zum Hauptinhalt
In Wolfsburg hat VW die Produktion wieder aufgenommen.
© dpa

Europas Wirtschaft schrumpft: 10 Gründe, warum Deutschland besser durch die Krise kommt als andere Länder

Um 2,2 Prozent ist die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal eingebrochen. Trotzdem steht Deutschland besser da als andere Länder.

Diese Zahl kann einen erschrecken: Um 2,2 Prozent ist die deutsche Wirtschaft im ersten Quartal eingebrochen. Einen solch starken Rückgang binnen dreier Monate hat es seit der Finanzkrise nicht mehr gegeben. Auch ist es der zweitstärkste Einbruch seit der Wiedervereinigung.

Doch so dramatisch das ist, so zeigt es auch, dass die Bundesrepublik noch vergleichsweise gut mit den Folgen der Corona-Pandemie klarkommt. „Im Vergleich zu vielen anderen Ländern dürfte die deutsche Wirtschaft schneller und besser aus der Krise kommen“, sagt Katharina Utermöhl, Senior-Volkswirtin für Europa bei der Allianz.
In den USA und Großbritannien blickt man deshalb bereits mit Neid auf Deutschland. Da erklärt der US-Sender CNN, was Präsident Donald Trump von Kanzlerin Angela Merkel über den Umgang mit dem Coronavirus lernen kann. Die New York Times scherzt, die CDU-Politikerin wäre die perfekte Vizepräsidentin an der Seite von Joe Biden. Und der britische Economist hält fest: „Wenn man von einem großen, europäischen Land sagen kann, dass es bislang gut durch die Corona-Krise gekommen ist, dann ist das Deutschland.“

Denn so hart der Wirtschaftseinbruch auch hierzulande ist, so läuft es noch vergleichsweise gut. Das zeigen diese zehn Punkte der Hoffnung.

 1. Andere Länder schneiden sehr viel schlechter ab

„Im europäischen Vergleich ist der Rückgang des Bruttoinlandsprodukts in Deutschland noch moderat ausgefallen“, sagt Albert Braakmann vom Statistischen Bundesamt, der die Quartalszahlen am Freitag vorgestellt hat.

So steht Frankreich zum Beispiel wirtschaftlich sehr viel schlechter da als Deutschland: Bei 5,8 Prozent lag dort das Minus im ersten Quartal und fällt damit so groß aus wie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht mehr. Nicht einmal 1968, als Studentenunruhen und Generalstreik Frankreich lahmgelegt haben, ist die Wirtschaft binnen eines Quartals so stark eingebrochen wie zuletzt. Auch andere EU-Staaten melden sehr viel höhere Verluste als Deutschland: In Italien ist die Wirtschaft im ersten Quartal um 4,7 Prozent geschrumpft, in Spanien um 5,2 und in Belgien um 3,9 Prozent.

 2. Die Prognose für Deutschland ist vergleichsweise gut

Die jüngsten Prognosen für das gesamte Jahr deuten darauf hin, dass Deutschland besser durch die Krise kommt als die meisten europäischen Nachbarn. Zwar rechnet die EU-Kommission auch für die Bundesrepublik mit einem Wirtschaftseinbruch von 6,5 Prozent in 2020. Für andere Länder der Eurozone aber fällt die Prognose sehr viel düsterer aus: Für Frankreich sagt Brüssel ein Minus von 8,2 Prozent voraus. Besonders hart trifft die Corona-Krise auch Spanien, Italien und Griechenland, wo die Wirtschaftsleistung jeweils um mehr als neun Prozent einbrechen dürfte. Lediglich für Österreich, Finnland, Luxemburg und Malta fällt die Prognose besser aus als für Deutschland.

 3. Der Stromverbrauch sinkt weniger stark als anderswo

Dass die Bundesrepublik noch vergleichsweise glimpflich durch die Krise kommt, zeigt sich auch beim Stromverbrauch. Zwar ist der auch hierzulande gesunken: seit Mitte März etwa um acht Prozent an Wochentagen. Doch im europäischen Vergleich sei das ein eher geringer Rückgang, schreiben die Experten vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel (IfW). In Spanien und Italien zum Beispiel sei der Stromverbrauch um ein Drittel eingebrochen. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass die Wirtschaft in diesen Ländern sehr viel schwerer getroffen ist. Denn den meisten Strom nutzt die Industrie.

