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Vedad Ibisevic darf erst Ende November gegen den FC Bayern wieder spielen.
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Unser Blog zum Bundesliga-Wochenende: Vedad Ibisevic bleibt vier Spiele gesperrt

Außerdem in unserem Block: Hertha BSC ist wieder geerdet, die Trainersuche bei Borussia Mönchengladbach, irrende Schiedsrichter, betrügende Spieler und eine Rechenaufgabe für Matthias Sammer.

Einspruch erfolglos. Vedad Ibisevic bleibt für insgesamt vier Partien gesperrt. Das entschied das Sportgericht des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) am Montagabend nach einer mündlichen Verhandlung. Der Einspruch von Hertha BSC wurde also abgewiesen. Allerdings hätten die Berliner noch eine letzte Möglichkeit. Der Verein könne noch vor dem DFB-Bundesgericht in Berufung gehen, teilte der Verband in Frankfurt/Main mit. Ob Hertha BSC das tun wird, gab der Klub noch nicht bekannt. 
Trainer Pal Dardai muss auf den Torjäger damit noch in den Partien bei Hannover 96 am Freitag und gegen die TSG Hoffenheim am 22. November verzichten. Ibisevic war beim 1:2 der Berliner beim FC Schalke 04 Mitte Oktober nach einem Foul an Max Meyer bereits in der 18. Minute des Feldes verwiesen worden. Mit der Bewertung des Fouls als rohes Spiel sei das Gericht Ibisevic bereits entgegengekommen, erläuterte der DFB-Sportgerichtsvorsitzende Hans E. Lorenz am Montag. „Man hätte die Aktion auch als Tätlichkeit werten können, zumal der Ball schon weit weg war.“ Hinzu käme, dass Ibisevic seit 2010 bereits vier Platzverweise kassiert habe. Soll wohl heißen: Den Gang vor weitere Instanzen können sich die Berliner eigentlich sparen.

Wo steht Hertha BSC? Der bundesligafreie Montag strebt langsam aber sicher seinem Höhepunkt entgegen. In knapp zwei Stunden (17 Uhr) beginnt in Frankfurt am Main die mündliche Verhandlung in der Angelegenheit DFB gegen Vedad Ibisevic. Für die Anhänger von Hertha BSC ist es ja in der Tat keine ganz unwichtige Frage, ob der Bosnier noch zwei Spiele gesperrt ist oder vielleicht doch mindestens eins weniger. Treffsichere Stürmer kann der Klub immer brauchen.

Gerade jetzt, da die schöne Euphorie rund um Hertha am Wochenende einen ersten Dämpfer bekommen hat, nachdem die Mannschaft zuletzt schon wieder leichten Anlass zu schönen Träumen gegeben hatte. Gut, Hertha ist immer noch Sechster und wird damit auf einem Europa-League-Platz geführt; das Spiel und die Niederlage gegen die aufstrebenden Gladbacher haben allerdings gezeigt, dass dies wohl nur eine schöne Momentaufnahme ist. In dieser Hinsicht sind sich die Berliner Medien heute weitgehend einig.

Zurück auf dem Boden der Tatsachen. Hertha BSC und Mitchell Weiser mussten erkennen, dass es für die Spitze noch nicht reicht.
Zurück auf dem Boden der Tatsachen. Hertha BSC und Mitchell Weiser mussten erkennen, dass es für die Spitze noch nicht reicht.
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„Herthas Heimniederlage war gar nicht so schlimm“, findet die „Berliner Zeitung“ angesichts der Überlegenheit der Gladbacher und deren deutlich höherer Ambitionen. Die „Fußballwoche“ titelt: „Hertha BSC stößt an seine Grenzen“, während der „Kicker“ Hertha „an der Grenze“ angelangt sieht. Das 1:4 gegen ein weiteres Topteam der Liga habe gezeigt, dass für die Mannschaft „momentan mehr als Mittelmaß einfach nicht möglich ist“. Viermal hat Hertha in dieser Saison verloren: gegen den Zweiten, den Dritten, den Vierten und den Fünften der aktuellen Bundesliga-Tabelle. Gegen den Ersten, die Bayern, spielen die Berliner Ende des Monats noch, gegen den Siebten, Leverkusen, eine Woche darauf, Sechster sind sie selbst.

