Wegen Corona-Fällen überlastete Kliniken: Berlin nimmt schon Freitag erste Brandenburger Patienten auf
Transporte werden an diesem Donnerstag vorbereitet: Bis zu 50 Patienten aus Brandenburg sollen in Berliner Krankenhäuser – darunter auch Covid-19-Fälle.
Schon an diesem Donnerstag werden in märkischen Kliniken erste Krankentransporte nach Berlin vorbereitet – einigen Brandenburger Kliniken droht sonst Überlastung. Das Land verlegt nach Tagesspiegel-Informationen am Freitag bis zu 51 Patienten aus dem Klinikum Niederlausitz, aus Elbe-Elster, aus Cottbus und Eisenhüttenstadt nach Berlin.
"Die Transporte von Brandenburg nach Berlin beginnen am frühen Freitag", sagte Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) dem Tagesspiegel. "Wir helfen gern." Kalaycis Brandenburger Amtskollegin, die Grünen-Politikerin Ursula Nonnemacher, hatte um Berlins Hilfe gebeten. Ähnlich wie das angrenzende Sachsen ist Südbrandenburg ein Coronavirus-Hotspot. Pflegepersonal wurde dort – allerdings ebenso in Berlin – schon vor der Pandemie dringend gesucht.
Nun sollen offenbar insbesondere die Kliniken in Südbrandenburg entlastet werden. Nach Berlin verlegt werden dabei sowohl reguläre Patienten als auch Covid-19-Fälle. Die Brandenburger werden auf Berliner Normalstationen untergebracht.
In den fast 60 Plankrankenhäusern der Hauptstadt sind mehr als 2300 entsprechende Betten frei. Plankrankenhäuser sind Kliniken, die für die Landesversorgung als nötig eingestuft werden und deshalb Anspruch auf öffentliche Investitionen haben. Darunter sind staatliche, privat-betriebene, gemeinnützige und kirchliche Häuser.
Einige der Brandenburger werden nach Tagesspiegel-Informationen in Berlins landeseigene Vivantes-Kliniken gebracht. Deren Vorstand sorgte sich noch vor einer Woche darum, einzelne Häuser vom Rettungssystem abmelden zu müssen, auch weil Vivantes schon so viele Covid-19-Fälle versorgt. Inzwischen hat sich die Lage bei Vivantes offenbar ein klein wenig entspannt.
Zunächst gingen einige in der Potsdamer Landesregierung davon aus, dass die Brandenburger in die Covid-19-Notklinik in Berlins Messe verlegt würden. Das dortige "Corona-Behandlungszentrum Jafféstraße" in Halle 26 steht als Reserve-Krankenhaus bereit. Doch so lange noch Platz in regulären Kliniken ist, will Senatorin Kalayci die Brandenburger nicht in der Messe behandeln lassen. Das Notfallkrankenhaus steht als Reserve bereit und ist noch nicht in Betrieb.
Kliniken im Osten Deutschlands sollen sich als Kleeblatt-Region helfen
Kritischer ist die Lage auf Berlins Intensivstationen. Wie berichtet sind dort in diesen Tagen circa 90 Prozent der Betten belegt, erfahrenes Pflegepersonal ist knapp.
Die für besonders heikle Fälle ausgerüstete Charité bucht Leasingkräfte zu. Auch die Universitätsklinik hatte in westdeutschen Hochschulkrankenhäusern anfragen lassen, ob etwaige Verlegungen dahin möglich sind.
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Brandenburg voraussichtlich auch Sachsen-Anhalt um Bettenkapazitäten für Patienten bitten, kündigte Nonnemacher an. Sachsen komme nicht infrage, weil die Lage dort katastrophal sei. Im Osten Deutschlands sollen sich die Kliniken in Berlin, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als sogenannte Kleeblatt-Region helfen.
