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Hauptsache Öko: Die Koalition will den Bioanteil ausbauen.
© imago images / Westend61

Die Pläne der Koalition für die Agrar- und Ernährungspolitik: Alles bio, oder was?

Was die Ampel Bauern und Bürgern auftischt: Mehr Öko, mehr Tierwohl, keine Zuckersteuer, Hunde müssen gechippt werden. Aber vieles bleibt unverbindlich.

Nimmt man den Co-Vorsitzenden der Grünen, Robert Habeck, beim Wort, brechen für Landwirte und Verbraucher unter einer rot-grün-gelben Bundesregierung neue Zeiten an. Nicht nur das Artensterben, auch das Höfesterben schreie nach einem neuen Denken in einer Landwirtschaftspolitik, „die nicht nur wachse oder weiche kennt“, sagte Habeck am Mittwoch bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags. In der neuen Regierung sollen die Grünen das Landwirtschaftsministerium bekommen. Die Parteiführung möchte Cem Özdemir für dieses Amt.

Während der Deutsche Naturschutzring am Mittwoch „wichtige Signale für eine längst überfällige Transformation“ der Agrarpolitik im Koalitionsvertrag lobte, überwiegt am Tag danach bei der Verbraucherschutzorganisation Foodwatch die Enttäuschung: „Im Koalitionsvertrag fehlt jedwede Vision, wie man das Agrarsystem zukunftsfest machen kann“, kritisierte Matthias Wolfschmidt, internationaler Kampagnendirektor, in Berlin.

Thilo Bode ist Gründer von Foodwatch.
Thilo Bode ist Gründer von Foodwatch.
© Foodwatch

Foodwatch-Gründer Thilo Bode vermisst etwa konkrete Vorgaben für die Grenzen der Tierhaltung. 75 Prozent der Treibhausgasemissionen, für die die Landwirtschaft verantwortlich ist, entfallen auf die Nutztiere, sagt Bode, besonders kritisch seien dabei Rinder. Im Interesse des Klimaschutzes müsse man die Bestände daher halbieren. Im Koalitionsvertrag ist jedoch eher unverbindlich die Rede davon, dass sich die Entwicklung der Tierbestände an der Fläche orientieren und mit den Zielen des Klima-, Gewässer- und Emissionsschutzes in Einklang gebracht werden soll.

30 Prozent für den Ökolandbau

Konkreter werden die Ampel-Verhandler dagegen beim Ausbau des Öko-Landbaus. Bis zum Jahr 2030 soll dieser einen Anteil von 30 Prozent haben, derzeit sind es rund zehn Prozent. Allerdings hatte bereits die Grünen- Politikerin Renate Künast 2001 in ihrer Amtszeit als Agrarministerin verkündet, dass Bio-Waren bis 2011 einen Marktanteil von zwanzig Prozent haben sollen. Heute ist man davon weit entfernt. Derzeit, kritisiert Wolfschmidt, liegt der Marktanteil von Bio-Lebensmitteln bei fünf bis sechs Prozent. Neben mehr Ökolandbau soll der Einsatz von Pestiziden reduziert, der Einsatz von Glyphosat nach 2023 verboten werden.

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Tierwohllabel: der nächste Anlauf

Zufriedener sind dagegen die Tierschützer. Der Deutsche Tierschutzbund freut sich über die Ankündigung, bis zum nächsten Jahr eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung auf den Weg zu bringen, die auch Transport und Schlachtung umfasst. Lebendtransporte von Schlachttieren in Drittstaaten sollen künftig nur noch erlaubt werden, wenn es auf den Routen tierschutzgerechte Versorgungseinrichtungen gibt.

Die Regeln für Tiertransporte sollen verschärft werden.
Die Regeln für Tiertransporte sollen verschärft werden.
© picture alliance/dpa/Ulrich Perrey

Neben der Haltungskennzeichnung soll es auch eine umfassende Herkunftskennzeichnung geben. Das soll die Absatzchancen deutscher Bauern steigern. Allerdings fehlen im Vertrag Ideen, wie man Billigimporte aus dem Ausland, die unter geringeren Tierschutz- und Nachhaltigkeitsstandards produziert werden, erschweren will.

Unklar bleibt auch, wie die bessere Tierhaltung finanziert werden soll. Im Vertrag heißt es, „ein durch Marktteilnehmer getragenes finanzielles System“ soll das Geld für den nötigen Stallumbau bringen. Konkreter werden dagegen die Anforderungen für Hundehalter und -halterinnen. Sie müssen künftig bundesweit ihre Vierbeiner kennzeichnen und registrieren lassen.

Ernährungsstrategie bis 2023

Wenn es um gesunde Ernährung geht, lässt sich Rot-Gelb-Grün Zeit. Bis 2023 will man eine Ernährungsstrategie für gutes Essen und Bewegung beschließen, heißt es im Koalitionsvertrag.

Konkret wird der Vertrag nur in einem Punkt: Um Kinder vor Dickmachern zu schützen, soll es in Formaten, die sich an unter 14-Jährige richten, keine Werbung mehr für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt mehr geben.

Veggie- statt Fleischburger: Pflanzliche Alternativen sollen gestärkt werden.
Veggie- statt Fleischburger: Pflanzliche Alternativen sollen gestärkt werden.
© Getty Images/iStockphoto

Generell gilt: Pflanzliche Erzeugnisse sollen gestärkt werden, in Mensen und Kantinen sollen mehr regionale und Bio-Lebensmittel serviert werden. Konkrete Vorgaben fehlen jedoch, anders als in Berlin. Das Land schreibt vor, dass Schulessen zur Hälfte bio sein muss.

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Eine Zuckersteuer wird es nicht geben

Was die amtierende Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) bereits angestoßen hat, wollen die Koalitionäre fortsetzen: Der Anteil von Zucker, Fett und Salz soll in Lebensmitteln verringert werden. Eine Zuckersteuer soll es jedoch nicht geben.

Verbraucherschutz wandert ins Umweltministerium

Während Ernährungsfragen weiterhin im Agrarministerium entschieden werden soll, wandert der wirtschaftliche Verbraucherschutz ins Wirtschafts- und Energieministerium, das Robert Habeck leiten soll. Klaus Müller, Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, hält das nicht für einen Nachteil. „Umwelt- und Verbraucherschutz in einem Ministerium zu vereinen, stärkt beide Politikfelder“, meint er.

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