Herthas Manager Michael Preetz ist am Sonntagabend im RBB-Sportplatz gefragt worden, wofür er sich entscheiden würde, wenn er die Wahl hätte: die Qualifikation für die Europa League oder den Einzug ins Pokalfinale. Preetz hat sich, ohne eigentlich lange zu überlegen, fürs Pokalfinale entschieden. Man kann daraus vieles schließen: dass Herthas Manager die Europa League als nur schwer vermittelbar fürs anspruchsvolle Berliner Publikum hält (Unter Champions League geht hier gar nichts); dass er die Mannschaft noch nicht reif genug hält für den internationalen Fußball. Oder dass er darauf spekuliert, das Pokalfinale zu gewinnen, wenn man schon mal drin steht – und es auf diesem Wege in den Europacup zu schaffen.

Ein Gesicht des Erfolgs. Wann kann Andre Schubert den Interims- streichen?
Ein Gesicht des Erfolgs. Wann kann Andre Schubert den Interims- streichen?
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Warum nicht Andre Schubert? Gebe zu, der „Kicker“ ist hier heute ein wenig überrepräsentiert. Aber nachdem ich am Samstag aus dem Olympiastadion beim Stand von 3:0 getwittert habe, dass Gladbach in der Schubert-Blitztabelle jetzt ganz vorne steht, habe ich natürlich mit großer Freude zur Kenntnis genommen, dass heute im „Kicker“ das Original abgedruckt ist – „Die Schubert-Tabelle“. (Für alle Nicht-Kicker-Leser: Die Schubert-Tabelle berücksichtigt lediglich die Spiele, bei denen Andre Schubert Trainer war.) Die Gladbacher liegen mit der Maximalausbeute von 18 Punkten aus sechs Spielen jetzt allein an der Spitze, nachdem die Bayern am Wochenende die ersten Punkte gelassen haben.

Nicht minder beeindruckend ist: In 42 Tagen hat Schubert die Gladbacher in der richtigen Bundesligatabelle von Platz 18 auf 5 geführt. Fünf Niederlagen unter Lucien Favre folgten sechs Siege in sechs Spielen unter Schubert. Und auch sonst haben sich die Gladbacher in fast allen Belangen verbessert (mit Dank an die „Kicker“-Dokumentation): mehr Tore (3,5 pro Spiel statt 0,4), weniger Gegentore (1 pro Spiel statt 2,4), mehr gewonnene Zweikämpfe (53,2 Prozent pro Spiel statt 48,8). Nur bei der Passgenauigkeit waren die Gladbacher unter Favre besser (dazu später mehr).

All das führt inzwischen zu der heftig diskutierten Frage, warum Borussias Sportdirektor Max Eberl eigentlich noch zögert, dem Interimstrainer Schubert das Interims- aus der Jobbezeichnung zu streichen. In der Öffentlichkeit fehlt für diese Haltung zunehmend das Verständnis - wobei: Es gibt für einen Sportdirektor vermutlich schlimmere Probleme. Die „Süddeutsche Zeitung“ gesteht Eberl sogar ausdrücklich einen „Anspruch auf Bedenkzeit“ zu. Denn bisher sei noch keineswegs sicher, „ob der Erstliga-Novize Schubert auch krisenfest ist, oder ob er nur das Momentum reitet. Und diese Frage ist in einer schönen Siegesserie schwer zu klären.“

Die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ bewertet die Sache ähnlich: Eberls „vermeintlich zögerliche Haltung, obwohl einleuchtend, ist in Wahrheit ein Ausweis von Stärke. Könnte er es sich doch einfacher machen und sich die aktuelle Kritik an seiner abwartenden Haltung sparen.“

Hinter Eberls Haltung steht der Wunsch nach Kontinuität in der Trainerfrage. Mit Favre hat er mehr als viereinhalb Jahre zusammengearbeitet. Es war mit Sicherheit nicht zum Nachteil des Vereins. Eine ähnlich langfristige Lösung schwebt ihm auch jetzt wieder vor. Schon deshalb will und muss Borussias Sportdirektor dem Eindruck entgegenwirken, dass er sich von der Euphorie des Erfolges, vom Überschwang des Moments hat manipulieren lassen.

Bisher macht Schubert alles richtig, das wird niemand bestreiten. Er hat den richtigen Umgang mit der Mannschaft gefunden. Sie wirkt wie befreit von den ewigen Vorgaben Favres, sie spielt mutig, sie traut sich, Fehler zu machen. Daher auch die geringfügig schlechtere Passquote als unter Favre: Wer den Ball immer nur quer spielt, wird auf herausragende Passwerte kommen. Wer hingegen auch mal das Risiko sucht, spielt eher mal einen Fehlpass. Diesen Mut zum Risiko verlangt Schubert geradezu von seinen Spielern.

