Lebensmittelkennzeichnung: Danone bringt den "Nutri-Score" nach Deutschland
Weil die Bundesregierung nicht aktiv wird, basteln sich die Lebensmittelkonzerne ihre eigenen Lebensmittelampeln. Verbraucherschützer kritisieren diese Pläne.
Eigentlich wollte Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) nur ihren neuen nationalen Diätplan für den Kampf der Bundesregierung gegen Fett, Zucker und Salz vorstellen. Doch dann wagte die Ministerin nach der letzten Kabinettssitzung im Dezember einen kleinen Blick in die Zukunft. Die Nährwertkennzeichnung, sagte Klöckner, müsse „ersichtlicher und verständlicher“ gestaltet werden.
Nährwertkennzeichnung – was spröde klingt, ist einer der größten Glaubenskriege, die in der deutschen Lebensmittelpolitik geführt werden. Im Kern geht es um die Frage: Wie schafft man es, dass Verbraucher auf Fertigpackungen ohne große Mühe erkennen können, ob ein Produkt gesund ist oder nicht? Zwar müssen die Hersteller seit 2016 in Nährwerttabellen den Gehalt von Fett, gesättigten Fetten, Kohlenhydraten, Zucker, Eiweiß und Salz angeben. Das Problem: Kaum ein Verbraucher macht sich die Mühe, das Kleingedruckte auf der Rückseite der Verpackung zu studieren.
Seit Jahren kämpfen Verbraucherschützer daher für eine einfachere Kennzeichnung. Sie wollten die britische Ampel nach Deutschland importieren. Sie kennzeichnet den Gehalt von Zucker, Fett und Salz mit den Ampelfarben rot (schlecht), gelb (okay) und grün (prima). Doch in der Bundesregierung hatte die Ampel noch nie Freunde. Drei Bundesernährungsminister waren mit der Nährwertampel befasst und alle drei haben ihre politische Ampel auf rot gestellt – Ilse Aigner, Christian Schmidt (beide CSU), und auch Julia Klöckner ist kein Fan des Modells.
Bundesregierung bietet keine eigenen Vorschläge
Die Ampel sei nicht aussagekräftig und führe zu Verzerrungen, heißt es. Wenn etwa der Zucker im Apfelsaft oder das Fett im Olivenöl rot gekennzeichnet werden, Cola light aber grün sei, tauge die Ampel nicht als Lotse für eine gesunde Ernährung. Dennoch will Pepsi-Cola die Ampel jetzt auch außerhalb Großbritanniens auf seine Getränke drucken. Die Alternative der Regierungen zur abgeschmetterten Ampel: nichts.
Während Ärzte und Gesundheitsverbände unverdrossen für die Ampel trommeln, setzen Verbraucherschützer jetzt auf ein anderes Pferd. „Wir unterstützen das französische Modell“, sagt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Klaus Müller. Der sogenannte Nutri-Score arbeitet wie die britische Ampel mit Farben. Er wägt aber die Vor- und Nachteile eines Lebensmittels gegeneinander ab und bildet am Ende einen einzigen verbindlichen Wert. Ballaststoffe oder Vitamine können etwa einen höheren Zucker- oder Fettgehalt ausgleichen. „Das ermöglicht Verbrauchern eine schnelle und klare Orientierung“, lobt Müller.
Die französische Regierung unterstützt das System, die großen Supermärkte machen Druck auf die Hersteller. Spätestens im kommenden Jahr soll die Mehrzahl der Produkte den Nutri-Score tragen, heißt es beim franzöischen Lebensmittelriesen Intermarché.
