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Startklar: Die Grüne Woche beginnt am Freitag. Im Vorfeld haben die Verbände der Lebensmittelindustrie ihre Sicht auf die aktuelle Lage der Branche vorgestellt.
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Im Vorfeld der Grünen Woche: Rekordumsätze in der Ernährungsindustrie - und eine große Sorge

Nach dem Rekordjahr 2017 steigert die Lebensmittelwirtschaft ihren Umsatz erneut. Doch die Abhängigkeit von den Exporten könnte noch Probleme bereiten.

Noch gleichen die Hallen unter dem Funkturm wahlweise einer Großbaustelle oder einem Baumarkt. Wo ab Freitag voraussichtlich rund 400.000 Besucher Lebensmittel aus aller Welt probieren werden, stapeln sich im Moment noch Euro-Paletten. Wo in der kommenden Woche millionenschwere Geschäfte abgeschlossen werden sollen, schrauben derzeit noch die Messebauer Schreibtische zusammen. Die Vorbereitungen für die diesjährige Grüne Woche befinden sich in den letzten Zügen.

Doch für Bauern und die Lebensmittelindustrie hat das Großereignis schon begonnen. Zwei Tage vor dem Messestart informieren traditionell der Deutsche Bauernverband (DBV), die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) und die Messe Berlin über ihre Erwartungen. Die weltgrößte Agrarmesse sei eine hervorragende Gelegenheit, Verbraucher und Bauern zusammenzubringen, meint Bauernpräsident Joachim Rukwied.

Fast wirkte es allerdings so, als hätten beide Verbände ihre durchaus mit positiven Nachrichten gefüllten Pressemitteilungen am Dienstagabend noch schnell umändern müssen. Denn für beide Verbands-Chefs waren nicht die erstmals präsentierten Geschäftszahlen für 2018, sondern das Votum des britischen Parlaments gegen den Brexit-Vertrag das dringlichste Thema der Stunde.

Das Auslandsgeschäft wird immer wichtiger

„Ein offener Markt mit dem Vereinigten Königreich hat für uns immer noch höchste Priorität“, betonte Rukwied. Großbritannien sei ein wichtiger Markt für die deutsche Landwirtschaft. Jährlich würden Agrargüter und Lebensmittel im Wert von etwa 4,5 Milliarden Euro aus Deutschland auf die britische Insel geliefert. Der Exportüberschuss gegenüber Großbritannien liege im Agrarsektor bei rund 3,5 Milliarden Euro. Das sei fast doppelt so viel wie der gesamte Exportwert in die USA.

Zudem könnten die wirtschaftlichen Folgen des heißen Sommers 2018 sowie der Handelsstreit zwischen China und den USA laut Rukwied „die Landwirtschaft noch empfindlich treffen“. Auch BVE-Hauptgeschäftsführer Christoph Minhoff sagte, die Politik und Wirtschaft müssten „alle Anstrengungen unternehmen, um das Modell der Europäischen Union zu stärken“.

Doch trotz der politischen Unsicherheiten zeigten sich beide Branchenvertreter grundsätzlich optimistisch. Grund dafür sind die aktuellen Geschäftszahlen. Nach ersten Schätzungen erzielte die deutsche Ernährungsindustrie im vergangenen Jahr einen Umsatz von 180 Milliarden Euro, ein leichtes Plus von 0,3 Prozent im Vergleich zum bisherigen Rekordjahr 2017.

Dabei zeigt sich allerdings deutlich, wie wichtig stabile außenpolitische Verhältnisse für die Branche sind. Denn es war das Geschäft im Ausland, das der deutschen Lebensmittelindustrie die Bilanz rettete. Im Inland ging der Umsatz nämlich um 0,2 Prozent zurück, das Wachstum von 1,1 Prozent im Ausland konnte dieses Minus allerdings mehr als ausgleichen.

Der Export in die EU steigerte sich mit 0,4 Prozent dabei vergleichweise schwach. Auch hier habe der bevorstehende Brexit bereits Spuren hinterlassen, teilte die BVE mit. Die Exporte nach Großbritannien seien leicht zurückgefahren worden. Der Bauernverband hatte schon vor einigen Wochen steigende Gewinne im abgelaufenen Geschäftsjahr verkündet.

