Wie die Bundesregierung die Wirtschaft stützen will: Scholz' persönlicher "Whatever it takes"-Moment
Unbegrenzte Kredithilfen, Steuerstundungen, Kurzarbeitergeld: Olaf Scholz und Peter Altmaier stellen Maßnahmenpaket vor, um Folgen der Corona-Krise einzudämmen.
Das Wachstum war ohnehin schon schwach. Der industrielle Sektor der deutschen Wirtschaft ist seit Monaten im Rezessionsmodus. Dienstleistungen und das Baugewerbe sorgten noch für ein Mini-Wachstum, zuletzt aber herrschte bereits Stagnation. Denn im vierten Quartal 2019, so die Konjunkturforscher der Deutschen Bank am Freitag, ließ auch der private Konsum nach – bisher eine Konjunkturstütze. Und dann kam die Corona-Krise.
Sie wird, da sind sich die Wirtschaftsforscher einig, die gesamte deutsche Wirtschaft in die Rezession drücken. Zwar wollte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) am Freitag bei der Präsentation der Gegenmaßnahmen der Bundesregierung das Wort nicht in den Mund nehmen, aber er sprach von einer „sehr schwierigen Situation“, die auch zu Steuerausfällen führen werde. Das Unterstützungsprogramm für die Wirtschaft werde „zig Milliarden schwer“ sein. Es sei daher „nicht unplausibel“, dass der Bund zusätzlichen Geldbedarf habe. Dass sich die schwarze Null, also ein Etat ohne neue Schulden, nicht mehr halten lässt, ist in der Koalition mittlerweile zur Gewissheit geworden – auch in der Union.
Wirtschaft rutscht in eine Rezession
Insbesondere das zweite Quartal wird nach den Prognosen sehr schwach ausfallen, weil die Folgen der Corona-Krise sich dann bündeln. Die Aufforderung von Kanzlerin Angela Merkel, die sozialen Kontakte so stark wie möglich zu mindern, wird dazu beitragen – wer die Ausbreitung des Virus eindämmen will, muss in Kauf nehmen, dass die Wirtschaft leidet. Die Deutsche-Bank-Forscher gehen für das gesamte Jahr 2020 von einem Minus von 0,2 Prozent beim Wirtschaftswachstum aus.
Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) haben ein Paket geschnürt, das vor allem eines signalisieren soll: Die Regierung ist auf einiges gefasst und will sich gar nicht erst auf ein scheibchenweises Vorgehen einlassen. Schon am Vorabend, nach dem Treffen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten, war klar geworden, dass die Koalition einen „Draghi-Moment“ gekommen sieht: Man will jede weitere Verunsicherung an den Märkten, in den Betrieben und in der Bevölkerung verhindern, auch spekulative Übertreibungen an den Börsen, indem sie klarstellt, unbegrenzte Hilfen bereitzustellen.
Bazooka - Scholz macht den Draghi
Es war der frühere EZB-Chef Mario Draghi, der 2012 mit dem Satz „whatever it takes“ („was immer es braucht“) die Bereitschaft auf den Punkt brachte, in der Euro-Krise alle Möglichkeiten einer Zentralbank auch einzusetzen. Er habe die Bazooka - also die Panzerfaust - aus dem Arsenal geholt, hieß es seither gern. Das Wort nutzte auch Scholz am Freitag. Die EZB hat bis heute damit zu tun, die Folgen der Doppelkrise nach 2008 einzudämmen.
Der wichtigste Punkt im Paket von Scholz und Altmaier ist die Zusage einer unbegrenzten Kreditförderung, um eine Liquiditätskrise im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor zu verhindern – und auch einer neuen Bankenkrise vorzubeugen, falls Kredite in hoher Zahl nicht mehr bedient werden können. Die bestehenden Programme für Liquiditätshilfen werden ausgeweitet, um Unternehmen in Schwierigkeiten mit günstigen Überbrückungskrediten versorgen zu können. Das läuft über deren Geschäftsbanken, wird aber, wie üblich, flankiert durch Kredithilfen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW). Die bisher für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehenen Instrumente sollen auch größeren Unternehmen bis zu einem Umsatz von zwei Milliarden Euro zur Verfügung stehen, bisher lag die Obergrenze bei 500 Millionen Euro.
Kreditrahmen werden erhöht
Im schon bestehenden Programm für große Unternehmen steigt die Umsatzgrenze auf fünf Milliarden Euro. Die Risikoübernahme durch die KfW wird zudem auf bis zu 80 Prozent des Kreditvolumens erhöht. Darüber gibt es, wie schon heute, die Einzelfallprüfung. Scholz und Altmaier machten aber auch deutlich, dass eine staatliche Beteiligung an Unternehmen, die in große Schwierigkeiten geraten, nicht ausgeschlossen sei.
Die KfW wird mit zusätzlichen Mitteln ausgestattet. Der Garantierahmen im Bundeshaushalt wird „zeitnah“ um bis zu 93 Milliarden Euro auf dann mehr als 550 Milliarden Euro aufgestockt. Bürgschaftsprogramme werden ausgeweitet, die regionalen Bürgschaftsbanken, die vor allem für Mittelständler wichtig sind, werden durch einen höheren Risikoanteil des Bundes gestützt. Scholz und Altmaier betonten, dass das Hilfspaket mit der EU abgestimmt sei – es kollidiere nicht mit den Beihilfebegrenzungen, die für alle EU-Staaten gelten.
Steuervorauszahlungen können gekappt werden
Dass es zu Steuerstundungen kommen wird, hatte sich schon abgezeichnet. Um die Liquidität von Unternehmen aller Größen zu sichern, sollen die Finanzverwaltungen Steuern stunden, „wenn die Einziehung eine erhebliche Härte darstellen würde“; wie s in dem Maßnahmenpapier von Altmaier und Scholz heißt. Es sollen ausdrücklich keine strengen Anforderungen gestellt werden. Steuervorauszahlungen können auch gemindert werden, „schnell und unkompliziert“, wenn klar ist, dass die Einkünfte von Steuerpflichtigen geringer sein werden wegen der Corona-Krise. Um Pleiten zu vermeiden, soll der Fiskus bei betroffenen Unternehmen auch auf Pfändungen und Säumniszuschläge bis zum Jahresende verzichten. Ein Steuerverzicht des Staates ist das nicht, gestundete Zahlungen müssen nachgeholt werden, wenn die Krise vorbei ist – Ökonomen rechnen damit, dass sich die Wirtschaftskrise wegen der Corona-Epidemie nicht so lange hinziehen wird wie die nach der Finanzkrise nach 2008.
"Wir haben die finanzielle Kraft"
Dass ein ausgeweitetes Kurzarbeitergeld wie schon in der Finanzkrise nach 2008 genutzt wird, um Unternehmen zu helfen (und damit vor allem den Arbeitnehmern in wackligen Betrieben und Branchen), hatte die Koalition schon am vorigen Montag beschlossen – Bundestag und Bundesrat brachten die Gesetzgebung am Freitag über die Bühne.
Scholz betonte: „Wir haben die finanzielle Kraft, diese Krise zu bewältigen. Es ist genug Geld da, und wir setzen es ein.“ Der Deutsche Aktienindex (Dax), der am Donnerstag um mehr als zwölf Prozent eingebrochen war, hatte sich schon vor der Pressekonferenz der beiden Minister wieder zum etwa sieben Prozent nach oben bewegt. Nach dem Auftritt von Altmaier und Scholz ging es noch ein bisschen nach oben – der große Ausschlag blieb aus, später ging es wieder leicht nach unten