So groß sind die Änderungen gar nicht, die der neue Trainer vorgenommen hat. Die Grundstruktur ist immer noch die gleiche wie unter Favre. Aber die Mannschaft verteidigt höher, sie attackiert nach Ballverlusten umgehend, anstatt sich möglichst schnell wieder in die defensive Grundordnung mit den beiden dichten Viererketten zurückzuziehen, und die Außenverteidiger müssen ihre Offensivbemühungen nicht mehr wie bei Favre an der Mittellinie einstellen, sondern dürfen munter mit nach vorne stürmen. „Die Änderungen, die er vorgenommen hat, gefallen uns sehr gut“, sagt Außenverteidiger Oscar Wendt, der gegen am Samstag beim 4:1-Sieg gegen Hertha sein erstes Saisontor erzielte. Trotzdem ist der Verdacht noch nicht gänzlich ausgeräumt, dass Schubert und die Mannschaft vor allem von der Euphorie leben. Gladbach aber braucht und Eberl sucht mehr als einen Motivator. Auch das hat mit Favre zu tun. Der Schweizer war ein Entwickler und Bessermacher, sowohl der Mannschaft als auch einzelner Spieler. Für einen Verein wie Borussia Mönchengladbach, der nicht über finanzielle Mittel im Übermaß verfügt, ist diese Fähigkeit zwingend notwendig, will man sich in den Regionen behaupten, in die Favre den Klub geführt hat.

Es gibt aber inzwischen recht verlässliche Hinweise, dass Schubert - immerhin Bester seines Trainerlehrgangs - auch über überdurchschnittliche fußballfachliche Qualitäten verfügt. Im Champions-League-Spiel bei Juventus Turin hat er eine hohe taktische Flexibilität nachgewiesen, indem er seine Mannschaft wesentlich defensiver spielen ließ als gewohnt (und auf diese Weise zu einem wichtigen 0:0 kam); im Pokalspiel gegen Schalke nahm er nach einer unterirdischen ersten Halbzeit die notwendigen Korrekturen vor und zog mit seiner Mannschaft am Ende sogar verdient ins Achtelfinale ein.

Ich finde - zumindest aus der Ferne betrachtet - auch sein Auftreten bisher tadellos. Ich schreibe das bewusst, weil man immer mal wieder hört und inzwischen auch liest, dass Schubert kein ganz einfacher Typ sein soll. Vielleicht stimmt das gar nicht. Vielleicht hat er sich auch geändert. Aus Gladbachs Mannschaft wird jedenfalls inzwischen immer offener gefordert, dass Schubert Cheftrainer bleiben muss.

„Es kann jeder beruhigt sein“, sagt Max Eberl dazu. „Wir sehen schon, was passiert.“ Meine Prognose: Schubert wird kurz- oder mittelfristig zum Cheftrainer befördert, vielleicht schon in der Länderspielpause, vielleicht auch erst nach der Hinrunde. Andere Kandidaten, die Eberl möglicherweise im Kopf gehabt hat, sind angesichts der Erfolge unter Schubert ja auch kaum noch vermittelbar. Habe in der vergangenen Woche den Dialog zweier Gladbach-Fans belauscht: „Wenn der Eberl den Weinzierl holt, geb' ich meine Dauerkarte zurück.“

Kritischer Geist. Matthias Sammer erkennt sogar Probleme, wo gar keine sind.
Kritischer Geist. Matthias Sammer erkennt sogar Probleme, wo gar keine sind.
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Mathematik für Fortgeschrittene. In der ganzen Diskussion um die Schiedsrichter ist ein wenig untergegangen, dass sich am Wochenende in der Bundesliga Ungeheuerliches, ja geradezu Historisches ereignet hat. Die Bayer haben nicht (wiederhole: NICHT) gewonnen. Ich weigere mich trotzdem, hier und jetzt bereits das zarte Pflänzchen Hoffnung zu wässern, zu hegen und zu düngen, dass es in der Meisterschaftsfrage doch noch einmal spannend werden könnte. Über das Thema „Spannung in der Bundesliga“ werde ich erst wieder schreiben, wenn die Bayern zwei Spieltage vor Schluss mindestens sieben Punkte Rückstand auf den Tabellenführer haben.

