EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis: "5G und Glyphosat - beides ist ungefährlich für die Gesundheit"
Im Interview erklärt Andriukaitis außerdem, was er vom Tierwohllabel der Bundesregierung hält. Und warnt: Zu viele Kennzeichnungen lassen die Preise steigen.
Herr Andriukaitis, Kritiker beanstanden immer wieder, dass Monsanto Studien zu Glyphosat beeinflussen würde. Gerade in dieser Woche gab es Vorwürfe, Mitarbeiter des Konzerns hätten an Studien sogar mitgewirkt. Ist da etwas dran?
Diese Vorwürfe sind fast so alt wie der Einsatz von Glyphosat selbst, und ich bin mir sicher, dass auch die nächste EU-Kommission sich mit diesem Thema auseinandersetzen muss. Für mich zählt der wissenschaftliche Rat unserer Experten, wie der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit. Wenn wissenschaftliche Fakten auf eine Gegenmeinung treffen, sorgt das immer für Streit. Früher dachten die meisten Menschen auch, dass die Erde eine Scheibe ist, die Sonne sich um uns dreht, und schickten Galileo ins Gefängnis, weil er das Gegenteil bewiesen hatte.
Solche Vergleiche werden die Kritiker aber nicht überzeugen.
Was wir brauchen, ist Transparenz. Deshalb haben wir das allgemeine Lebensmittelrecht der EU überarbeitet. Die Leute sollen sehen, auf welchen Studien unsere Entscheidungen beruhen. In Zukunft sollen Studien der Öffentlichkeit auf der Internetseite der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zugänglichen gemacht werden. Dort können Bürger sie sich dann leicht herunterladen. Wir haben Glyphosat jetzt für fünf weitere Jahre zugelassen, das ist ein guter Zeitraum, neue Daten zu sammeln und neue Analysen anzustellen. Aber im Moment kann ich guten Gewissens sagen, dass es nicht gefährlich für die Gesundheit ist.
In Frankreich hat ein Gericht erst in dieser Woche den Einsatz eines Glyphosat-Unkrautvernichters verboten. Könnten andere Gerichte diesem Beispiel folgen?
Sie müssen sehen: Hier wurde nicht Glyphosat verboten, sondern ein bestimmtes Produkt, das unter anderem auch Glyphosat beinhaltet. Und da muss ich doch mal sagen: Die EU-Kommission ist nicht an allem schuld. Wir sind nicht verantwortlich für die fertigen Produkte. Die EU-Ebene ist einzig und allein zuständig für die Zulassung einzelner Inhaltsstoffe. Die Prüfung und Zulassung fertiger Produkte, also einer Mixtur verschiedener Inhaltstoffe, ist Aufgabe der Mitgliedsstaaten.
Also könnten weitere Länder solche Produkte verbieten?
Das kann ich nicht voraussehen. Aber ich möchte darauf hinweisen, dass wir ja auch für jeden Inhaltsstoff bestimmte Regeln festlegen, wie er zu verwenden ist. Bei Glyphosat zum Beispiel: Benutzen Sie es nicht in der Nähe von Gewässern, bitte schützen Sie Ihre Augen, nutzen Sie es nicht in öffentlichen Parkanlagen. Wenn das beachtet wird, gibt es keinen Grund, etwas zu verbieten.
So sieht das auch Bundesernährungsministerin Julia Klöckner. Auf der Grünen Woche ist das Tierwohllabel ein großes Thema, das sie derzeit vorantreibt. Wie bewerten Sie ihre Pläne?
Das Wohl der Tiere zu stärken, ist natürlich gut. Der Tierschutz war in den vergangenen Jahren auch ein wesentlicher Schwerpunkt meiner Arbeit. So habe ich beispielsweise eine europäische Plattform zum Austausch über Fragen des Tierwohls ins Leben gerufen. Aber wir müssen bei solchen Vorhaben auch immer bedenken, dass im Rahmen des europäischen Binnenmarktes keine neuen Hindernisse geschaffen werden sollten. Nehmen wir die deutschen Schweine-Züchter. Die exportieren ihr Fleisch ja in die ganze EU. Deshalb ist es gut, hier an die Interessen aller europäischen Partner zu denken. Die Bundesregierung hat uns in diesen Tagen über ihre Pläne informiert, ein Tierwohl-Label einzuführen. Und wir prüfen diese nun.
Und was halten Sie von Lebensmittelampeln, wie den Nutri-Score in Frankreich? Braucht Deutschland so etwas auch?
Wissen Sie; ich habe heute zum ersten Mal eine Brezel gegessen. Da ist ja unheimlich viel Salz drauf! Ich habe das runtergekratzt. Warum macht ihr da bloß so viel Salz drauf? (lacht) Ich habe Bluthochdruck, ich muss immer darauf achten, wie viel Salz ich zu mir nehme.
Also brauchen wir eine Salz-Ampel.