Sinkt der Stromverbrauch, bedeutet das, dass die Produktion stark zurückgefahren wird. Weil andere Konjunkturdaten immer erst mit Verzögerung erhoben werden, schauen Ökonomen deshalb derzeit besonders genau auf den Stromverbrauch.

NRWs Ministerpräsident Armin Laschet (rechts) besucht das Ford-Werk in Köln, das wieder in Betrieb ist.
NRWs Ministerpräsident Armin Laschet (rechts) besucht das Ford-Werk in Köln, das wieder in Betrieb ist.
© imago images/Ralph Sondermann

 4. Deutsche sind noch vergleichsweise mobil

Dazu kommt: Trotz der Corona-Einschränkungen sind die Deutschen noch immer recht mobil. Ihr Leben hat sich dadurch sehr viel weniger stark verändert als in anderen EU-Ländern. Das zeigen die Bewegungsdaten, die Google für einzelne Länder derzeit regelmäßig veröffentlicht. Der Tech-Konzern kann über die Handydaten seiner Nutzer in Echtzeit nachvollziehen, wie viel und wohin sich Menschen bewegen. Die Deutschen haben im Vergleich zur Zeit vor Corona die Besuche von Geschäften oder Erholungseinrichtungen um 33 Prozent reduziert. Auch an Bahnhöfen haben sie sich seltener aufhalten (-28 Prozent) und bei vielen ist der Weg zur Arbeit weggefallen (-35 Prozent).

[Wenn Sie alle aktuellen Entwicklungen zur Coronavirus-Krise live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Damit ist das öffentliche Leben hierzulande allerdings sehr viel weniger stark eingefroren worden als zum Beispiel in Frankreich, wo es eine strikte Ausgangssperre gab. Die Zahl der Besuche von Geschäften und Erholungseinrichtungen ist dort um 69 Prozent gesunken, die von Bahnhöfen um 70 Prozent. Für Großbritannien fallen die Daten ähnlich aus. Das heißt, die Deutschen haben trotz Corona eine sehr viel größere Bewegungsfreiheit genossen. Davon profitiert auch der Einzelhandel, dessen Geschäft zwar auch hierzulande eingebrochen ist – mutmaßlich aber nicht so heftig wie anderswo.

 5. Der Shutdown war kürzer

Viel hängt derzeit davon ab, wie lang ein Land seine Wirtschaft aufgrund der Pandemie stilllegen muss. Jede Woche, in der Geschäfte geschlossen bleiben und Fabriken ruhen, kosten Milliarden. So kommt Deutschland dann auch zugute, dass der Lockdown hierzulande mit gut fünf Wochen noch vergleichsweise kurz war. Frankreich hingegen hat gleich für zwei Monate alles abgeriegelt. Dazu kommt, dass in Deutschland auch während des Shutdowns längst nicht alles still stand. Auf dem Bau zum Beispiel ist weitergearbeitet worden.

Auf dem Bau konnte trotz Corona größtenteils weitergearbeitet werden.
Auf dem Bau konnte trotz Corona größtenteils weitergearbeitet werden.
© imago images/Future Image

Zwar war auch dort nicht alles möglich, etwa weil Arbeiter aus dem Ausland fehlten, Material nicht ankam und Hygieneregeln eingehalten werden mussten. Dennoch lag die Auslastung der Bauindustrie hierzulande in den letzten Wochen bei immerhin 70 bis 80 Prozent. In Frankreich kam die Branche dagegen gerade einmal auf 25 Prozent des normalen Arbeitsaufkommens. Italien wiederum hat fast alle Bauarbeiten von Ende März bis Anfang Mai gestoppt.

6. Die Stimmung in den Konzernen ist besser

Wohl auch deshalb blicken die Manager in den Unternehmen inzwischen wieder etwas optimistischer in die Zukunft. Das zeigt zum Beispiel eine Studie der Unternehmensberatung PWC, die derzeit regelmäßig weltweit Finanzvorstände danach befragt, wie sie über die Coronakrise denken. Ende April sagten dabei insgesamt 70 Prozent, dass sie sich große Sorgen machten. Die deutschen Finanzvorstände sind dagegen sehr viel zuversichtlicher: Sorgen machen sich von ihnen weniger als Hälfte (44 Prozent).

