Pyro bei Union gegen Hertha: „Es geht um traditionelle Männlichkeit“
Fanforscher Robert Claus über die Motivation der Krawallmacher beim Berliner Derby und politische Konflikte in den Fankurven. Ein Interview.
Robert Claus forscht zu Rechtsextremismus, Fußballfans und sportbezogener Sozialarbeit. Der 36-Jährige ist Autor des Buchs „Hooligans: Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik“ und hat auch Klubs wie Borussia Dortmund bei der Anti-Diskriminierungsarbeit beraten. Claus fordert eine differenziertere Debatte über die Vorfälle beim Derby.
Herr Claus, nach dem Berliner Bundesliga-Derby wird vor allem über Pyrotechnik diskutiert. Ist das der richtige Ansatz?
Nein, es ist zu pauschal. Wir müssen die Debatte über Pyrotechnik differenziert führen. Zudem sollten wir über die Einstellungen von Menschen reden, die andere Menschen mit Raketen beschießen – dabei dürfen wir nicht zu viel in einen Topf packen. Tatsächlich zeigen die Vorfälle beim Berliner Derby, dass hier mehrere Debattenstränge zusammenlaufen.
Welche sind das?
Bei Union und Hertha gibt es sehr ausdifferenzierte Fan-Szenen, in denen sich sowohl rechte Hools als auch gegen Rassismus engagierte Fans finden. Außerdem gibt es eine lange Geschichte der Pyrotechnik-Debatte, in denen sich Fan-Szenen selbstkritisch damit auseinandergesetzt haben.
Beim Großteil der beiden Szenen sind Böllerwürfe und Raketen verpönt und werden als gefährlich betrachtet. Dies wird in den jeweiligen Fanforen ja auch kritisch diskutiert. Fackeln in den Händen hingegen werden wohlwollender betrachtet. Deshalb darf man nicht Pauschalurteile fällen, wie es nach dem Derby auch im Tagesspiegel geschehen ist.
Was muss aus Ihrer Sicht stärker in den Fokus rücken?
Es haben ja nicht alle Fans diese Dinge beim Derby begangen. Es war ein sehr gewaltaffiner und eher rechter Block. Bei Hertha ist das die Gruppe „Kaliber 030“ und deren Umfeld, die gut vernetzt sind mit Hooligans vom BFC Dynamo und vom 1. FC Magdeburg.
Es ist dann auch sehr wahrscheinlich, dass beim Derby Mitglieder dieser anderen Gruppen dabei waren. Und bei Union gibt es das genauso. Es gibt zum Beispiel Verbindungen nach Mönchengladbach. Bei diesen Gruppen dominieren gewaltbereite und zum Teil menschenverachtende Einstellungen, wie es einige Spruchbänder oder Gewalt-Aufrufe auch belegen. Die Art und Weise, wie diese Gewalt ausgelebt wird, ist ja eine Folge dieser Einstellungsmuster.
Welche Gefahr sehen Sie also in der Bewertung der Derby-Vorfälle?
Dass nur über Pyrotechnik und zu pauschal darüber diskutiert wird. Denn die Pyrotechnik-Debatte ist ja auch überlagert und symbolträchtig.
Inwiefern?
Jenseits der Raketen geht es nicht nur um den Gebrauch von Fackeln, sondern auch darum, wie die Fans den Spieltag mitgestalten und sich einbringen können in einem immer kommerzialisierteren Fußball. Da geht es um Mitbestimmung und Teilhabe. Auf staatlicher Seite wiederum geht es darum, die strengen Regularien durchzusetzen. Da treffen unterschiedliche Wertevorstellungen und Ziele aufeinander.
Es geht also nicht allein darum, wie heiß eine Fackel sein darf und ob sie verboten ist, sondern auch um die Frage, wie weit eine Jugendkultur und Fanszene die Gestaltung eines Spieltages mitbestimmen kann. Versuche der Vermittlung wurden kaum ernsthaft verfolgt. So ist Pyrotechnik einerseits verboten, andererseits in vielen Stadien sehr präsent.
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Beim Derby gab es die Szenen, wie aus dem Hertha-Block Raketen auf das Feld und die Zuschauertribüne geschossen wurden. Aber auch wie einige Union-Anhänger vermummt auf den Platz stürmten.
Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass sich beide Gruppen quasi auf dem Feld verabredet haben. Das war wohl ein spontaner Wutausbruch der Unioner - aber eben von Leuten, die grundsätzlich gewaltbereit sind und Sturmhauben bei sich trugen.
Bei den Einstellungen dieser Leute geht es vor allem um ein sehr traditionelles Verständnis von Männlichkeit: Wehrhaft bleiben, das eigene Territorium verteidigen, Gewalt anzudrohen, den Gegner als schwul zu diffamieren. Das ist eine sehr heteronormative und gewalttätige Männlichkeitsvorstellung. Darüber muss im Fußball mehr gesprochen werden.
Was können die Vereine dagegen tun?
Ich habe ja auch Klubs, etwa Borussia Dortmund, bei der Anti-Diskriminierungsarbeit beraten. Dabei sollte man mit klaren Zielen auf vier Feldern agieren: Man muss erstens eine aktive und präventive Fan-Arbeit bieten, man muss zweitens sich in Netzwerken beteiligen - wie etwa dem „Bündnis gegen Homophobie“, bei dem Hertha und Union auch Mitglied sind.
Drittens ist die interne Vereinsarbeit wichtig um alle Mitarbeiter und Trainer zu sensibilisieren. Viertens die Öffentlichkeitsarbeit. Und dass nach dem Derby etwa der Union-Blog „textilvergehen“ die Entgleisungen einzelner Gruppen kritisiert, ist ja ein absolut positives Zeichen. Die Fanszenen sind sehr ausdifferenziert, und die Vernünftigen müssen dabei nun unterstützt werden.
Nach den Vorfällen beim Derby wurden die Täter aus den Fangruppen heraus aber nicht in die Schranken verwiesen.
Eine gut organisierte kleine Gruppe, die gewalttätig ist, hat nun mal oft die Kraft, eine größere Szene zu dominieren. Deswegen geht es im Rest der Szene darum, sich zu vernetzen und sich zu unterstützen. Es gab ja auch Beispiele dafür, etwa in Bremen vor einigen Jahren, wo sich die Ultra-Szene erfolgreich gegen die alten Nazi-Hools gestellt hat. Dafür braucht es einen szeneinternen Diskussionsprozess, der vom Verein unterstützt werden sollte.
Radikalisieren sich Fangruppen stärker?
Das würde ich in Gänze nicht sagen, aber die politischen Konflikte brechen immer deutlicher auf. Das findet in einem gesellschaftlichen Klima statt, in dem es wieder mehr zum Mainstream gehört, sich rassistisch und gewaltfördernd zu äußern. Auch das gibt rechten und gewaltaffinen Gruppen neben der aufgeheizten Derbystimmung leider Auftrieb.
Hätten Hertha und Union mehr auf einige Fangruppen einwirken müssen?
Was im Hintergrund an Kommunikation zwischen den Vereinen und Fanprojekten lief, um die Stimmung etwas zu beruhigen, weiß ich nicht. Aber vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, wenn beide Vereine schon mehr gemeinsam präventiv zum Thema Gewalt kommuniziert hätten. Denn so schwer man solche Ausschreitungen vorhersehen kann, dass es in Teilen der Fanszenen Interesse an Gewalt beim Derby gibt – diese Anzeichen waren definitiv da.