Oben Langeweile, unten Hochspannung: Zum Glück gibt es den Abstiegskampf
An der Spitze der Fußball-Bundesliga ist schon fast alles entschieden, im Tabellenkeller aber ist es weiterhin aufregend. Und mittendrin steckt Hertha BSC.
Yuya Osako machte sich mit den Ersatzspielern von Werder Bremen warm, wobei „warm machen“ eher die falsche Bezeichnung war. Die Bremer hatten im Auswärtsspiel beim 1. FC Union gerade das dritte Tor innerhalb von 17 Minuten kassiert, und die Mannschaft stand völlig neben sich.
Auch Osako wirkte wie in Trance und drosch einen Ball aus einem Meter Entfernung immer wieder gegen die Werbebande. Bumm, bumm, bumm. Während sich die Bremer auf dem Platz und die Verantwortlichen auf der Bank still in ihr Schicksal fügten, hallte das Knallen des Balles durch das leere Stadion.
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Das 1:3 in Berlin am Samstag zeigte erschreckend deutlich, warum die Bremer mittlerweile der wohl heißeste Kandidat für den zweiten direkten Abstiegsplatz sind. Am 24. Spieltag hatte Werder noch elf Punkte Vorsprung auf den Relegationsplatz, seitdem gab es in der Bundesliga sieben Niederlagen. „Wir sind aus einer ordentlichen Punkteausbeute nach zwei Dritteln der Saison jetzt in diese Lage gekommen“, sagte Trainer Florian Kohfeldt, der bei seiner Mannschaft erneut „nicht erklärbare Fehler“ bemängelte. Nach einer soliden ersten Halbzeit verteidigte Werder nach dem ersten Gegentor konfus, und offensiv entstand erst in der Schlussphase so etwas wie Torgefahr.
Um die Dimension des Absturzes zu erfassen, muss man sich noch mal sieben Wochen in die Vergangenheit beamen, als Werder durch ein 2:0 im Nachholspiel bei Arminia Bielefeld die Punkte 28, 29 und 30 verbuchte. Es ist ganz interessant, sich in sozialen Medien die Wortmeldungen unter dem Hashtag #DSCSVW anzuschauen. „Eine Hand am Klassenerhalt“, ist da zu lesen. Und das war vermutlich die pessimistische Sicht auf die Dinge.
Weil bei den Bremer seitdem kein einziger Zähler mehr hinzugekommen ist, wurden aus zwölf Punkten Vorsprung auf den damaligen Vorletzten Mainz vier Punkte Rückstand. Und dass nach einer solchen Serie über den Trainer diskutiert wird, gehört zu den Gesetzmäßigkeiten des Geschäfts. Da geht es Kohfeldt nicht anders als seinem Kollegen Heiko Herrlich vom FC Augsburg, der aus den jüngsten vier Spielen auch nur einen Punkt geholt hat.
Wer folgt Schalke 04 in die Zweite Liga?
Die Debatten um die Trainer laufen. Bremens Sportchef Frank Baumann stieg am Samstag in Berlin wortlos in den Mannschaftsbus, einen Tag später äußerte er bei Sky: „Die Überzeugung in Florian ist weiter da“, es gebe aber keine „Nibelungentreue“ zum Trainer, der mittlerweile seit dreieinhalb Jahren für die Bremer Profis verantwortlich ist. In den kommenden ein, zwei Tagen werde man die Lage „ergebnisoffen“ analysieren und „dann kann man auch zu dem Entschluss kommen, dass es vielleicht nicht in dieser Konstellation die höchste Wahrscheinlichkeit auf den Klassenerhalt gibt“.
Kohfeldt selbst schloss einen Rücktritt kategorisch aus. „Das war eine sehr schlechte Leistung, und als Trainer trage ich die Verantwortung dafür“, sagte er. „Aber ich bin diesen Sommer 20 Jahre bei Werder Bremen und werde garantiert nicht weglaufen, sondern kämpfen, um diesen Verein in dieser Liga zu halten.“
Neben Werder kämpfen noch fünf weitere Klubs gegen das Schicksal an, dem FC Schalke in die Zweite Liga zu folgen oder in der Relegation gegen den HSV antreten zu müssen. Und weil die Titelfrage mal wieder früh entschieden ist, bezieht die Bundesliga ihre Spannung im Saisonfinale vornehmlich aus dem Abstiegskampf. Wir erleben ein Frühlingsfest der Emotionen, aus Leid, Angst, Verzweiflung und plötzlich aufflammender Euphorie.
Die Verhältnisse tanzen. Und am wildesten tun sie das in Mainz. Die Mainzer sind wie Werder, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Bo Svensson, der vierte Trainer der 05er in dieser Saison, hat vor kurzem gesagt: „Ich bin kein Magier.“ Aber vielleicht war das auch gelogen. Anders als mit Zauberei ist die Entwicklung seines Teams kaum zu erklären. Nach der Hinrunde lagen die Mainzer mit sieben Punkten auf dem vorletzten Tabellenplatz, punktgleich mit Schalke. Inzwischen aber ist es nur noch mäßig überraschend, wenn sie – wie am Samstag – den designierten Meister Bayern München besiegen.
Und Hertha BSC kann nur zugucken
Anders als oben in der Tabelle ist unten weiter alles möglich. Während der FC Augsburg seine komfortable Situation komplett verspielt hat, hat der 1. FC Köln unter dem neuen Trainer Friedhelm Funkel die Lebensgeister wiederentdeckt. Innerhalb von vier Tagen holte das Team sechs Punkte, also fast so viel wie Mainz in der kompletten Vorrunde. Köln punktet, Mainz schwebt, Bielefeld zappelt, Augsburg zweifelt, Bremen taumelt – und Hertha BSC ist zum Zuschauen verurteilt.
Der Abstiegskampf in dieser Phase ist ein Rennen mit ständig wechselnden Favoriten. Wer eben noch abgeschlagen war, läuft plötzlich vorne weg. Und wer schon das Ziel vor Augen hatte, muss auf die Strafrunde, so wie Hertha.
Die Berliner sind jetzt drei Spiele in Rückstand, haben also noch ein in jeder Hinsicht zehrendes Programm vor sich, sowohl physisch als auch psychisch. Trainer Pal Dardai hat seinen Spielern schon prophezeit, dass sie in der Quarantäne auf Platz 17 zurückfallen würden. Genau das ist am Freitag passiert, als die Kölner 3:2 in Augsburg gewannen – mit freundlicher Unterstützung des Ex-Herthaners Ondrej Duda, der zwei Tore für den FC erzielte.
In der öffentlichen Meinung hat sich längst die Ansicht verfestigt, dass es jetzt wohl Hertha erwischen werde. „Viele haben uns schon abgeschrieben“, sagt Verteidiger Niklas Stark. Dabei täuscht das Tabellenbild. Die Berliner haben – auch dank der direkten Duelle gegen Mainz, Bielefeld und Köln – alles noch in der eigenen Hand. Sie müssen nur gewinnen, gewinnen und gewinnen.
Unmöglich ist das nicht, allerdings auch einigermaßen anspruchsvoll. Denn Abstiegskandidaten sind auch deshalb Abstiegskandidaten, weil sie mit dem Gewinnen ein grundsätzliches Problem haben. Zwei Siege hintereinander, das hat Hertha in dieser Saison genau kein Mal geschafft.