 7. Deutschland ist weniger abhängig vom Tourismus

Wie gut ein Land durch die Corona-Krise kommt, hängt auch von der Wirtschaftsstruktur ab. Gerade Länder im Süden Europas wie Italien oder Spanien sind stark vom Tourismus abhängig. „Doch bis wir im Tourismus eine Rückkehr zur Normalität sehen, wird es dauern“, sagt Allianz-Volkswirtin Utermöhl. „Auch wenn Reisen wieder möglich sind, werden die Buchungszahlen noch länger unterdurchschnittlich bleiben.“ Das trifft mit Spanien und Italien ausgerechnet jene Länder hart, in denen es auch besonders viele Corona-Infizierte gegeben hat.

Die deutsche Wirtschaft hängt dagegen vor allem von der Industrie ab. Auch sie hat unter dem Shutdown gelitten und spürt auch jetzt noch die geringere Nachfrage. Die Erholung dürfte in diesem Sektor aber sehr viel schneller gehen als im Tourismus.

Italien (hier Venedig) leidet besonders unter den Folgen der Pandemie. Der Tourismus bricht weg.
Italien (hier Venedig) leidet besonders unter den Folgen der Pandemie. Der Tourismus bricht weg.
© dpa

 8.  Die Arbeitslosigkeit steigt weniger stark an

Wie schon nach der Finanzkrise scheint sich hierzulande auch diesmal die Kurzarbeit zu bewähren. Voll des Lobes ist zum Beispiel Guy Ryder, Chef der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO): Er sagt, das sei ein Beispiel für die Welt, wie man mit der Krise umgehen kann. Tatsächlich scheint es deutschen Unternehmen dank der Kurzarbeit zu gelingen, recht viele Arbeitsplätze zu erhalten. Sie müssen weniger Menschen entlassen als die Konkurrenz aus dem Ausland. Davon geht zumindest die EU-Kommission aus. Sie prognostiziert zwar auch für Deutschland einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf vier Prozent. Das aber ist wenig im Vergleich zu einer Arbeitslosigkeit von 9,4 Prozent, mit der Brüssel im Schnitt für die Eurozone rechnet. In Frankreich könnten sogar mehr als zehn Prozent der arbeitsfähigen Menschen am Ende des Jahres ohne Job dastehen.

 9 Deutschlands Finanzpolster ist größer

Im Ausland ist Deutschlands Sparsamkeit in den letzten Jahren immer wieder belächelt worden. Nach der Finanzkrise war es eines der wenigen Ländern, die ihre Staatsverschuldung in den Griff bekommen haben. Bei 62 Prozent der Wirtschaftsleistung lag sie zuletzt, das ist weniger als vor der letzten Krise.

In anderen Ländern ist die Staatsverschuldung dagegen in der Zwischenzeit stark angestiegen. Frankreich war vor dem Ausbruch der Finanzkrise ähnlich stark verschuldet wie Deutschland, heute liegt die Staatsverschuldung im Nachbarland auf 98 Prozent der Wirtschaftsleistung. Auch in allen anderen G7-Staaten ist die Staatsverschuldung in den letzten Jahren stark gestiegen - mit Ausnahme von Deutschland.

Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fällt es aufgrund der soliden Staatsfinanzen leichter Geld auszugeben als Kollegen aus anderen Ländern.
Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fällt es aufgrund der soliden Staatsfinanzen leichter Geld auszugeben als Kollegen aus anderen Ländern.
© imago images/IPON

 10. Deutschland hat schneller und stärker gegengesteuert

Das verschafft der Bundesregierung den nötigen finanziellen Spielraum, um nun hart gegen die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie anzukämpfen. In ungewohnter Einigkeit haben SPD und CDU im März von jetzt auf gleich die Mittel für KfW-Kredite aufgestockt, Soforthilfen für Unternehmen beschlossen, Steuern gestundet und das Kurzarbeitergeld ausgeweitet. „Das Rettungspaket ist so groß, dass es sich etwa auf 30 Prozent der Wirtschaftsleistung beläuft“, sagt Utermöhl.

Andere Länder haben sich die Rettung der Wirtschaft sehr viel weniger kosten lassen. Spanien zum Beispiel hat dafür lediglich zwölf Prozent der Wirtschaftsleistung zugesagt, obwohl das Land sehr viel stärker von der Corona-Pandemie betroffen ist. Utermöhl rechnet damit, dass das Folgen hat.

So geht sie davon aus, dass es hierzulande sehr viel mehr Unternehmen durch die Krise schaffen werden als in anderen Ländern der Eurozone. „In Deutschland dürfte die Zahl der Insolvenzen um zehn Prozent steigen, im gesamten Euroraum hingegen um 20 Prozent“, sagt sie.

Zur Startseite