Schwerste Rezession seit der Nachkriegszeit: Ein kräftiges Minus – und was es bedeutet
Die Bundesregierung rechnet durch die Corona-Krise mit einem Einbruch der Wirtschaft um 6,3 Prozent. Wen es besonders trifft, welche Folgen das hat.
Erst hatte sie sich an der Finanzkrise nach 2008 orientiert. Es fehlten ja Erfahrungen mit einer Pandemie von Art und Ausmaß, wie sie nun in der Corona-Krise weltweit um sich greift. Daher hatte die Bundesregierung ihren Planungen im März eine Zahl zugrunde gelegt, die aus dem Jahr 2009 stammt: Damals brach die deutsche Wirtschaft um 5,6 Prozent ein.
Auf einem solchen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts basierten all die gigantischen Maßnahmen, welche die große Koalition in den vergangenen Wochen auf den Weg gebracht hat: Nachtragshaushalt, Zuschussprogramm für kleine Betriebe und Selbständige, der Rettungsschirm für die großen Unternehmen.
Doch schon Anfang April ließ Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) durchblicken, dass diese Krise die Wirtschaft härter treffen könnte als die Turbulenzen vor gut einem Jahrzehnt. Seither konnte man sich darauf einstellen, dass die Regierung sich nach unten korrigieren würde.
Wie schätzt die Regierung die Wirtschaftslage nun ein?
Dass Altmaier seine Frühjahrsprojektion für das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um eher maßvolle 0,7 Punkte auf ein Minus von 6,3 Prozent in diesem Jahr reduziert hat, deutet auf eine noch immer relativ optimistische Sicht hin. Zumal der Minister davon ausgeht, dass im kommenden Jahr ein recht munteres Wachstum von 5,2 Prozent folgen wird. Schon Anfang 2022, so die frohe Kunde, werde die deutsche Wirtschaft das Vor-Corona-Niveau wieder erreichen.
Damit ist die Finanzkrise immer noch die Folie für die aktuelle Bewertung. Auch damals folgte dem Einbruch, der 2009 in der Bundesrepublik tiefer war als in fast allen anderen Industriestaaten, eine recht zügige Rückkehr auf einen Wachstumspfad. Deutschland marschierte in der Euro-Zone vorneweg, während Frankreich mit Verzögerung folgte und Italien bis heute das Produktionsniveau von vor der Finanzkrise nicht mehr erreicht hat. Den Tiefpunkt in diesem Jahr sieht Altmaier nach wie vor im zweiten Quartal, in dem ein Rückgang der Wirtschaftsleistung um 8,9 Prozent erwartet wird. Im zweiten Halbjahr soll dann schon die Erholung einsetzen.
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Wo liegt die Regierung mit ihrer neuen Einschätzung?
Altmaier sieht seine Frühjahrsprojektion im Mittelfeld der vielen aktuellen Schätzungen – nicht zu tief, nicht zu hoch. Doch es gibt durchaus warnende Stimmen. Der Kölner Ökonom Michael Thöne etwa betont: „Wie schlimm diese Krise noch wird, ist derzeit seriös nicht einzuschätzen. Wir sollten uns aber darauf einrichten, dass es nicht wieder so gemütlich wird wie nach der globalen Finanzkrise.“ Dass die jetzige Wirtschaftskrise etwas anders ist, verhehlte auch Altmaier am Mittwoch nicht.
Denn in diesem Jahr wird die gesamte Weltwirtschaft eine deftige Rezession erleben, was 2009 nicht in dem Maße der Fall war. Nach den Prognosen des Internationalen Währungsfonds (IWF) wird das globale Minus 2020 bei drei Prozent liegen, damals waren es nur minus 0,1 Prozent.
Was Altmaier nicht erwähnte: Die aktuelle IWF-Prognose für Deutschland ist mit einem BIP-Minus von sieben Prozent deutlich pessimistischer als die der Bundesregierung. Die Bundesregierung unterstellt, dass es nicht zu einem Rückschlag in der Konjunkturentwicklung kommt, etwa durch eine zweite Infektionswelle.
Welche Gefahren lauern auf dem Weg?
Wegen der globalen Ausdehnung dieser Wirtschaftskrise, in der nun auch der bisherigen Lokomotive China viel Dampf ausgeht, gibt es Unwägbarkeiten vor allem für die deutsche Exportindustrie. Den Inlandskonsum kann die Regierung direkt stimulieren, mit ihren Programmen kann sie Überbrückungshilfen für alle Unternehmen leisten – aber den Export anregen kann sie allenfalls indirekt. Der Rückgang bei den Ausfuhren wird laut Wirtschaftsministerium bei 11,6 Prozent liegen – allerdings dann 2021 auch wieder um 7,6 Prozent steigen, weil auch hier auf das Szenario einer relativ schnellen Erholung gesetzt wird.
