Deutschland beschließt Ausstieg: Hobbygärtner dürfen kein Glyphosat mehr versprühen
Das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat dürfte bald aus den Regalen verschwinden. Ein Verbot zur Verwendung für Privatleute soll noch im Juli in Kraft treten.
Das Gift steht ganz unten. Noch können deutsche Hobbygärtner das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat legal kaufen, doch großen Absatz findet das umstrittene Herbizid in dem Zehlendorfer Gartencenter nicht. „Wird kaum noch gekauft“, heißt es dort. Im Schrank mit den gesammelten Unkraut- und Insektenkillern steht „Roundup“ ganz unten, Bückware quasi.
Bald dürfte das Mittel ganz aus dem Regal verschwinden. Denn Deutschland hat den Ausstieg beschlossen: Ab 2024 soll Glyphosat hierzulande gar nicht mehr verwendet werden dürfen, so steht es in der kürzlich beschlossenen Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung. Für Haus- und Laubenbesitzer ist aber schon viel früher Schluss, nämlich praktisch sofort. Für den Einsatz in privaten Gärten soll das Glyphosat-Verbot möglichst noch im Juli in Kraft treten, betont eine Sprecherin des Bundesagrarministeriums. Dasselbe gilt für den Einsatz in Parks und auf Sportplätzen.
Bayer kämpft um eine Verlängerung der Zulassung
Während in der Bundesregierung in Sachen Glyphosat ungewohnte Einigkeit herrscht, hofft Bayer - das Unternehmen produziert für allerdings nicht für Privatkunden - auf eine weitere Verlängerung in der EU. Die aktuelle Zulassung läuft im Dezember 2022 aus, stimmen die Mitgliedstaaten nicht für eine weitere Runde, dürfte das Mittel ab 2024 – nach einer einjährigen Übergangsphase – in der EU nicht mehr verwendet werden. In Leverkusen arbeitet man daher mit Hochdruck an einer Neuauflage. Ein wissenschaftliches Dossier mit 1200 Artikeln soll die EU-Aufsichtsbehörden, die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten von der Unbedenklichkeit des Wirkstoffs überzeugen.
Die erste Hürde hat Bayer bereits genommen: Mitte Juni gaben die Prüfbehörden in Frankreich, Schweden, Ungarn und den Niederlanden, die im Auftrag der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa mit einer Vorprüfung befasst waren, grünes Licht für eine erneute Zulassung. Tierversuche, epidemiologische Studien sowie statistische Analysen hätten gezeigt, dass das Mittel weder krebserregend noch erbgutschädigend sei, so die Vierer-Gruppe.
Bleibt abzuwarten, wie andere das sehen. Im September startet ein öffentlicher Diskussionsprozess, in dem Wissenschaftler und Mitgliedstaaten ihre – möglicherweise divergierenden – Einschätzungen äußern können, in der zweiten Jahreshälfte 2022 wird die Efsa ihre Empfehlung veröffentlichen. Ihr Gutachten ist die Basis für das Votum der EU-Mitgliedstaaten. Zumindest sollte das so sein, heißt es bei Bayer. „Wir hoffen, dass die Politik der Wissenschaft folgt“, sagt Kristian Kather, der bei Bayer das Zulassungsverfahren betreut.
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Agrarministerin Klöckner rechnet mit dem Aus für Glyphosat
Doch im Bayer-Mutterland herrscht Skepsis. Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU) rechnet nicht mit einer Mehrheit für Glyphosat in der EU. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) geht fest davon aus, dass es in Deutschland nach der Wahl auch in der neuen Bundesregierung „keine realistische Mehrheit“ für Glyphosat geben wird. „Die negativen Auswirkungen von Glyphosat auf die biologische Vielfalt und dadurch auch auf die Insekten sind unbestritten und dürfen nicht ignoriert werden“, betont ein Ministeriumssprecher. Umweltschützer kritisieren, dass Glyphosat nicht nur Unkraut, sondern auch für Insekten wichtige Pflanzen wie etwa Mohn oder Kornblumen auf den Äckern vernichtet.
Grüne: Ausstieg ist nicht sicher
Dass Glyphosat in Deutschland verboten wird, ist nach Meinung des Grünen-Agrarexperten Harald Ebner aber keinesfalls sicher. „Die Bundesregierung hat den falschen Eindruck erweckt, das Ende von Glyphosat sei beschlossene Sache“, kritisiert er. Doch der Ausstieg im Jahr 2024 finde nur dann statt, wenn die EU den Stoff tatsächlich vom Markt nimmt. Mit dem neuen Glyphosat-Bewertungsbericht steige aber die „Gefahr für eine Verlängerung der Zulassung“. Dabei schade Glyphosat nicht nur den Insekten, sondern auch den Menschen, befürchtet Ebner.
Der Wiener Krebsforscher Siegfried Knasmüller hat 53 der Studien zu möglichen Erbgutschäden untersucht, die im Glyphosat-Dossier aufgelistet sind. Ein Großteil habe erhebliche wissenschaftliche Mängel, berichtet der „Spiegel“ über Knasmüllers Ergebnisse. Die Studien seien ein „Desaster“.