Trotz umfangreicher Recherche habe ich übrigens keine Einlassungen von Matthias Sammer gefunden, die das Unentschieden seiner Mannschaft in Frankfurt auf eine umfangreiche Benachteiligung der Bayern durch die DFL zurückgeführt hätten. Die hatte der Sportdirektor der Münchner ja schon vor dem Spiel beklagt. Sammer hatte es laut „Kicker“ als unglücklich und verwunderlich bezeichnet, „dass wir schon wieder Freitagabend spielen“, nachdem die Bayern noch am Dienstag im Pokal gegen Wolfsburg hatten antreten müssen.

Man muss auch den Bayern nicht jeden Blödsinn durchgehen lassen. (In diesem Zusammenhang: Die „Süddeutsche Zeitung“ aus München, die eher nicht im Verdacht steht, den Bayern besonders feindlich gegenüber eingestellt zu sein, hat zu Saisonbeginn geschrieben, dass der Bundesligaspielplan so aussehe, als hätte Karl-Heinz Rummenigge höchstpersönlich den Computer der DFL manipuliert.)

Deshalb für Herrn Sammer hier noch einmal eine Textaufgabe für das Fach Mathematik an bayrischen Grundschulen (respektive Berliner Gymnasien): Eine Fußballmannschaft spielt im gewohnten Mittwoch-Samstag-Rhythmus (Mittwoch, 20.30 Uhr/Samstag, 15.30 Uhr). Wie viel Pause weniger hat eine Mannschaft, die stattdessen am Dienstag um 20.30 Uhr spielt und schon wieder am Freitag um 20.30 Uhr antreten muss? (Für alle Berliner Gymnasiasten: Die Antwort lautet minus fünf.)

Wie hat ein Mitglied aus dem Verwaltungsrat der Bayern doch immer so schön gesagt: Fakten, Fakten, Fakten. Die Frankfurter, Gegner der Münchner am Freitagabend, haben ebenfalls am Dienstag im Pokal gespielt, und bei einem Blick auf den Spielplan hätte Sammer festgestellt, dass es am Wochenende keine einzige Bundesligapartie gegeben hatte, in dem nicht mindestens eine Mannschaft unter der Woche im DFB-Pokal im Einsatz gewesen war. Einen (respektive zwei) musste es also treffen. Aber klar, natürlich nicht die ewig benachteiligten Bayern.

Das ist Spitze! Eine kleine Beobachtung am Rande, gerade erst gesehen. Der "Kicker" führt Manuel Gräfe als notenbesten Schiedsrichter dieser Saison, mit einem Schnitt von 2,70 vor Peter Sippel (2,75).

Betrügen ist okay, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Wie Leon Andreasen (3. v. l.) bei seinem Handtor in Köln.
Betrügen ist okay, man darf sich nur nicht erwischen lassen. Wie Leon Andreasen (3. v. l.) bei seinem Handtor in Köln.
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Letzte Rettung Videobeweis? Auch wenn mir die heuchlerischen und hysterischen Diskussion über die Schiedsrichter auf den Wecker gehen: Ich bin eigentlich kein Freund des Videobeweises. Das hat weniger damit zu tun, dass ich ein nostalgischer Fußballromantiker bin, der die Meinung vertritt, dass solche Stammtischdiskussionen am Montagmorgen den Fußball doch ausmachten, sich alles am Ende der Saison sowieso ausgleiche und bla bla bla. Ich glaube einfach nicht an die vollkommene Objektivität von Fernsehbildern. Auch Perspektiven können gewissermaßen parteiisch sein. Zweidimensionale Fernsehbilder ewrden die Dreidimensionalität auf dem Feld eben niemals eins zu eins abbilden. Außerdem muss es am Ende ja immer noch jemanden geben, der die Bilder interpretiert.

Ein konkretes Beispiel vom Wochenende. Im Spiel Hertha gegen Gladbach gab es einen Foulelfmeter, nachdem Herthas Verteidiger Sebastian Langkamp mit seiner Hand an die Schulter von Gladbachs Offensivspieler Ibrahima Traoré gegriffen hatte. Bei einer repräsentativen Umfrage würden vermutlich 49,1 Prozent sagen: Klarer Elfmeter. Langkamps Hand hat dort nichts zu suchen. Wenn ein Angreifer in vollem Tempo ist, reicht schon eine leichte Berührung, um ihn zu Fall zu bringen. (In diesem Zusammenhang: Auch eine Zeitlupe verfälscht möglicherweise.) 50,9 Prozent hingegen sagen: Kein Elfmeter. Es sieht doch jeder, dass Traoré die leichte Berührung dankend annimmt und sich dann fallen lässt. Hilft der Videobeweis? Dämmt er in irgendeiner Weise die nervigen Diskussionen ein? Nicht in jedem Fall auf jeden Fall.

