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Shutdown. Im Kanzleramt wird auch über die Geschäfte im Biergarten gegenüber entschieden.
© Christoph Soeder/dpa

IMK-Studie zu Corona-Folgen: Ökonomen warnen vor übereilter Exitstrategie

Vorschnelle Lockerungen könnten die Wirtschaft teuer zu stehen kommen, so die Sorge. Am Ende zähle die Gesamtdauer der Betriebsunterbrechungen.

Jede weitere Woche des Shutdowns kostet die deutsche Wirtschaft 42 Milliarden Euro. So viel Wohlstand wird nach Berechnungen des Ifo-Instituts wöchentlich vernichtet, weil die Produktion ruht, Geschäfte geschlossen bleiben, die Menschen weniger konsumieren.

Doch trotz dieser immensen Kosten warnen Ökonomen vor einer zu schnellen Aufhebung sämtlicher Maßnahmen. Auch aus ökonomischer Sicht sollte die Lockerung der Kontaktbeschränkungen „auf keinen Fall übereilt erfolgen, sondern in gut vorbereiteten Schritten“. So steht es in einer Studie, die das gewerkschaftsnahe Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) am heutigen Dienstag vorlegen will.

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„Am Ende zählt die Gesamtdauer der Betriebsunterbrechungen“, sagt IMK-Chef Sebastian Dullien. „Wenn jetzt für zwei Wochen alles wiedereröffnet wird, um dann wieder für zwei Monate schließen zu müssen, ist nichts gewonnen.“ Soll heißen: Ein zu schnelle Aufhebung der Schutzmaßnahmen könnte der Wirtschaft am Ende mehr schaden als helfen.

„Es ist wichtiger, dass die Kontaktbeschränkungen nachhaltig gelockert werden, als dass sie schnell gelockert werden“, sagt Dullien. Seine Meinung nach kommt es zudem auf die richtige Kommunikation an. Unternehmen, Einzelhändler, Gastronomen bräuchten jetzt Planbarkeit. „Den Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen muss klarer als bisher gesagt werden, was ab wann auf sie zukommt“, fordert Dullien.

Keine florierende Wirtschaft mit Virus

Schließlich werden Unternehmen und Einzelhändler mutmaßlich strikte Hygienevorschriften befolgen müssen, auf die sie sich vorbereiten müssen. Für Geschäfte kann sich Dullien zum Beispiel Trennwände und Einlassbeschränkungen vorstellen. Auch zur Öffnung der Schulen hat sich das IMK Gedanken gemacht. Hier schlägt das Institut vor, die Schüler in Gruppen zu separieren. So könnte eine Klasse etwa nur jeden zweiten Tag vor Ort unterrichtet werden.

Auch das Ifo-Institut hat sich für eine solche schrittweise Lockerung des Shutdowns ausgesprochen. „Selbst wenn man gesetzliche Beschränkungen einfach aufheben würde: Die Wirtschaft kann nicht florieren, während ein gefährliches Virus grassiert“, schreibt Ifo-Präsident Clemens Fuest.

Er hat sich zusammen mit einer interdisziplinären Grupp von Wissenschaftlern Gedanken über eine Exitstrategie gemacht. Herausgekommen ist dabei eine Liste mit Prioritäten. So könnten zum Beispiel als erstes hochautomatisierte Fabriken wieder hochgefahren werden. Auch sollten Kindertagesstätten wieder öffnen, damit Eltern arbeiten gehen können, die derzeit zuhause bleiben müssen, um die Kinder zu betreuen. Wer dagegen problemlos im Homeoffice arbeiten kann, sollte das nach Ansicht des Ifo-Instituts vorerst weiter tun.

Ökonomen raten zu einer Corona-App

Das IMK fordert zudem, die heimische Produktion von Schutzmasken weiter hochzufahren, was die Bundesregierung mit Großbestellungen und langjährigen Lieferverträgen fördern sollte. Sobald die Verfügbarkeit von einfachem Mund-Nasen-Schutz gegeben sei, sollte nach Ansicht der Forscher außerdem überprüft werden, inwieweit eine generelle Pflicht zum Tragen dieser einfachen Masken auf öffentlichen Wegen die Infektionsverbreitung begrenzen könnte.

Die Nutzung einer Handyapp, um potentiell Infizierte aufzuspüren, können sich die IMK-Forscher ebenfalls vorstellen – solange die Daten nicht zentral und lediglich zeitlich befristet gespeichert werden. Sie schlagen zum Beispiel vor, dass Restaurants nur Gäste reinlassen, die nachweislich diese Handyapp nutzen oder bereit sind, ihre Kontaktdaten zu hinterlassen.

IMK-Chef Dullien stellt allerdings klar: Auch wenn Deutschland der Exit gelingt und die Zahl der Infizierten nicht zu stark ansteigt, heißt das nicht, dass die Wirtschaftskrise überwunden ist. Die Industrie zum Beispiel werde weiter unter der niedrigen Nachfrage aus dem Ausland leiden. Die Bauindustrie könnte weiterhin das Ausbleiben von Arbeitskräften aus anderen europäischen Ländern spüren. Ein kontrolliertes Ende des Shutdowns hilft Deutschland also nur begrenzt. „Mindestens ebenso wichtig ist, dass grenzüberschreitende Lieferketten reaktiviert und die Weltwirtschaft stabilisiert wird“, sagt Dullien. Auf europäischer Ebene sei deshalb mehr Flexibilität der Bundesregierung in Fragen der so genannten Corona-Bonds gefragt. Carla Neuhaus

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