Die Preise sollen stabil bleiben

Für Verbraucher dürfte sich 2019 nach Einschätzung des DBV an der Kasse nicht viel ändern. „Die Lebensmittelpreise werden aller Voraussicht nach stabil bleiben“, sagte Rukwied. 2018 hatte die Preissteigerung bei Lebensmitteln 2,4 Prozent betragen – deutlich mehr als die normale Inflation von 1,9 Prozent.

Die Erzeugerpreise für Milch und Getreide seien konstant, sagt Rukwied. Für Kartoffeln könnten die Bauern deutlich mehr verlangen, die Schweinepreise dagegen blieben unter Druck. „In den vergangenen zehn Jahren hat etwa die Hälfte der Schweinehalter aufgegeben“, berichtet der DBV-Präsident. Die Schweinehaltung in Deutschland laufe Gefahr, ihre Zukunftsfähigkeit zu verlieren.

The same procedure as every year: Der finnische Koch Samuel Mikander (v.l.) mit DBV-Chef Joachim Rukwied, der Präsident der finnischen Agrarproduzenten, Juha Martila, Christoph Minhoff, Geschäftsführer der BVE und Christian Göke, Vorsitzender der Messe Berlin. Partnerland der Grünen Woche ist in diesem Jahr Finnland.
The same procedure as every year: Der finnische Koch Samuel Mikander (v.l.) mit DBV-Chef Joachim Rukwied, der Präsident der finnischen Agrarproduzenten, Juha Martila, Christoph Minhoff, Geschäftsführer der BVE und Christian Göke, Vorsitzender der Messe Berlin. Partnerland der Grünen Woche ist in diesem Jahr Finnland.
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Ein Trend, der auch Minhoff nicht gefallen dürfte. Denn der präsentierte neben der Jahresbilanz auch eine BVE-Umfrage, die besagt, dass 81 Prozent der Deutschen sich nicht vorstellen können, nur noch Lebensmittel aus dem Ausland zu kaufen. Abgesehen davon sind die Bundesbürger laut dieser Erhebung allerdings durchaus experimentierfreudig.

Mehr als die Mehrheit der Befragten könne sich vorstellen, in zehn Jahren regelmäßig Algen zu essen, 21 Prozent stehen im Labor gezüchtetem Fleisch offen gegenüber und 20 Prozent hätten nichts gegen Insekten auf dem Teller.

Verbraucherschützer fordern klare Kennzeichnung

Viele Deutsche gehen außerdem davon aus, dank digitaler Informationen in Zukunft mehr über ihre Lebensmittel zu wissen. 55 Prozent meinen, in zehn Jahren besser über die Herkunft einzelner Zutaten Bescheid zu wissen. Und 44 Prozent denken, sie können bald den ökologischen Fußabdruck eines Produkts besser einschätzen. Nur acht Prozent gaben an, dass sie sich für derlei Informationen nicht interessieren.

Eine Zahl, die die Diskussion um die Kennzeichnungspflicht auf Lebensmitteln befeuern könnte. Über die wird derzeit gestritten. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) will ihre Vorschläge für eine Nährwertkennzeichnung bis zum Sommer vorlegen, wehrt sich aber gegen eine Lebensmittelampel.

Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (VZBV) hat sich im Vorfeld der Grünen Woche nun einem speziellen Feld der Kennzeichnung angenommen: den Backwaren. Kunden lassen sich viel zu häufig von vielversprechenden Namen blenden, kritisiert der VZBV. „57 Prozent der Verbraucher schätzen ein ,Fitmacherbrot’ und 56 Prozent ein ,Sportlerbrot’ gesünder ein als ein Weizenmischbrot – ohne dass konkrete Anforderungen an die Verwendung dieser Namen geknüpft sind“, heißt es in der Erhebung, die am Mittwoch vorgestellt wurde.

„Hinter gesund klingenden Fantasienamen von losen Backwaren stehen jedoch nicht zwangsläufig gesunde Produkte“, gibt Klaus Müller, Vorstand des VZBV, zu bedenken. „Auch ein Eiweiß-Brot kann eine Kalorienbombe sein.“ Müller fordert deshalb klare Kennzeichnungsregeln für lose Backwaren, wie sie auch für verpackte Brötchen oder Brote gelten.

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