Im Kampf gegen das Coronavirus ist die größte Engstelle an den Brandenburger Kliniken derzeit das zur Verfügung stehende Krankenhauspersonal. Das sagte Gesundheitsministerin Ursula Nonnemacher (Grüne) am Donnerstag in einer Sondersitzung des Gesundheitsausschusses des Landtags in Potsdam.
Zahl der Corona-Infektionen in Brandenburg auf Höchststand
Das Land habe im Frühjahr die Beatmungsbetten auf 1032 zur Verfügung stehende Plätze ausgebaut. „Aber wir haben nicht das Personal dafür“, sagte Nonnemacher. „In vielen Kliniken ist die maximale theoretische Auslastung erreicht.“
Das Land habe deshalb bereits alle Pflegekräfte, die etwa aus familiären Gründen derzeit zu Hause sind oder den Beruf gewechselt haben, gebeten, sich bei Personalplattformen für Kliniken zu melden. In Brandenburg werden – Stand Donnerstag – 879 Personen wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus behandelt, davon befinden sich 156 in intensivmedizinischer Behandlung, hiervon müssen 111 beatmet werden. Von den 1031 Intensivbetten im Land sind 732 derzeit belegt.
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Zudem hat in die Zahl der Neu-Ansteckungen mit dem Coronavirus in Brandenburg einen neuen Höchstwert erreicht. Innerhalb eines Tages seien 1217 Fälle hinzugekommen, teilte das Gesundheitsministerium am Donnerstag in Potsdam mit.
Der bisherige Höchstwert war am vergangenen Samstag mit 1019 neuen Infektionen erreicht worden. Hinzu kamen bis Donnerstag 42 Todesfälle – so viele wie noch nie bisher. Einige Landräte im Süden Brandenburgs seien kurz davor, den Katastrophenfall auszurufen, sagte Nonnemacher.
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Brandenburg hatte bereits einen „Massenanfall von Erkrankten" ausgerufen, eine Art Vorstufe zum Katastrophenfall. Schon in diesem Fall kann die Koordination für die Verlegung von Patienten zentral von Rettungsdiensten gesteuert werden, zudem darf das Gesundheitswesen auf Fahrzeuge anderer Behörden zugreifen.
Das Infektionsgeschehen in den im Süden Brandenburgs gelegenen Landkreisen Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße und Elbe-Elster, die derzeit besonders stark betroffen sind, sei diffus, sagte Nonnemacher. Gerade im Landessüden liegt der Wert der Sieben-Tage-Inzidenz – die Anzahl der in den vergangenen sieben Tagen neu gemeldeten Fälle pro 100.000 Einwohner – bei mehr als 500. Damit erreichen die südlichen Landkreise sächsische Verhältnisse.
„Sie sind Zahnarzt und Rechtsextremist“
Gesundheitsministerin Nonnemacher platzte am Donnerstag im Landtag dann noch der Kragen, es war ein regelrechter Wutausbruch am Rednerpult. Von der AfD-Fraktion kam erneut der Vorwurf, es werde „Corona-Aktionismus“ betrieben.
„Ich habe Ihre Corona-Leugnerei satt“, sagte Nonnemacher an die AfD, besonders an deren Fraktionsvorsitzenden Hans-Christoph Berndt gerichtet. Berndt wird vom Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft, er sprach im Landtag von einem „Regieren durch Corona-Angst“ und würdigte die so genannten „Querdenker“ als „Bürgerbewegung der Nachdenklichen und Couragierten“.
Nonnemacher sagte: „Sie sind Zahnarzt und Laboratoriumsmediziner, sie sind seit 2006 freigestellt und haben die Arbeit in der Notaufnahme nie erlebt“, sagte Nonnemacher, die selbst bis 2009 als Ärztin in der Notaufnahme im Spandauer Vivantes-Krankenhaus gearbeitet hat. „Sie wissen nicht, wie es ist, wenn Menschen ersticken, weil sie keine Luft mehr bekommen, und wenn sie Todesängste durchstehen. Sie bleiben Zahnarzt und Rechtsextremist.“