Nun ja, wir sollten in der Tat darauf achten, Verbrauchern bessere Informationen darüber zu geben, wie gesund ein Produkt ist. Ihre Brezel würde bei einer Ampel sicherlich nicht grün sein (lacht). Auch hier sollten wir aus meiner Sicht am besten gemeinsam über EU-weite Lösungen sprechen, und das wird sicherlich auch ein Thema für die nächste Europäische Kommission sein. Können Sie sich vorstellen, wie schwierig das für Hersteller ist, wenn es in jedem Land unterschiedliche Kennzeichnungen gibt? Die Kennzeichnung von gesunden Lebensmitteln ist natürlich grundsätzlich eine gute Idee – und am besten als europäische Regelung, die einfach, verständlich und natürlich sinnvoll für die Gesundheit der Verbraucher ist.
Umfragen zeigen schon seit Jahren, dass Kunden sich die Lebensmittelampel wünschen.
Ja, das verstehe ich. Deshalb glaube ich auch, dass es im Interesse der Verbraucher ist, dass wir hier eine europäische Diskussion führen. Viele unterschiedliche Label in jedem Land werden sich ja auch auf die Verbraucherpreise niederschlagen. Alles, was die Produktion erschwert, wird die Produkte teurer machen.
In Deutschland wurde zuletzt darüber diskutiert, ob der neue 5G-Mobilfunkstandart gesundheitsschädliche Strahlen verursache. Wie schätzen Sie diese Meldungen ein?
Es ist gut, dass die Gesellschaft solche Fragen stellt. Aber Sie müssen sich klar machen: Immer wenn wir regulatorische Rahmen diskutieren, einigen sich die meisten Wissenschaftler am Ende auf bestimmte Spielräume, einige wenige bleiben aber immer in Opposition. Das ist hier genau wie bei Glyphosat. Nach meinem Kenntnisstand gibt bei 5G aber keinen Unterschied zu 3G und 4G. Es sind dieselben elektromagnetischen Strahlungen, und zu denen gibt bereits umfassende Studien.
Es ist also kein neues Problem?
Absolut nicht. Aber zu 5G kann ich Ihnen sagen, dass ich seit gut einem Jahr mit zahlreichen Wissenschaftlern im Dialog stehe. Denn – so froh ich auch darum bin, dass es in einer Demokratie auch immer Gegenstimmen gibt – am Ende zählt die wissenschaftliche Beweisführung. Und die sieht in 5G keine Gesundheitsgefahr, solange die geltenden Grenzwerte eingehalten werden. Übrigens ist 5G gerade auch im Gesundheitssektor zukünftig von größter Bedeutung.
Eine Bertelsmann-Studie hat vor einigen Wochen ergeben, dass Deutschland in einem Ranking in Bezug auf die Digitalisierung des Gesundheitssektors Platz 16 von 17 belegte. Ist Deutschland wirklich so hinterher?
Naja, es ist nicht meine Aufgabe, Länder in Rankings einzuteilen.
Aber Sie haben ja doch einen Eindruck, wie es um Deutschland E-Health-Bemühungen bestellt ist.
Kein Land ist perfekt. Und E-Health ist sehr komplex. Das eine Land ist in dem einen Bereich schon sehr weit, das nächste in einem anderen. Wie gut ein Land dabei ist, hat auch viel damit zu tun, wann die medizinische Infrastruktur auf den neuesten Stand gebracht wurde. Einige Länder haben ihre Krankenhäuser ausgerüstet, bevor überhaupt daran zu denken war, dass es elektronische, vielleicht sogar grenzüberschreitende Krankenakten überhaupt gibt. Diese Länder waren vor 15 oder 20 Jahren Vorreiter, müssen jetzt aber umso mehr investieren, um die Digitalisierung zu meistern. Die Staaten, die sagen wir 2010 groß investiert haben, haben diese Länder nun überholt und sind sehr viel weiter.
Und Deutschland gehört zu den erstgenannten Ländern.
Ja, Deutschland ist in dieser Hinsicht ein altes Land. Denn vor einigen Jahren war Deutschland sehr fortschrittlich. Jetzt sind erhebliche Investitionen nötig.
Wer sind denn aktuell die Vorreiter bei E-Health?
Wir haben gerade zwei Pilotprojekte gestartet. Das erste ist der digitale Austausch von Rezepten zwischen Finnland und Estland – zwei Länder, die sehr nah beieinander liegen. Das zweite ist der Austausch von Patientendaten zwischen Luxemburg und Tschechien – die liegen schon etwas weiter auseinander. Wir sind gespannt, welches der beiden Projekte besser funktioniert. Unser Ziel ist es, 2020 oder 2021 eine digitale E-Health-Infrastruktur installiert zu haben, die wir europaweit nutzen können.
Vytenis Andriukaitis ist seit 2014 EU-Kommissar für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Der 67-Jährige war davor Gesundheitsminister in seinem Heimatland Litauen. Vor seiner Karriere als Politiker arbeitete Andriukaitis als Arzt.
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