Bei Wolfsburgs irregulärem Tor zum 1:0 am Wochenende hätte der Videobeweis zweifelsfrei geholfen - weil er dem Oberschiedsrichter eine Perspektive eröffnet hätte, die Manuel Gräfe auf dem Feld nicht zur Verfügung gestanden hat. Auch Andreasens Handtor in Köln hätte vermutlich nicht gezählt. Ich wage angesichts der hitzigen Diskussion mal die Prognose, dass die ablehnende Haltung der Fifa gegen zusätzliche technische Hilfsmittel weiter bröckeln wird. Interessanterweise sind es ja inzwischen die Schiedsrichter selbst, die sich technische Unterstützung wünschen. Wenn ich mich recht erinnere, war Markus Merk (allerdings nach Beendigung seiner aktiven Karriere) der Erste, der sich in diese Richtung geäußert hat. Und auch Gräfe hat sich nach seinem Fehler in Wolfsburg für den Videobeweis ausgesprochen.

Laut „Kicker“ gibt es inzwischen „konkrete Pläne für einen Video-Referee“. Andreas Rettig, der frühere Geschäftsführer der Deutschen Fußball-Liga, wird mit den Worten zitiert: „Es geht nicht darum, jede Spielsituation aufzulösen. Wir wehren uns auch gegen sogenannte Trainer-Challenges, weil eine Auszeit taktische missbraucht werden kann.“ Auch durch einen Videobeweis, so Rettig, dürfe der Charakter des Spiels nicht verändert werden.

Wobei man dann nur noch die Frage beantworten, ob Post-Match-Debatten ebenfalls zum Charakter des Spiels gehören.

Betrügen ist okay, man darf sich nur nicht erwischen lassen

Und was ist mit den Spielern? Jörg Schmadtke hat seine Fundamentalkritik an den Schiedsrichtern inzwischen revidiert. Im „Kicker“ wird er mit der Aussage zitiert: „Ich weiß ja, wie schwer der Job ist, den die Schiedsrichter machen. Deshalb ärgere ich mich über mich selbst.“ Dafür kann man ihm nur Respekt zollen. Die Haudrauf-Haltung passt eigentlich auch nicht zu Schmadtke, der ja nicht zu Unrecht im Ruf steht, ein überlegter Mensch zu sein.

In der Debatte um Schiedsrichter-Fehlleistungen wird gerne darauf hingewiesen, dass ein Schiedsrichter bei strittigen Szenen doch den entsprechenden Spieler befragen solle. Selbst das hat Gräfe am vergangenen Samstag getan. André Schürrle aber hat hinterher gesagt, er habe nicht gewusst, ob er den Pass gespielt habe. Man darf das ruhig für eine taktische Aussage halten. Ein Schiedsrichter soll alles sehen müssen, aber über einen Spieler, der nicht mal mitkriegt, ob er den Ball gespielt hat oder sein Gegenspieler, über den regt sich kein Mensch auf. Oder anderes Beispiel: Was hätte Hannovers Leon Andreasen wohl nach seinem Handtor in Köln auf eine entsprechende Nachfrage des Schiedsrichters geantwortet? Vielleicht: „Tut mir leid, ich kann es nicht genau sagen, ob es Arm oder Schulter war.“ Damit wäre er dann fein raus gewesen. Hätte ja nicht gelogen.

Bezeichnend ist doch gerade im Fall Andreasen die Reaktion der Kölner gewesen. Natürlich haben sie sich zu Recht über den irregulären Treffer aufgeregt. Aber über wen? Nicht über Andreasen, der auf regelwidrige Weise das entscheidende Tor erzielt hatte, sondern über den blinden Schiedsrichter und sein ebenso blindes Team. Das ist so, als würde man bei einem Wohnungseinbruch nicht den Einbrecher verfluchen, sondern die Polizei, die den Einbruch nicht verhindert hat.