Nun kommt der „Nutri-Score“ nach Deutschland. Danone (Actimel, Activia, Fruchtzwerge) beginnt am Jahresanfang damit, den Nutri-Score auf die Verpackungen zu drucken. Das erste Produkt soll Ende Januar, Anfang Februar im Handel sein. Bis Jahresende sollen dann alle großen Marken aus dem Hause Danone die fünfstufige Nutri-Score-Ampel tragen. „Nutri-Score bietet die Chance, dass Wissenschaft, Verbraucherschützer, Politik und Unternehmen für mehr Transparenz und bessere Ernährung an einem Strang ziehen“, meint Danone-Deutschlandchef Richard Trechman.
Setzt sich das französische System auch in Deutschland durch?
Mit von der Partie ist auch Iglo. Im ersten Quartal 2019 soll der Nutri-Score auf den Fischpackungen auftauchen, beim Gemüse wird es etwas länger dauern. Hier wird es das neue Kennzeichnungssystem erst nach der Ernte geben. Im Internet können sich Kunden jedoch bereits ab Januar über die neuen Nährwertangaben informieren, betont Iglo-Sprecher Alfred Jansen. Interessant: Während Danone bereits in Frankreich Erfahrungen sammeln konnte, ist der Nutri-Score für Iglo Neuland. „Wir starten in Deutschland, nicht in Frankreich mit dem neuen Modell“, berichtet Jansen.
Bundesernährungsministerin Julia Klöckner will bis zum kommenden Sommer ein Modell für Deutschland erarbeiten, dabei sollen die Verbände der Lebensmittelwirtschaft und Verbraucherschützer beteiligt werden. Die Latte liegt hoch: Das bereits geltende System mit den Nährwerttabellen gewährleistet nach Meinung Klöckners nämlich durchaus eine klare Information der Verbraucher. „Alle Ergänzungen zu diesen Verpflichtungen müssen sich daran messen lassen, ob sie für die Verbraucher tatsächlich mehr Klarheit bringen“, heißt es im Ministerium auf eine Tagesspiegel-Anfrage.
Derzeit lässt das Ministerium die verschiedenen Systeme, die im Ausland zum Einsatz kommen, wissenschaftlich untersuchen. Zudem will Klöckner noch den für Jahresende angekündigten Bericht der EU-Kommission abwarten, die ebenfalls die verschiedenen Kennzeichnungssysteme evaluiert. Andere EU-Länder haben bereits eigene Lebensmittelampeln eingeführt. So hat etwas Belgien seit August dieses Jahres ein System ausgerollt, das ebenfalls "Nutri-Score" genannt wird.
Die Ampel wird freiwillig sein
Klar ist aber eines: Egal, welches System kommen wird, die Teilnahme der Industrie und des Handels wird in jedem Fall freiwillig sein. Und: Wie schon bei Klöckners Plan, Salz, Fett und Zucker in Fertiggerichten zu reduzieren, soll auch bei der Nährwertkennzeichnung auf die „besonderen Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen“ Rücksicht genommen werden, sagte eine Ministeriumssprecherin dem Tagesspiegel.
Bleibt abzuwarten, wie die Lebensmittelmultis reagieren. Coca-Cola, Mondelez, Nestlé, Pepsi, Mars und Unilever hatten versucht, mit einer eigenen Ampel die Angriffe der Verbraucherschützer abzuwehren. Allerdings mit einem Trick: Statt die Nährwertangaben auf 100 Gramm zu beziehen, rechneten die Produzenten lieber mit Portionsgrößen. Weil Nestlé und Co selbst bestimmen konnten, wie eine Portion aussieht, bekam praktisch kein Produkt die rote Ampelkarte.
„Selbst eine Süßigkeit wie Nutella von Ferrero, das zu rund 90 Prozent aus Zucker und Fett besteht, hätte keine rote Ampel erhalten“, schreibt Foodwatch, das vor einem Jahr die Industrieampel getestet hatte. Nach öffentlicher Kritik ist das System inzwischen begraben. Die Unternehmen fordern stattdessen jetzt die Entwicklung eines EU-weiten Systems, heißt es bei Unilever. Eines ist klar: Für schnelle Lösungen dürfte die Ampel auf rot stehen.
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