Rassismus gegen Sané und Gündogan: Fanforscher fordert mehr Zivilcourage im Stadion
Özil, Chemnitz, Cohen, nun Wolfsburg: Der Soziologe Gunter Pilz sieht die jüngste Häufung rassistischer Vorfälle im Fußball als Spiegel der Gesellschaft.
Es hat nicht lange gedauert. Nicht einmal 24 Stunden, nachdem der Journalist André Voigt in einem Video von rassistischen Beleidigungen einiger Stadionzuschauer beim Länderspiel der deutschen Nationalmannschaft berichtet hatte, haben sich drei Verdächtige bei der Polizei gemeldet. Die drei Männer seien zwischen 30 und 40 Jahren alt und haben sich laut „Braunschweiger Zeitung“ bereits Donnerstagnachmittag gestellt.
Sie hätten sich in einer ersten Vernehmung zu den Vorwürfen geäußert, sagte ein Polizeisprecher der dpa. Die Ermittlungen seien wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet worden. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, könnten sogar Haftstrafen drohen. Wegen des Vorfalls hat die Polizei auch Voigt als Zeugen vorgeladen.
Der Journalist war am Mittwoch privat mit seiner Familie beim Länderspiel gegen Serbien im Wolfsburger Stadion und hatte in einem Video über die Geschehnisse berichtet. Die drei Männer hätten sich immer wieder rassistisch über die deutschen Nationalspieler Leroy Sané und Ilkay Gündogan geäußert und diese als „Bimbo“, „Neger“ und „der Türke“ bezeichnet.
Als Voigt die Männer zur Rede stellte, hätte er keine Unterstützung von den weiteren Stadionzuschauern bekommen. „Dass sich Voigt eingemischt hat, ist das einzig Richtige“, sagt der Soziologe und Fanforscher Gunter Pilz. „Dass er dabei so alleingelassen wurde, ist aber unfassbar.“
Auch wenn die Zahl der rassistischen Vorfälle in den Stadien über einen längeren Zeitraum zurückgegangen sei, verfolgt Pilz die jüngsten Geschehnisse mit Sorge. Gerade in den vergangenen Monaten haben sich die erschreckenden Meldungen gehäuft. Mesut Özil und Gündogan wurden nach ihrem Foto mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan massiv – und teilweise rassistisch – beleidigt, Özil trat kurze Zeit später mit einer langen Erklärung aus der Nationalmannschaft zurück. „Wenn wir gewinnen, bin ich Deutscher, und wenn wir verlieren, bin ich ein Migrant“, hieß es darin unter anderem.
In Chemnitz mobilisierte im September eine ehemalige Fangruppierung für rechte Demonstrationen und erst vor zwei Wochen gedachte der Chemnitzer FC in seinem Stadion einem verstorbenen Neonazi. Der Klub rechtfertigte sich später mit angeblichen Drohungen und Sicherheitsbedenken.
Wenige Tage zuvor attackierte ein angeblicher Fan des 1. FC Union während eines Zweitligaspiels auf Twitter den israelischen Fußballer Almog Cohen vom FC Ingolstadt antisemitisch. Und neben dem jüngsten Zwischenfall in Wolfsburg gibt es auch in Hannover große Diskussionen um eine Podiumsdiskussion zum Thema „Rechtsradikale im Stadion“: Nach mehreren Drohungen hatten die Veranstalter die linke Gruppierung „Hannover Rechtsaußen“ zwischenzeitlich ausgeladen.
Für Pilz steht die aktuelle Entwicklung klar in Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Stimmung. „Das ist ein Spiegel dessen, was wir momentan im öffentlichen Diskurs hören“, sagt der Soziologe. „Wenn schon im Bundestag rechte Meinungen vertreten werden, ermutigt das all jene, die sich vorher nicht getraut haben, sich öffentlich so zu äußern.“ Das sei auch kein spezifisch deutsches Problem, sondern ein Effekt des europaweiten Erstarkens von rechtspopulistischen und fremdenfeindlichen Bewegungen.
Die große Mehrheit der Bürger – und der Stadionbesucher – vertritt zwar weiter demokratische Werte, müsse für diese aber auch aktiv eintreten, sagt Pilz: „Bei solchen Beleidigungen muss ich gleich klare Kante zeigen und mich nicht nur später in den sozialen Medien empören.“ Das fordert auch Nationalspieler Leon Goretzka. „Ich kann nur alle aufrufen, solche Leute in die Schranken zu weisen“, sagte der Mittelfeldspieler. „Fremdenfeindlichkeit hat keinen Platz im Stadion und in der Gesellschaft.“
Pilz erinnert in diesem Zusammenhang auch an den Eklat beim Länderspiel der Nationalmannschaft im September 2017 in Prag. Damals hatte eine kleine Gruppe von Anhängern des DFB-Teams auf der Tribüne rechte Parolen gebrüllt. „Das waren nur 30 bis 40 Leute, wenn der Rest des Stadions ,Nazis raus’ gerufen hätte, wäre das ein starkes Zeichen gewesen“, sagt Pilz. Das hätten dann die Nationalspieler Mats Hummels und Julian Brandt gesetzt, indem sie die Mannschaft davon abhielten, nach dem Spiel in die Kurve zu gehen, und die Vorfälle danach deutlich verurteilten. „Das war ein klares Signal, zu dem weder Löw noch Bierhoff bereit waren“, sagt Pilz.
DFB verurteilt Vorfall "aufs Schärfste"
Grundsätzlich sieht er die Arbeit des DFB im Kampf gegen Diskriminierung und Rassismus aber sehr positiv. Der Verband sei in diesem Bereich gut sensibilisiert und tue viel für die Prävention. Der DFB hatte den Vorfall in Wolfsburg am Donnerstag „aufs Schärfste“ verurteilt und auch Präsident Reinhard Grindel äußerte sich: „Das hat mich sehr betroffen gemacht. Kein Spieler darf diskriminiert werden. Wir als DFB werden jedem, der das tut, die Rote Karte zeigen“
Ausschließen lassen sich Fälle wie in Wolfsburg allerdings nicht. Bei mehr als 20 000 Zuschauern im Stadion sind alle Gesellschaftsschichten, Bildungsniveaus und politische Gesinnungen vertreten. Zumal der Fußball eine „kathartische Funktion“ habe. Während in der Gesellschaft Emotionen zurückgedrängt würden, könne man sie im Stadion noch ausleben. „Das ist grundsätzlich positiv“, sagt Pilz. „Es muss dabei aber eine klare Grenze geben – und die wurde in Wolfsburg überschritten.“