Ich erinnere mich an einen ähnlichen Fall aus dem Berliner Olympiastadion im Pokal-Viertelfinale zwischen Hertha BSC und Borussia Mönchengladbach im Februar 2012. In der Verlängerung entschied Schiedsrichter Brych nach einer Tätlichkeit des Berliner Verteidigers Roman Hubnik gegen Igor De Camargo auf Elfmeter für die Gladbacher und Rot für Hubnik. Der Tscheche hatte De Camargo - unbemerkt vom Schiedsrichter - auf den Fuß getreten, woraufhin De Camargo in hohem Bogen durch die Luft gesegelt war, als hätte Hubnik ihm einen Kopfstoß verpasst. Im Grunde hatte Brych trotz falscher Wahrnehmung (Kopfstoß) das richtige Strafmaß gefunden (Rot und Elfmeter), trotzdem war er für alle Berliner der Buhmann. Gegen den Schauspieler De Camargo fiel von offizieller Hertha-Seite kein böses Wort - weil natürlich jeder Spieler weiß, dass er in einer entsprechenden Situation genauso handeln würde - nämlich immer auf den eigenen Vorteil bedacht, mit allen legalen und halblegalen Mitteln. Der Ehrliche ist im Fußball der Dumme. Betrügen ist okay, muss der Schiedsrichter halt sehen. Und wenn er es nicht sieht, ist doch klar, wer der Dumme ist.

Und jetzt? Ein runder Tisch? Die „Bild“-Zeitung hat „die große Diskussion“ eröffnet und stellt die Frage: „Sind unsere Schiris wirklich so schlecht?“ Bei diesem Thema ist das Boulevardblatt immer vorne dabei. Umso überraschender, dass es dort in einem Kommentar zum Thema heißt: „Nicht selten sind es die Spieler, die durch mieses Tricksen und Täuschen Fehlentscheidungen provozieren. Ausbaden aber muss es der Schiri, wenn er auf den Spieler reingefallen ist. (...) Im Gegensatz zu den Schiris machen die Spieler das auch noch absichtlich.“

Überraschung: Gräfe bekommt im „Kicker“ nicht etwa die Note 6 (wie in der „Bild am Sonntag“), sondern nur eine 5. Die Begründung: „Leistete sich eine folgenschwere Fehlentscheidung, als er vor dem 1:0 seinen Assistenten, der richtigerweise eine Abseitsstellung anzeigte, überstimmte. Der Pass wurde, aus Sicht des Schiedsrichters schwer zu erkennen, von Schürrle und nicht von Kampl gespielt.“

Unser User Tutengesang kommentiert den Vorgang bei Tagesspiegel online wie folgt: „Genossen, machen wir es kurz: Das Verhalten der Herren Graefe und Völler zeigt mir, wer den Sportgeist lebt und wer nur ein Hampelmännchen oder Rumpelstilzchen ist.

Der eine entschuldigt sich für seinen Fehler und appelliert mit Hinweis auf die Fehlerhaftigkeit von Spielern, Trainern und Managern auf ein wenig Verständnis für seinen Fehler. Der andere echauffiert sich wie ein ,bekiffter Hampelmann’ über diese Fehlentscheidung. Hätte nur noch gefehlt, dass er dem Schiedsrichter den Verzehr etlicher Weizenbiere vor dem und während des Spiels bezichtigt. Dann hätten wir die Blaupause gehabt. Respekt, Herr Graefe, Unverständnis, Herr Völler!“

Jörg Schmadtke, der Manager des 1. FC Köln, hat ebenfalls im „Kicker“ einen runden Tisch ins Gespräch gebracht. Er will nicht mehr „übereinander reden“, sondern fordert mehr Miteinander. „Es muss eine Diskussion auf Augenhöhe sein. Offen und ehrlich. Die Schiedsrichter müssen ihre Probleme benennen. An irgendwas muss diese Häufung (der Fehler, Anmerkung d. Redaktion“ ja liegen.“ Ich erinnere mich noch, als die Diskussion vor ein paar Jahren ähnlich hitzig geführt wurde. Auch damals gab es einen runden Tisch aller Beteiligten. Das Ergebnis war die Installierung eines Vierten Offiziellen zur Beruhigung der erhitzten Gemüter (wenn ich mich recht erinnere, haben sich die Bundesligisten damals noch beschwert, dass das alles viel zu teuer sei, aber das nur am Rande). Vielleicht kreißt ja demnächst erneut der runde Tisch und gebärt einen Fünften Offiziellen.

