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Patienten, deren Operation als "planbar" gilt, müssen derzeit oft länger auf ihren Eingriff warten.
© Robert Michael / dpa

Eine Krebspatientin erzählt: Wenn die eigene Operation wegen Corona verschoben wird

Planbar heißt nicht weniger beängstigend: Um Intensivbetten für Covid-Kranke freizuhalten, werden OPs aufgeschoben. Was das bedeutet, erzählt eine Krebspatientin.

Geradezu angstvoll schauen die Krankenhäuser derzeit auf die wachsende Anzahl von Covid-19-Patienten, die stationär behandelt werden müssen. Sie fürchten die Überlastung. Dieser Sorge folgt auch die Politik. In Berlin hat der Senat die Krankenhäuser aufgefordert, planbare Operationen zu verschieben, um Kapazitäten für Covid-19-Kranke freizuhalten.

Doch „planbar“ heißt nicht unnötig. Auch hinter solchen Eingriffen stehen Schicksale und Ängste, die durch eine Verschiebung in die Länge gezogen werden können. So wie für Miriam Rosen (Name geändert).

Die Ende 50-Jährige litt unter einem Hirntumor. Ende Oktober hätte sie im Berliner Sankt Gertrauden-Krankenhaus operiert werden sollen, zum zweiten Mal. Auch die erste OP vor einem Jahr hatte in der Klinik in Wilmersdorf stattgefunden. Miriam Rosen fühlte sich in dem Krankenhaus gut versorgt und vertraut dem Operateur nun auch für den Folgeeingriff.

Die Krankengeschichte von Miriam Rosen begann 2019. Die Berlinerin litt unter einem unklaren Taubheitsgefühl und fühlte sich nicht wohl. Das schlimmste: Sie sah Doppelbilder. „Das ging so weit, dass ich nicht mehr mit dem Fahrrad fahren konnte, obwohl ich das so liebe.“

Sie ging mit den Symptomen zum Arzt – viele Untersuchungen später war klar: Im Gehirn von Miriam Rosen hat sich eine Geschwulst gebildet. Diese sei „langsam wachsend“, sagte man ihr. Und deshalb in der Medizinersprache „gutartig“ genannt.

Eine zweite Operation war nötig, um den Tumor komplett zu entfernen

Die erste OP lief gut, so dass Miriam Rosen gar nicht recht registrierte, was ihr damals der Arzt auch mit auf den Weg gab: Um den Tumor komplett zu entfernen, sei eine zweite Operation in ein paar Monaten wahrscheinlich.

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Im September 2020 kamen die Symptome zurück, nicht so schlimm, wie beim ersten Mal, aber ebenso beängstigend. Die Klinik setzte den Termin für die Folge-OP fest, einige Wochen später, ein Dienstag.

„Die Operation war nicht so dringend, dass sie als medizinischer Notfall sofort hätte stattfinden müssen“, sagte man Miriam Rosen. Aber die Aussicht empfand sie trotzdem als beängstigend. „Nach der Furcht einflößenden Diagnose benötigte ich viel Mut, um zu akzeptieren, dass mein Gehirn nochmals operiert werden musste.“

Einen Tag vor der Operation ging sie ins Krankenhaus. Sie habe in der Nacht kaum geschlafen, sagt sie. „Mir ging so viel durch den Kopf. Gedanken über den Abschied von den Kindern, Familie und Freunden, aber auch darüber, wie viel ermutigenden Zuspruch ich bekommen hatte.“

Am nächsten Morgen ist Miriam Rosen um 7 Uhr fertig für den Weg in den OP. Sie wartete in ihrem Zimmer, dass man sie abhole. Alles lief gut an, in wenigen Stunden würde sie die Operation hinter sich haben.

Die Schwester sagt ihr, dass der Eingriff verschoben werden muss. Alle Intensivbetten sind belegt.

Die Tür ins Patientenzimmer öffnet sich, eine Schwester kommt an ihr Bett. „Ich dachte, sie will mir sagen, dass es gleich los geht.“ Es kam anders. Die Schwester teilte ihr mit, dass auf der Intensivstation der Klinik leider kein Bett mehr frei sei. Doch nach solch einer Operation ist es vorgeschrieben, dass die Patientin zur Beobachtung auf die Intensivstation kommt. Und so stand das Team der Klinik vor der schwierigen Aufgabe zu entscheiden – und entschied, dass die Operation erst einmal verlegt wird.

„Es kommt leider durch die steigenden Infektionszahlen und die Senatsvorgaben im Moment immer mal wieder vor, dass eine geplante Operation kurzfristig verschoben muss“, sagt Oliver Kaschke, der Ärztliche Direktor des Sankt Gertrauden-Krankenhauses. Auf den konkreten Fall will die Klinik nicht eingehen. Allgemein gelte aber: „Nur weil eine Operation aus medizinischer Sicht verschoben werden kann, ist das für die Betroffenen nicht weniger zermürbend.“ Deshalb erfolge eine Verlegung immer nach sorgfältiger Abwägung der medizinischen Notwendigkeiten und Risiken.

„Bislang haben wir hier viel Verständnis von den Patienten erfahren“, sagt Kaschke. „Aber je schneller wir die Corona-Situation in Berlin in den Griff bekommen, desto besser auch für diejenigen, die im Moment wegen anderer medizinischer Probleme unserer Hilfe bedürfen.“

"Die furchtbaren Proteste gegen die Corona-Maßnahmen machen mich wütend"

Auch Miriam Rosen hat Verständnis für die Zwänge der Klinik, nicht aber für die Unvernunft, wegen der ihrer Meinung nach die Krankenhäuser an ihre Grenzen gelangen. „Diese furchtbaren Proteste gegen die Corona-Maßnahmen machen mich richtig wütend“, sagt sie. „Die Protestierenden wissen es nicht oder wollen es nicht wissen, was es für Kranke bedeutet, wenn alle Betten im Krankenhaus belegt sind.“

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Und Miriam Rosen hat noch einen weiteren Grund, über die Unvernunft der Protestierenden den Kopf zu schütteln. Sie hat es im engen Familienkreis persönlich erlebt, was das für ein Kampf gegen das Virus ist.

„Gott sei Dank hat mein Bruder es körperlich überstanden – nach drei Wochen im künstlichen Koma, Beatmung, Luftröhrenschnitt und Nierenversagen.“ Aber er sei nicht mehr der gleiche Mensch, den sie Anfang des Jahres vor der Pandemie gesehen habe.

"Bitte halten Sie sich an die Regeln, damit genug Intensivbetten zur Verfügung stehen!"

Miriam Rosen appelliert an Alle: „Bitte halten Sie sich an die Regelungen, so dass sich die Fallzahlen schnell reduzieren und die Intensivbetten auch für andere Patienten zur Verfügung stehen!“

Für sie kam die OP dann doch schneller, als gedacht. Schon zwei Tage, nachdem sie die Klinik verlassen hatte, war kurzfristig im Sankt Gertrauden-Krankenhaus ein Intensivbett frei geworden. Die zweite Operation sei gut verlaufen, haben ihr die Ärzte danach gesagt.

Seit ein paar Tagen ist sie in einer Rehaklinik, wartet auf ihren negativen Coronatest, um mit der Anschlussheilbehandlung, die einige Wochen dauern wird, beginnen zu können. Und so wird sie auch in der Reha an diesen unerwünschten Begleiter namens Corona erinnert.

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