Bayer weist das zurück und beruft sich auf die Regulierungsbehörden aus aller Welt, die Glyphosat bei ordnungsgemäßer Anwendung für undenklich halten. Zudem verweist der Konzern auf über 800 Studien, darunter die Agricultural Health Study. In der US-Studie wurden über 50.000 Anwender von Glyphosat 25 Jahre lang untersucht. Bei sachgerechter Anwendung habe man keinen Zusammenhang zwischen Glyphosat und Krebs nachweisen können, so das Fazit.
Doch vor den US-Gerichten zieht das nicht. Der Kauf des US-Glyphosat-Herstellers Monsanto 2018 ist für Bayer in den USA zum Debakel geworden. Bislang hat der Konzern in erster Instanz drei Prozesse verloren – mit millionenschweren Schadensersatzzahlungen. Zwei Berufungsverfahren endeten ebenfalls mit Niederlagen. Im Juni wurde nach langer Pause erstmals wieder eine neue Klage eingereicht.
Die Gerichte hören nicht auf die US-Aufsichtsbehörde EPA, die Glyphosat für nicht krebserregend hält, sondern machen sich die Warnung der Krebsforschungsagentur der WHO aus dem Jahr 2015 zu eigen, wonach Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“ ist.
In den USA wird der Glyphosat-Streit teuer
Dabei hatte Bayer-Chef Werner Baumann gehofft, das Kapitel mit einem milliardenschweren Vergleich beenden zu können. 9,6 Milliarden Dollar hat Bayer dafür zurückgelegt. Von den 125.000 Klagen sind über 96.000 bereits per Vergleich beigelegt. Das Problem: Anders als erhofft hat Bayer nicht verhindern können, dass neue Klagen bei den Gerichten erhoben werden. Einen entsprechenden Vergleich mit US-Klägeranwälten, der Bayer ein für alle Mal Ruhe bescheren sollte, hat der zuständige Richter Vince Chhabria abgelehnt.
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Mit einem Fünf-Punkte-Plan versucht Bayer nun, eine neue Klagewelle in den USA zu verhindern. Der Konzern hofft auf einen Erfolg vor dem Supreme Court und dass US-Bundesrecht dann das für Bayer ungünstige Landesrecht bricht. Zudem strebt Bayer außergerichtliche Einigungen mit neuen Klägern an – ohne dass sich Anwälte einmischen. Die Menschen sollen Schadensersatz je nach Schwere der Erkrankung und Dauer der Exposition mit Glyphosat bekommen. Rund zwei Milliarden Dollar sind dafür vorgesehen.
Wichtig auch: An Privatleute, die 90 Prozent der Klagen ausmachen, soll Glyphosat in den USA künftig nicht mehr verkauft werden. Wie in Deutschland. Hierzulande sollen die Pflanzenschutzdienste der Bundesländer kontrollieren, dass Glyphosat in Bau- und Gartencentern nicht mehr an Privatleute abgegeben wird. Der Onlinehandel wird durch die eigens dafür errichtete Stelle, die Zentralstelle Online-Überwachung Pflanzenschutz, überwacht.
Die Bahn will kein Glyphosat mehr nutzen
Allerdings sinkt der Absatz von Glyphosat in Deutschland ohnedies schon seit Jahren. Auch der größte Einzelanwender, die Deutsche Bahn, geht auf Abstand. Vor drei Jahren hatte das Staatsunternehmen noch 50 Tonnen Herbizide eingesetzt, um die 61.000 Schienenkilometer frei von Büschen oder Gräsern zu halten. Im vergangenen Jahr waren es nur noch 1,3 Tonnen. „Die Deutsche Bahn verzichtet bis Ende 2022 proaktiv auf den Einsatz von Glyphosat“, teilte ein Bahnsprecher dem Tagesspiegel mit. Bis dahin reduziere man den Einsatz deutlich – 2020 bereits um die Hälfte. „Gleichzeitig erproben wir Alternativverfahren für einen sicheren Bahnbetrieb“, so der Sprecher. Übrigens: Auf dem neuen Flughafen BER ist Glyphosat gar nicht erst verwendet worden.
Trauerspiel für Aktionäre
Wie es weitergeht, ist nicht nur für das Unternehmen und die Politik interessant: Auch die Bayer-Aktionäre werden mit großer Aufmerksamkeit verfolgen, wie der Streit um Glyphosat endet. Denn bisher hat sich die Übernahme von Monsanto als Gift für ihre Aktien entwickelt. Der Kurs dümpelt derzeit bei um die 50 Euro herum, selbst aktuelle gute Nachrichten aus dem Pharmabereich konnten die Aktie nicht beleben. Glyphosat vergiftet den Kurs. Wie sehr, zeigt ein Blick auf den Aktienverlauf: Seit 2017 hat sich der Wert der Bayer-Aktie mehr als halbiert.