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Bunt, aber ungesund: Für Werbung für zuckerhaltige Lebensmittel wie Frühstücksflocken gelten bald strengere Regeln.
© Getty Images/iStockphoto

Die Industrie verschärft die Regeln: Welche Werbung Kinder bald nicht mehr sehen sollen

Von wegen Vitamine: Firmen dürfen Süßkram für Kinder künftig nicht mehr als gesund bewerben. Die Industrie greift damit einem Gesetz vor.

„Vitamine und Naschen!“: Mit diesem Spruch bewirbt Storck seit Jahren „Nimm2 Lachgummi“. Schon bald könnte damit allerdings Schluss sein. Denn der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) verschärft seine Regeln für Werbung für Lebensmittel, die besonders fett-, salz- oder zuckerhaltig sind. Gelten sollen die neuen Regeln voraussichtlich ab Juni.

Um Kinder und Jugendliche besser zu schützen, wird dabei unter anderem das Alter der Zielgruppe angehoben, für die die Werbebeschränkungen gelten: von 12 auf 14 Jahre. Neu ist außerdem, dass Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Salz- oder Zuckergehalt nicht mehr auf gesunde Inhaltsstoffe wie Calcium oder Vitamine hinweisen darf.

Diese Regeln gelten aber nicht für alle Werbeinhalte. Sie greifen nur, wenn die Werbung im Umfeld von Kindersendungen ausgestrahlt wird oder sich mit ihrer Aufmachung gezielt an Kinder richtet. Grundsätzlich dürfen Süßigkeiten also nach wie vor beworben werden, die Werbung darf aber bestimmte Inhaltsstoffe nicht mehr als Verkaufsargument herausstellen. Die Regeln gelten für alle Unternehmen, die für Lebensmittel werben. Davon wäre dann vermutlich auch Storck mit dem Lachgummi-Spot betroffen.

Kritiker fordern trotz Verschärfung ein Gesetz

„Die neuen Regeln sind in Zusammenarbeit mit der Werbewirtschaft, mit Herstellern, Handel, Agenturen und Medien erarbeitet worden“, sagt ZAW-Geschäftsführerin Katja Heintschel von Heinegg. Die breitgefächerte Zusammenarbeit erhöhe die Wahrscheinlichkeit, dass die Regeln auch akzeptiert und umgesetzt würden. ZAW-Geschäftsführer Bernd Nauen sieht Deutschland mit den neuen Regelungen „beim Schutzniveau für Kinder und Jugendliche im europäischen Vergleich in der Spitzengruppe“.

Kai Kolpatzik, Leiter der Abteilung Prävention im AOK-Bundesverband, hält die verschärfte Selbstverpflichtung allerdings nicht für ausreichend. „Freiwillig funktioniert nicht mehr. Wir brauchen eine einheitliche Gesetzgebung, am besten auf Bundesebene, die den Umfang von Kindermarketing für ungesunde Lebensmittel beschränkt“, sagt er. Außerdem hätten verschiedene EU-Länder bereits vorgemacht, dass gesetzliche Beschränkungen für Kindermarketing umsetzbar seien. Irland hat beispielsweise Werbung für Lebensmittel mit hohem Fett-, Zucker- und Salzgehalt in Kinderprogrammen verboten. Schweden geht noch weiter. Dort ist Werbung in Kinderprogrammen für unter Zwölfjährige komplett verboten.

15 Mal am Tag sehen Kinder Werbung für Ungesundes

Zusammen mit Verbraucherschützern, Kinderärzten und anderen Krankenkassen fordert die AOK deshalb seit langem ein Gesetz, das Werbung für Kinderlebensmittel entweder verbietet oder zumindest deutlicher beschränkt. Erst kürzlich veröffentliche das Deutsche Institut für nichtübertragbare Krankheiten (DANK) gemeinsam mit der AOK eine Studie, der zufolge Kinder besonders häufig Werbung für Lebensmittel zu sehen bekommen, die die Weltgesundheitsorganisation als ungesund einstuft. Im Schnitt sehen Kinder zwischen drei und 13 Jahren demnach täglich mehr als 15 Werbungen für ungesunde Lebensmittel.

Je ungesünder das Lebensmittel sei, desto mehr Marketing für die Zielgruppe Kind würde betrieben, sagt Tobias Effertz von der Universität Hamburg. Er hat die Studie im Auftrag der DANK und des AOK-Bundesverbandes durchgeführt. Demnach hat auch die Werbeintensität zugenommen.

