potsdam. In dem Krankenhaus werden derzeit 18 Patienten mit einer bestätigten Corona-Infektion behandelt, davon zwei auf der Intensivstation. Insgesamt hat das Haus zehn Intensivbetten. Eine Woche zuvor waren es hier nur etwa halb so viele Covid-19-Patienten.

Man spürt, dass die Infektionslage von Berlin und Potsdam ausstrahlt. Anders ist die Situation zum Beispiel in unserem Klinikum in Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern. Dort werden aktuell sechs Covid-19-Erkrankte versorgt, davon keiner auf der Intensivstation. Das ist vergleichsweise wenig für ein Krankenhaus dieser Größe und zeigt das vergleichsweise geringe Infektionsgeschehen in der Region.

Zu einer Triage sind Sie in Ihren Häusern also noch nicht gezwungen?
Nein.

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Auch die Klinik in Sachsen hat mittlerweile klargestellt, dass ein Missverständnis vorlag und man noch nicht zur Triage gezwungen gewesen sei.
Aber die Aufregung, die diese Meldung ausgelöst hat, sollte Anlass sein, sich zu fragen, was geschehen soll, wenn die Kapazitäten in der Region nicht mehr ausreichen, um alle Covid-Patienten adäquat zu behandeln. In dieser Frage ist viel Bewegung und ich gehe davon aus, dass es pragmatische Lösungen geben wird.

Inzwischen sagen manche Klinikmanager, die Lage sei gar nicht so dramatisch. Vor allem sei die Zahl der verfügbaren Intensivbetten kein ausreichendes Kriterium, um die Corona-Lage an den Krankenhäusern zu beurteilen. Wie sehen Sie das?
Pauschale Aussagen sind immer schwierig, schon allein deshalb, weil die Krankenhäuser unterschiedlich groß, verschieden ausgelastet und auch nicht gleich ausgestattet sind. Deshalb ist es nicht sinnvoll, nur die freien Intensivbetten zu zählen. Wir müssen uns damit beschäftigen, was an real betreibbaren Intensivkapazitäten vorhanden ist, wofür also genügend Personal zur Verfügung steht. Auch muss geschaut werden, inwieweit ein Krankenhaus noch in der Lage ist, reguläre Notfälle oder andere dringend gebotene Behandlungen und Operationen durchzuführen.

Stefan Eschmann ist Vorstandsvorsitzender der privaten KMG Kliniken mit Sitz in Bad Wilsnack. Zu der Gruppe gehören neun Akutkliniken, dazu Rehakliniken, Pflegeheime und Arztpraxen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Stefan Eschmann ist Vorstandsvorsitzender der privaten KMG Kliniken mit Sitz in Bad Wilsnack. Zu der Gruppe gehören neun Akutkliniken, dazu Rehakliniken, Pflegeheime und Arztpraxen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
© Markus Esser

Verfügen Ihre Kliniken über ausreichend Ärztinnen und Ärzte und Pflegekräfte?
Wir verzeichnen einen teilweise dramatisch höheren Ausfall beim Personal als zu normalen Zeiten. Dies sind sowohl Mitarbeiter, die sich mit Corona angesteckt haben oder erkrankt sind. Aber insbesondere auch solche, die nicht arbeiten können, weil sie zum Beispiel ihre Kinder zu Hause betreuen müssen oder die aufgrund eines Risikokontaktes in Quarantäne sind.

Denn es kommt beispielsweise vor, dass bei Aufnahme Corona-negativ getestete Patienten, die routinemäßig nach einigen Tagen erneut getestet werden, beim zweiten Test positiv sind. Dies kann dazu führen, dass plötzlich mehrere Mitarbeiter Kontakte ersten Grades sind und in Quarantäne müssen. Und je kleiner ein Krankenhaus ist, desto mehr wirken sich solche Quarantänemaßnahmen auf den Betrieb aus, weil es schwerer fällt, das auszugleichen.

Gilt diese Quarantänepflicht für alle Kontaktpersonen?
Wir stehen täglich mit den zuständigen Gesundheitsämtern in Kontakt, um zu klären, ob Mitarbeiter, die einen Risikokontakt hatten, aber keine Symptome zeigen, tatsächlich völlig isoliert werden müssen oder ob sie weiterhin zur Arbeit im Klinikum kommen dürfen. Nach Genehmigung durch das Gesundheitsamt arbeiten die Mitarbeiter unter strengen Hygienerichtlinien in Klinikbereichen mit geringem Infektionsrisiko weiter. Nach Dienstschluss begeben sich diese Mitarbeiter sofort wieder in die häusliche Quarantäne. Eine solche Sondergenehmigung kann erteilt werden, wenn die Aufrechterhaltung des Klinikbetriebs aufgrund Personalmangels ansonsten gefährdet wäre.

Mussten Sie bereits Stationen oder Behandlungsbetten vom Netz nehmen, weil das Personal nicht gereicht hat?
Ja, in diese Situationen geraten wir seit einiger Zeit leider fast täglich. Das geht teilweise soweit, dass wir im zweistelligen Prozentbereich Betten außer Betrieb nehmen müssen, weil Personal in Quarantäne ist oder nicht zur Verfügung steht.

