„Heftiger und langer wirtschaftlicher Krieg“: Frankreich stimmt die Bürger auf den Wirtschaftscrash ein – mit Folgen für Deutschland
Frankreichs strikter Coronavirus-Shutdown geht in die Verlängerung: Der Niedergang der zweitgrößten Volkswirtschaft Europas trifft alle Partner in der EU.
Frankreich steht still. Schon seit dem 17. März gibt es in Frankreich eine Ausgangssperre. Noch mindestens bis zum 11. Mai soll sie weitergehen. Alle Geschäfte bis auf die Lebensmittelversorgung, Apotheken, Wein-, Tabak- und Pressehandel sind geschlossen. Man darf nur eine Stunde pro Tag mit Passierschein rausgehen und sich nur einen Kilometer von seinem Wohnort entfernen.
Und auch wenn die Ausgangssperre am 11. Mai beendet ist, soll nicht sofort alles hochgefahren werden. Restaurants, Cafes, Hotels und Theater bleiben weiter geschlossen. Die Coronavirus-Pandemie hat verheerende wirtschaftliche Auswirkungen für Frankreich.
Finanz- und Wirtschaftsminister Bruno Le Maire hat eine Prognose aufgestellt, was der im Vergleich zu vielen europäischen Nachbarn lange Shutdown für die nach dem Brexit zweitgrößte Volkswirtschaft Europas nach Deutschland bedeutet. Waren zunächst noch sechs Prozent Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) angekündigt worden, sind es nun schon acht Prozent, und der Schaden könnte noch weiter hochgerechnet werden.
„Ein wirtschaftlicher Krieg, der lang und heftig sein wird.“
Die letzten Schätzungen von Ökonomen gehen für Deutschland von 4,5 Prozent bis 8,7 Prozent Rückgang beim BIP aus. Die Coronavirus-Krise hat auch Auswirkungen auf Frankreichs Verschuldung.
Haushaltsminister Gérald Darmanin schätzt, dass die Neuverschuldung in diesem Jahr statt 2,2 Prozent des BIP 9 Prozent beträgt: „Ein solches Defizit hat unser Land seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie erlebt.“ Die gesamte Staatsverschuldung, die zuletzt bei 98 Prozent lag, könnte 115 Prozent erreichen. Le Maire bereitete die Franzosen auf düstere Zeiten vor: „Es handelt sich auch um einen wirtschaftlichen und finanziellen Krieg, der lang und heftig sein wird.“
Soforthilfen in Frankreich auf 100 Milliarden erhöht
Innerhalb von einigen Wochen hat der französische Staat die Gesamtsumme der angekündigten Soforthilfen von 45 Milliarden Euro auf 100 Milliarden Euro erhöht, was die Staatskassen extrem belastet. „Wir tun alles, um die Unternehmen zu retten“, sagte Le Maire. „Mich beunruhigt, dass ganze Teile der Wirtschaft von der Krise vernichtet werden können.“ Die Summe könnte noch weiter steigen. Allein mehr als 24 Milliarden Euro sind davon für Angestellte vorgesehen, die im März und April nicht arbeiten.
Bisher sind es 8,7 Millionen Menschen in rund 732.000 Betrieben. Sie werden mit 84 Prozent ihres Gehaltes von der Arbeitslosenversicherung unterstützt, um die Unternehmen zu entlassen. Die Unternehmen dürfen außerdem ihre Zahlungen von Steuern und Sozialabgaben unterbrechen. Dennoch denken viele über Entlassungen nach.
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„Entlassen Sie nicht, Sie werden vom Staat zurückbezahlt“, appellierte Arbeitsministerin Muriel Pénicaud an die Unternehmen. Frankreich biete in der Krise in Europa den größten Schutz für Arbeitsplätze. Der französische Staat garantiert außerdem Unternehmenskredite der Banken in Höhe von 300 Milliarden Euro.
Nicht alle Unternehmen werden zu retten sein
Doch allein im März haben die französischen Einzelhändler wegen der Ausgangsbeschränkungen fast ein Viertel ihres Umsatzes verloren. Der Umsatz brach der französischen Notenbank zufolge im Vergleich zum Vormonat um 24 Prozent ein. Nicht alle Unternehmen werden zu retten sein.
Eine Studie der französischen Versicherungsgesellschaft Coface hat ergeben, dass die Coronakrise einen Zuwachs von 15 Prozent Pleiten im Jahr 2020 zur Folge haben könnte. Wirtschaftsexperten sprechen von 58.000 betroffenen Unternehmen.
Der letzte Rekord stammt aus der Krise von 2008, als 63.000 Unternehmen pleite machten. Haushaltsminister Gérald Darmanin ließ durchblicken, dass es noch schlimmer kommen könnte: „Wir sind nicht am Ende der Covid-19-Krise.“ Schätzungen, was das für die Arbeitslosenquote bedeutet, sind vage.
Zuletzt lag diese Ende 2019 in Frankreich bei 8,1 Prozent, der niedrigste Stand seit zehn Jahren. Präsident Emmanuel Macron hatte das Ziel, sie bis 2022 auf 7 Prozent zu drücken, nun könnte sie wieder auf zehn Prozent steigen.
Die Krise bedeutet ein Umdenken in der Globalisierung
Für Deutschland und Europa bedeutet Frankreichs Wirtschaftsschwäche ebenfalls einen Einbruch. Mit einem Handelsvolumen von 170,3 Milliarden Euro im Jahr 2018 war Frankreich laut Zahlen des deutschen Bundesamtes für Statistik einer der wichtigsten Handelspartner Deutschlands.
Auch im EU-Gefüge ist Frankreich von großer Bedeutung. Laut Zahlen der französischen Regierung für 2019 ist die EU für Frankreich der wichtigste Handelspartner, für 58,7 Prozent der Exporte und 56,3 Prozent der Importe.
Die Krise bedeutet auch ein Umdenken in der Globalisierung. Es wird in Frankreich diskutiert, wichtige wirtschaftliche Bereiche wieder nach Frankreich und Europa zurückzuführen. Macron erklärte, er wolle mehr Autonomie für Europa: „Wir müssen eine landwirtschaftliche, sanitäre, industrielle und technologische Unabhängigkeit neu errichten.“ Auch die Renationalisierung von wichtigen Unternehmen ist im Gespräch.
Le Maire zufolge will die Regierung rund 20 wichtigen Unternehmen helfen, wenn notwendig auch durch Verstaatlichungen. Er befürchtet, dass der Verfall der Börsenkurse sie zur Beute von Übernahmen macht. Zu den Unternehmen gehört die Fluggesellschaft Air France- KLM. Für sie ist ein Notkredit von mehreren Milliarden Euro im Gespräch.
Frankreich ist schon immer dafür bekannt gewesen, dass es vor staatlichen Eingriffen nicht zurückschreckt, Wirtschaftsprotektionismus wird groß geschrieben. Das könnte sich durch die Krise noch verstärken.
Tanja Kuchenbecker