Mann im Hintergrund? Manuel Gräfe stand nach seiner falschen Abseitspfiff im Mittelpunkt hitziger Diskussionen.
Mann im Hintergrund? Manuel Gräfe stand nach seiner falschen Abseitspfiff im Mittelpunkt hitziger Diskussionen.
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Gaaaaaaaanz ruhig! Habe ich schon mal erwähnt, dass ich ein Schiedsrichterversteher und Freund der Schiedsrichter bin? Vielleicht hängt das damit zusammen, dass ich ein Herz für Schwache habe. Denn dass die Schiedsrichter, die angeblichen Herren über das Fußballspiel, immer mehr zur ärmsten Sau auf dem Platz werden, hat das vergangene Wochenende ja wieder einmal eindrucksvoll bewiesen.

Hier ein paar Zitate: „Die Schiedsrichter in Deutschland werden immer schlechter.“ (Jörg Schmadtke, Manager des 1. FC Köln)

„Ich verstehe nicht, was die Schiedsrichter mit dem Headset machen. Läuft da die Hitparade oder unterhalten die sich?“ (Christian Heidel, Manager des FSV Mainz 05)

Rudi Völler, Sportdirektor von Bayer Leverkusen, hat seine massive Kritik eher auf nonverbale Art zum Ausdruck gebracht. Ich übersetz das mal für alle, die es nicht gesehen haben: Was seid ihr eigentlich für Dilettanten?!

Auslöser war das Führungstor des VfL Wolfsburg gegen Bayer Leverkusen durch Nicklas Bendtner. Vorlagengeber Vieirinha hatte dabei klar im Abseits gestanden. Klar? Der Linienrichter hatte die Fahne gehoben, doch Schiedsrichter Manuel Gräfe unterließ es, das Spiel mittels Pfiff zu unterbrechen (so weit korrekt: Abseits ist, wenn der Schiedsrichter pfeift; nicht wenn der Linienrichter winkt, auch wenn das für viele irritierend wirken mag). Warum hatte Gräfe weiterspielen lassen? Weil er aus seiner Position wahrgenommen hatte, dass nicht der Wolfsburger André Schürrle den Pass auf Vieirinha gespielt hatte, sondern Leverkusens Kevin Kampl. Mithin wäre es kein Abseits gewesen.

Gräfes Wahrnehmung - das ist dank diverser Kameraeinstellungen inzwischen zweifelsfrei erwiesen - war falsch. Der Ball kam nämlich doch von Schürrle. Allerdings hatte Gräfe keine Tomaten auf den Augen. Es war aus seiner Position schlicht nicht zu erkennen. (Ich wage zu behaupten, dass auch Rudi Völler das von seiner Position auf der Tribüne nicht erkennen konnte - so wie ich es im Fernsehen in Realgeschwindigkeit auch nicht nur nicht erkannt habe, sondern sogar ziemlich sicher war, dass Kampl den Ball gespielt hatte.) Gestern Abend im Bericht des NDR-Sportclubs ist über die entsprechende Szene der entscheidende Satz gefallen: Sie sei „nur aus der Hintertorperspektive erkennbar“ erkennbar. Dort aber hat Gräfe nicht zu stehen, dort steht auch kein Linienrichter und - zumindest in der Bundesliga - auch kein Torrichter.

Der Schiedsrichter ist die ärmste Sau, weil er als Einziger im Stadion nicht über technische Hilfsmittel verfügt. Jeder Zuschauer benötigt nur einen Blick auf seinen Smartphone und ist besser informiert als der Mann, der die Entscheidungsgewalt besitzt. „Spieler machen Fehler, Trainer und Manager machen Fehler, und Schiedsrichter machen eben auch Fehler. Bei Torhütern und Schiedsrichtern fällt es immer besonders auf“, hat Manuel Gräfe hinterher gesagt. Auch weil er sich keinen Zacken aus der Krone bricht, wenn er eigene Fehler zugibt, weil er einen fast kumpelhaften Umgang mit den Spielern pflegt, anstatt auf autoritär und unnahbar zu machen, wird er in der Bundesliga sehr geschätzt.

Mit welcher Chuzpe also (endlich kann ich diesen Begriff einmal verwenden) werden Schiedsrichter angegangen und als Vollblinde beschimpft - nachdem man ihnen nach der siebten Kameraeinstellung endlich den entscheidenden Fehler nachweisen konnte?

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