Die Bundes- und Landesregierungen haben die Krankenhäuser gebeten, nicht sofort notwendige Eingriffe, wie Operationen an Knie- oder Hüftgelenken, möglichst zu verlegen. Finden in Ihren Häusern noch sogenannte planbare Operationen statt?
Ja. Und wir raten unsere Patienten davon ab, solche Behandlungen ohne Rücksprache mit ihrem Arzt einfach zu verschieben. Klar, eine Knieoperation kann im Zweifel verschoben werden. Aber auch eine Tumoroperation kann eine „planbare OP“ sein. Es gibt in der Zwischenzeit Daten, dass, wenn Tumoroperationen um nur vier Wochen verzögert werden, sich die Prognose der Erkrankung verschlechtert. Die Verschiebung von planbaren Operationen oder Behandlungen anderer Erkrankungen sollten nicht ohne Rücksprache mit dem behandelnden Arzt erfolgen, um eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu vermeiden.

Der Normalbetrieb geht also weiter?
Aber auf deutlich niedrigerem Niveau, als vor der zweiten Welle der Pandemie. Die Menschen sind verunsichert, ob sie noch gefahrlos ins Krankenhaus gehen können. Das ist ja auch verständlich. Deshalb klären wir die betroffenen Patienten genau über unsere Hygienekonzepte auf, um ihnen die Sorge vor einer Corona-Infektion im Krankenhaus zu nehmen, wenn eine Behandlung notwendig ist.

Wenn der Normalbetrieb noch möglich ist, dann ist die Lage in den Kliniken also noch nicht so dramatisch?
Die Kliniken der KMG-Gruppe haben Stand heute noch nicht die Situation erreicht, in der wir nicht mehr wissen, wie wir intensivpflichtige Patienten unterbringen sollen - auch wenn unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter maximal belastet sind. Im gesamten Bundesgebiet und auch um Berlin herum gibt es immer noch Krankenhäuser, die noch nicht an ihren Kapazitätsgrenzen sind und schwer erkrankte Covid-19-Patienten übernehmen können.

Und deshalb muss man sich jetzt Gedanken machen, wie man die Krankenhäuser besser vernetzt, um eine reibungslose Verlegung von Patienten aus überlasteten Häuser in solche mit freien Kapazitäten zu organisieren.

Sie betreiben auch drei Krankenhäuser in Thüringen. Sind Sie bereits von Kliniken aus dem benachbarten Sachsen gebeten worden, Patienten zu übernehmen?
Bisher gab es solche Anfragen noch nicht, auch nicht in anderen Bundesländern.

Die Landesregierungen haben sich auf ein sogenanntes „Kleeblatt“-Modell verständigt. Das unterteilt Deutschland in fünf Regionen, innerhalb derer die Covid-19-Patienten auch über Ländergrenzen schnell in andere Kliniken mit freien Kapazitäten verlegt werden können. Berlin zum Beispiel bildet einen Verbund mit Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt sowie Thüringen. Ist dieses Modell nicht ausreichend?
Es werden aktuell eine Reihe von Konzepten auch auf Ebene der Bundesländer erarbeitet, die die Verlegung von Covid-19-Patienten regeln und vereinfachen sollen. Hier ist aktuell sehr viel Bewegung drin.

Um für den in der ersten Pandemiewelle befürchteten Ansturm an schwer kranken Covid-19-Patienten gerüstet zu sein, hat die Politik den Kliniken zum Ausgleich von Verlusten Geld gezahlt, damit sie ihre Intensivbetten frei halten. Was sagen Sie zu dem Vorwurf, dass manche Krankenhäuser durch die Freihaltepauschalen finanziell bessergestellt waren?
Unsere Krankenhäuser entsprechen von der Größe, der Personalausstattung und auch der Schwere der behandelten Fälle vielfach dem bundesdeutschen Durchschnitt. Dadurch, dass die Kalkulation für die Refinanzierung der Corona-Ausfälle stark am Durchschnitt orientiert war, sind wir ganz gut durch die erste Phase der Pandemie gekommen. Das gilt für viele Unternehmen, die mehrere Kliniken betreiben: Kleinere Häuser haben etwas mehr bekommen, größere im Verhältnis etwas weniger, aber im Mix war es meist auskömmlich.

Wie ist die wirtschaftliche Situation nun in der zweiten Pandemiewelle?
Das große Fragezeichen ist für mich, wie es jetzt in den kommenden Monaten weitergeht. Die Freihaltepauschalen gibt es seit dem 1. Oktober nicht mehr. Auch andere Finanzierungselemente laufen zum Ende des Jahres aus. Wenn wir jetzt schnell wieder in den Normalbetrieb kämen, wäre das auch vertretbar. Aber danach sieht ja derzeit nicht so aus – im Gegenteil: Schon im Lockdown light im November sind die Zahlen an elektiven Eingriffen wie gesagt deutlich zurückgegangen.

Ich bin gespannt, wie sich nun der harte Lockdown auf die Krankenhäuser auswirken wird. Und das, was der Bund nun zur Coronafinanzierung der Krankenhäuser auf den Weg gebracht hat, berücksichtigt genau diese massiven Einnahmeverluste durch den Wegfall der elektiven Patienten kaum. Wenn Kliniken nur noch zu 50 Prozent belegt sind, aber 100 Prozent der Personalkosten weiter tragen müssen, wird das viele in schwere Bedrängnis bringen.

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