Auf einen fundamentalen Unterschied zur Finanzkrise nach 2008 mit Blick auf die deutsche Industrie wies am Mittwoch allerdings die Forschungsabteilung der Deutschen Bank hin: Damals stürzte das Verarbeitende Gewerbe aus einer überhitzten Konjunktur ab – es hatte also jahrelang eine gute Zeit erlebt. Jetzt aber haben viele Industriezweige eine längere Durststrecke hinter sich, die Industrie steckt schon seit Ende 2018 in einer Rezession und wird nun in einer Schwächephase von der Krise getroffen.
Ist mit einer Pleitewelle zu rechnen?
Ein weiterer Dämpfer kam vom Ifo-Institut in München. Das veröffentlichte am Mittwoch eine Umfrage, wonach 29 Prozent der deutschen Unternehmen derzeit ihre Existenz akut bedroht sehen – was bedeutet, dass sie nicht glauben, mehr als drei Monate durchzuhalten, wenn die Corona-Einschränkungen noch für längere Zeit bleiben würden. Gut die Hälfte der befragten Unternehmen teilte mit, man könne bis zu sechs Monate überleben. „Das sind beunruhigende Zahlen, die auf eine kommende Pleitewelle hindeuten“, sagte der Ifo-Ökonom Klaus Wohlrabe über das Ergebnis. Besonders kritisch ist demnach, wie zu erwarten, die Lage im Einzelhandel. Dort sagen 45 Prozent der Unternehmen, sie könnten nur noch bis zu drei Monate auskommen. Am robustesten sieht es demnach im Bausektor aus: Dort fürchtet ein Fünftel der Unternehmen, nicht länger als ein Vierteljahr durchhalten zu können.
Welche Folgen hat die neue Projektion für die Corona-Programme?
Altmaier hat angekündigt, dass es nun in einem ersten Schritt zu einer „Optimierung der Hilfsprogramme“ kommen wird – offenbar hat die Regierung schnell erkannt, dass bisherige Programme teils nicht so greifen, wie sie sollten. In einem zweiten Schritt sollen dann weitere Sofortmaßnahmen für besonders betroffene Unternehmen und Branchen folgen. Das gilt laut Altmaier unter anderen für jene, die mit Großveranstaltungen ihr Geld verdienen – denn diese sollen bis auf Weiteres nicht stattfinden, wohl bis in den September hinein.
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Der Wirtschaftsminister erwähnte auch Kultur und Gastronomie, die am meisten unter den Beschränkungen leiden. Erste Lockerungen ab Ende Mai, wie Altmaier sie ankündigte, dürften hier für einige schon zu spät sein. Und viel Mut machte der Minister nicht: „Es wird lange dauern, bis sich der Betrieb dieser Branchen wieder einem normalen Niveau nähern kann.“ Immerhin kündigte er einen Nothilfefonds an und die Umwandlung von Krediten in nicht rückzahlbare Zuschüsse. In einem weiteren Schritt soll dann ein Konjunkturprogramm folgen, das Altmaier als „bedarfsgerecht“ bezeichnete. Anreize zum Konsum sollen dazu gehören, also auch die bereits diskutierten Kaufprämien für Neuwagen.
Dass der Konsum stark einbricht (auf das Jahr gesehen rechnet Altmaier mit einem Minus von 7,4 Prozent), ist allerdings vor allem ein Problem für die geschlossenen oder beim Verkauf ihrer Waren sehr eingeschränkten Branchen, bei denen mit großen Nachholeffekten im späteren Jahr oder 2021 nicht zu rechnen ist.
Was bedeutet die Korrektur für die Haushaltspolitik?
Eine direkte Folge hat die Frühjahrsprojektion für die Haushaltsplanung von Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Denn die Korrektur bedeutet, dass die Steuereinnahmen noch stärker einbrechen als ohnehin befürchtet. Mit einem Rückgang um 33,5 Milliarden Euro hatte Scholz im Nachtragsetat für den Bund kalkuliert – nun wird die Steuerschätzung im Mai eine höhere Summe ergeben. Und auch in die Etats von Ländern und Kommunen wird weniger Geld fließen.
Allein im Bundesetat dürfte es nun auf ein Steuerminus von mehr als 40 Milliarden Euro hinauslaufen – es können auch noch mehr werden. Damit erhöhen sich auch die Schulden, denn alle Mehrausgaben sind kreditfinanziert.
Ob der im März schon recht voluminös konstruierte Nachtragshaushalt mit Mehrausgaben von 156 Milliarden Euro reichen wird, ist nun die Frage. Zudem muss der Finanzminister damit rechnen, dass doch mehr vom Bund garantierte Liquiditätskredite ausfallen als bisher schon eingeplant.