Kinder leiden zunehmend unter Übergewicht. Es später wieder loszuwerden, ist schwer.
Kinder leiden zunehmend unter Übergewicht. Es später wieder loszuwerden, ist schwer.
© imago images/Petra Schneider

Allein im Fernsehen, ist die Zahl der Werbespots pro Stunde seit 2007 um 30Prozent gestiegen. Ungewollt konsumieren Kinder dadurch Werbung, die ihnen Softdrinks, Snacks, Desserts oder Süßigkeiten schmackhaft machen soll. Auch im Internet werden sie mit solchen Verführungen konfrontiert, manchmal ohne es zu merken. Immer mehr Influencer preisen Produkte im Auftrag von Lebensmittelkonzernen an.

Auf die zunehmende Werbung durch Influencer im Internet hat der Zentralverband der Deutschen Werbewirtschaft bereits reagiert. Die neuen Regelungen sollen für alle Formen von Werbeinhalten gelten, explizit auch für die Kooperation mit Influencern auf Videoplattformen und in sozialen Netzwerken. Die Ergebnisse der DANK-Studie stellt der ZAW allerdings in Frage. Sie würden fälschlicherweise den Eindruck erwecken, dass ein direkter Zusammenhang zwischen Lebensmittelwerbung und Übergewicht bei Kindern bestehe

. „Die Daten- und Erfahrungslage in Ländern belegt, dass Werbeverbote keinen Mehrwert bedeuten, um Übergewicht zu reduzieren“, sagt Bernd Nauen, Geschäftsführer des ZAW. Die Studie berücksichtige außerdem nicht den Werbefreien KIKA-Kanal, der bei Kindern zwischen drei und 13 Jahren den zweitgrößten Marktanteil habe, was die Ergebnisse verzerre. Außerdem gehe die Zeit, die Kinder vor dem Fernseher verbringen, seit Jahren zurück.

Mehr Kinder leiden unter Übergewicht und Diabetes

„Es gibt eine Fülle von Studien, die eindeutig belegen, dass an Kinder gerichtete Werbung wirksam ist und Kinder die beworbenen Lebensmittel vermehrt, konsumieren“, sagt dagegen Hans Hauner, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Diabetes Stiftung. Die Folgen dieses Konsums sehe sie seit Jahren in ihrer Praxis, berichtet auch Sigrid Peter. Sie ist Kinder- und Jugendärztin in Berlin und stellvertretende Vorsitzende des Berufsverbandes der Kinder und Jugendärzte. Übergewicht und Diabetes hätten in den vergangenen Jahren bei Kindern stark zugenommen. In Deutschland ist jedes siebte Kind übergewichtig. Die Chancen, dieses Übergewicht im Laufe des Lebens wieder loszuwerden, seien schlecht, sagt Sigrid Peter.

Ernährungsministerin Julia Klöckner forderte strengere Regeln, plant aber kein Bundesgesetz.
Ernährungsministerin Julia Klöckner forderte strengere Regeln, plant aber kein Bundesgesetz.
© imago images/Jens Schicke

Für ein Werbeverbot wäre das Bundesernährungsministerium zuständig. Ministerin Julia Klöckner (CDU) hat sich mehrfach für stärkere Beschränkungen stark gemacht, wenn sich Lebensmittelwerbung an Kinder richtet. Doch ein eigenes, bundesweites Gesetz plant sie nicht. Klöckner sieht stattdessen die Länder und die Werbewirtschaft in der Pflicht. Außerdem ist die Rechtslage kompliziert. Auf EU-Ebene schreibt die Richtlinie für Audiovisuelle Medien (AVMD-Richtlinie) Regeln für die Lebensmittelwerbung vor, wenn diese auf Kinder abzielt.

Grundsätzlich gilt: Kinder sollen im Fernsehen und auf Online-Plattformen möglichst wenige Werbespots sehen. Produktplatzierungen oder Teleshopping-Sendungen sollen in Kinderprogrammen – auch im Internet – verboten werden. In Deutschland ist die Richtlinie per Medien- und Jugendschutz- Staatsvertrag der Länder im November umgesetzt worden: Kinder werden nach dem Jugendschutz-Staatsvertrag per Gesetz so definiert, dass sie jünger als 14Jahre sind.

Die Einzelheiten für die Werbung legt die Werbewirtschaft per Selbstverpflichtung fest. Das Zusammenspiel von Staatsvertrag und Werberichtlinien der Branche schafft nach Meinung des Ministeriums Regeln, die bundesweit einheitlich sind, so dass es derzeit keinen Bedarf für ein Bundesgesetz gibt.

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