Nach Verlautbarung aus Sachsens Corona-Hotspot: War die „Triage“- Äußerung ein Hilferuf?
In Zittau herrsche keine Triage, sagt Sachsens Landeschef Kretschmer. "Priorisierung" aber gibt es - und Kliniken prüfen, Patienten aus Personalnot zu verlegen.
In der Debatte um Triage in deutschen Krankenhäusern wird Äußerungen aus Sachsen widersprochen. Anlass ist das Klinikum Oberlausitzer Bergland in Zittau, dort soll "triagiert" worden sein. Der dortige Ärztliche Direktor, Mathias Mengel, hatte offenbar in einem Online-Bürgerforum gesagt: In seinem Krankenhaus habe man mehrfach entscheiden müssen, welcher Covid-19-Patient noch mit Beatmungsgeräten versorgt wird.
Dem Nachrichtenportal t-online sagte der Mediziner: "Wir waren in den vergangenen Tagen schon mehrere Male in der Situation, dass wir entscheiden mussten, wer Sauerstoff bekommt und wer nicht."
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) nannte dies in der "Bild"-Zeitung einen übertriebenen "Hilferuf" des Klinikleiters. "Wenn man nicht gehört wird, dann wird man lauter, dann wird man drastischer", sagte Kretschmer. Sachsens Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) bezeichnete die Triage-Äußerung als "Warnruf", denn: "Wir wissen bald nicht mehr, wie wir die Patienten versorgen sollen." Den Fall selbst könne die Ministerin nicht bestätigen.
Auch die Zittauer Krankenhausleitung erklärte, es habe keine Triage-Lage gegeben, dies sei ein "Missverständnis". Üblicherweise wird unter Triage verstanden: Reichen Geräte, Medikamente, Personal nicht für alle, werden Patienten in Dringlichkeitsstufen eingeteilt, von "trier" – französisch für "sortieren". Patienten, deren Chancen auf Genesung besser sind, werden eher behandelt als jene, die schlechtere Chancen hatten. Grob vereinfacht assoziieren einige damit "Sterbenlassen".
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Mediziner, die mit den Vorgängen in Sachsen vertraut sind, betonen: Es sei in Zittau um das Verlegen und Verschieben von Eingriffen gegangen, die vor der Pandemie zeitnah vor Ort durchgeführt worden wären. Dies ist immer üblich, wenn - nach Großunfällen beispielsweise - plötzlich massenhaft Patienten ankommen.
Die Klinik in Zittau befindet sich im Landkreis Görlitz, dem aktuellen Coronavirus-Hotspot Deutschlands. Zuletzt seien Patienten von dort bis nach Leipzig verlegt worden, teilte Christian Kleber von der Universitätsklinik Dresden mit, der die Intensiv-Versorgung in Ostsachsen koordiniert. Es sei davon auszugehen, dass diese Fälle in den kommenden Tagen häufiger werden. Noch gebe es in Sachsen aber freie Intensivbetten.
Intensivmediziner: Wir priorisieren im Alltag ständig
"Wir priorisieren im Alltag ständig, welcher Patient die oft knappen Intensivplätze als erster benötigt", sagte Jörg Weimann, einer der führenden Intensivmediziner Berlins. "Das gelingt in normalen Zeiten ohne Nachteil für die Patienten – also nach einwandfreien, von allen Fachkollegen nachvollziehbaren Kriterien. In Krisenzeiten ist das womöglich anders, dann könnte selbst eine sinnvolle Reihenfolge dazu führen, dass einige Patienten nicht sofort versorgt werden können. Nur im absoluten Notfall droht Triage: Das wäre die seltene und äußerst belastende Entscheidung darüber, welcher Fall mit den knappen zur Verfügung stehenden Mitteln gerettet werden kann – und für wen es schlimmstenfalls nicht reicht."
Weimann hat für Berlin das Pandemiekonzept mitentworfen, wonach die Intensivstationen drei „Levels“ zugeteilt werden. Als Level I behandelt die Charité die schwersten Fälle. Level II sind 16 Kliniken, darunter die großen, ebenfalls landeseigenen Vivantes-Häuser, die weitere, auch schwere Covid-19-Patienten versorgen. Level-III-Kliniken kümmern sich um Intensivfälle, die nicht mit dem Coronavirus infiziert sind.
Kalayci: In Berlin reichen die Kapazitäten
Die Lage in Berlin ist derzeit besser, auch wenn Coronavirus-Infizierte 28 Prozent der Patienten auf Berlins Intensivstationen ausmachen. Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) sagte der Deutschen Presseagentur: "In Berlin reichen die Kapazitäten für die Versorgung der Covid-19-Patienten aus." Man habe noch mehr als 200 Intensivbetten frei, auch Beatmungsgeräte stehen zur Verfügung. Dazu kommen 2000 Normalbetten.
Allerdings wird überall Pflegepersonal gesucht. Wie berichtet, waren schon vor der Pandemie viele Planstellen nicht besetzt. Dazu kommen Krankheits- und Quarantänefälle unter den Klinikmitarbeitern. Die Kliniken bemühten sich um Leasingkräfte, hieß es aus diversen Krankenhäusern, doch der Arbeitsmarkt sei weitgehend leer.
Ärzte in Berlin und Sachsen betonen, akute lokale Personalnot könne zeitintensive Transporte in andere Städte nötig machen. Dies wiederum könne die Versorgung verlegter Patienten beeinträchtigen - von "Triage" zu sprechen sei aber falsch. Patienten in andere Kliniken zu verlegen, weil es so viele Covid-19-Fälle gibt, prüft auch die Charité. Dabei geht es Berlins Universitätsklinik darum, etwa Tumor-Operationen womöglich in anderen Städten durchführen zu lassen. Ein Charité-Sprecher sagte: Eine Triage-Situation gebe es nicht.
Senatorin Kalayci hatte angeordnet, planbare Behandlungen zu verschieben, um Ressourcen für den Kampf gegen das Coronavirus zu schonen. Allerdings verdienen die Kliniken oft nur durch reguläre Operationen netto Geld. Der Berliner Ärztekammerpräsident, Günther Jonitz, sagte dem Tagesspiegel, die Personallage sei äußerst angespannt, er fordere die Kliniken auf, jeden verschiebbaren Eingriff tatsächlich zu verschieben: "Inzwischen wird in einigen Krankenhäusern fachfremd behandelt, Kinderärzte versorgen dort beispielsweise Erwachsene."