Keine Eingriffe, keine Einnahmen: Berliner Krankenhäusern drohen Millionenverluste wegen der Coronakrise
Berlins Kliniken sollen Kapazitäten für Infizierte freihalten und leiden unter dem Misstrauen der Patienten. Die Operationszahlen sind massiv eingebrochen.
Auch Monate nach dem Ausbruch der Corona-Pandemie leiden die Krankenhäuser der Hauptstadt unter teilweise massiven Einnahmeausfällen. „Die Krise hört nicht auf und von einer Rückkehr zu einem Regelbetrieb kann zumindest derzeit keine Rede sein“, erklärte Marc Schreiner, Geschäftsführer der Berliner Krankenhausgesellschaft am Mittwoch.
Wie stark sich die Jahresbilanz der Häuser eintrüben werde, könne zum jetzigen Zeitpunkt seriös kaum eingeschätzt werden, sagte Schreiner und merkte an: „Das Problem an der Konzentration auf die zugebenermaßen unbürokratisch und schnell ausgezahlten Freihaltepauschalen ist: Sämtliche anderen Leistungen, die ebenfalls massiv eingebrochen sind, werden nicht erstattet. Das führt zu massiven Erlösausfällen, beispielsweise im ambulanten Bereich.“
Wie dramatisch sich der Einbruch von Behandlungen finanziell auswirken dürfte, zeigt eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Marcel Luthe (fraktionslos). Er wollte wissen, wie viele Operationen in der Charité sowie in den Kliniken der Vivantes-Gruppe zwischen 2014 und Juli 2020 monatlich durchgeführt wurden.
Die dem Tagesspiegel exklusiv vorliegende Antwort belegt einen massiven Einbruch der OP-Zahlen für die Monate April und Mai im Vergleich zum Vorjahr. Statt wie noch 2019 monatlich 7700 (April) und 7900 Eingriffe (Mai), fanden bei Vivantes 2020 lediglich 4300 (April) und 4800 Operationen (Mai) statt. Zwischen März und Juni fehlten dem landeseigenen Klinikkonzern mehr als 8400 Operationen im Vergleich zum Vorjahr.
Damit lag der Wert im Bereich des Rückgangs bei anderen Krankenhäusern wie der Charité oder privaten Häusern. Allein der Berliner Universitätsklinik drohen coronabedingte Verluste von bis zu 44 Millionen Euro. Addiert um die Zusatzkosten durch den Ausbruch der Pandemie, wächst das Defizit der Charité auf 75 Millionen Euro.
Experten warnen vor „Kollateralschäden“ der Pandemie
Im Gespräch mit dem Tagesspiegel wies der zuletzt aus der FDP-Fraktion ausgeschlossene Luthe darauf hin, dass in der vorläufigen finanziellen Corona-Bilanz der Krankenhäuser die medizinisch-gesundheitspolitischen Folgen noch gar nicht abgebildet seien.
„Neben den finanziellen Einbußen für die Krankenhäuser müssen wir auch die gesundheitlichen Folgen jeder verschobenen Operation - meist die zeitliche Verlängerung der Krankheitsdauer - bei der Abwägung der Folgen der Verordnungen berücksichtigen“, forderte Luthe. Er hatte im April per Eilantrag gegen die Verordnung des Senats geklagt, war damit aber am Verfassungsgerichtshof gescheitert.
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Wolfgang Albers, Gesundheitsexperte der Linksfraktion, teilte die Bedenken seines Abgeordnetenkollegen. Die „Kollateralschäden“ des Lockdowns im Bereich der Kliniken seien zum jetzigen Zeitpunkt „noch nicht absehbar“ erklärte Albers. Aktuell sei außerdem unklar, ob und in welchem Umfang die Ende September auslaufenden Freihaltepauschalen für nicht belegte Betten verlängert würden.
Grünen-Gesundheitspolitikerin Catherina Pieroth merkte an, dass Corona die Finanzierung der Krankenhäuser nach dem Fallpauschalenmodell grundsätzlich in Frage stelle. Sie erklärte, eine Bundesratsinitiative aus Mecklenburg-Vorpommern zur Abschaffung dieses Modells sei „nachahmens- und unterstützenswert“.