Was die Berliner Bundesligisten eint und trennt: 1. FC Union und Hertha BSC – so nah und doch so fern
25 Kilometer trennen Union und Hertha. Aber eigentlich liegen Welten zwischen ihnen. Oder? Spurensuche vor dem ersten Bundesliga-Duell beider Vereine.
Bernhard Klupsch steht wieder mal da, wo ihn alle erwarten, schüttelt viele Hände, grüßt, lächelt und kurbelt. Die graue Schiebermütze sitzt ebenso unverrückt auf seinem Kopf, wie der rot-weiße Schal um seinen Hals hängt, und die Klänge seiner Drehorgel kommen ganz akkurat, wie immer.
Es ist Samstag, der 1. FC Union hat ein Heimspiel in der Fußball-Bundesliga. Das Stadion ist natürlich ausverkauft, das Gedränge groß, wie immer. Viele Menschen auf engem Raum, das erzeugt Hektik, Klupsch erzeugt Harmonie. Seit Beginn der 2000er steht Klupsch, 57, auf dem Parkplatz vor dem Stadion An der Alten Försterei und spult seine Notenbänder ab, Heimspiel für Heimspiel.
Wie Union hat auch der andere Berliner Bundesligist Hertha BSC so seine Rituale, Heimspiel für Heimspiel. Und wenn am kommenden Samstag das erste Berliner Bundesliga-Derby seit mehr als 40 Jahren stattfindet, sind sich beide Vereine so nah wie lange nicht mehr.
Sonst trennen sie nur 25 Kilometer Luftlinie, vom Stadion An der Alten Försterei ganz im Osten der Stadt, bis zum Olympiastadion in Westend. Aber trennen die Klubs eigentlich nicht Welten? Eine musikalische Spurensuche
Das Schauspiel, das Drehorgel-Bernhard An der Alten Försterei bietet, ist immer das gleiche. Menschen, Bekannte und Fremde kommen, lauschen und plauschen. Klupsch kurbelt, hört zu, kurbelt und hört zu. „Berliner Lieder“, sagt Klupsch, hat er immer dabei, „einen gewissen Stamm, Paul Lincke oder Walter Kollo zum Beispiel“, alte Klassiker vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Sie sind so unverwechselbar wie das Stadion An der Alten Försterei, vor dem Klupschs Drehorgel immer wieder dieselben Klänge ausspuckt. Das passt.
Union, so scheint es, versprüht immer dieselbe Stimmung, egal ob der Klub in der Oberliga oder wie in dieser Saison erstmals in der Bundesliga spielt. Aber kann man sich das Urige, Althergebrachte überhaupt erhalten im schnelllebigen Geschäft mit dem Fußball? „Gleichmäßigkeit ist wichtig“, sagt Klupsch, „auch ein gewisses Tempo“, er meint sein Drehorgelspiel, sein Lieblingsklub tickt aber auch so. Belässt es in der Bundesliga bei den Zweitliga-Ticketpreisen, angelt sich aber einen umstrittenen Hauptsponsor, ein Immobilienunternehmen, das auf den ersten Blick wenig mit Union gemein hat.
Um diesen Weg weiter zu finanzieren, sind sie auch in Köpenick auf jeden müden Cent angewiesen, rund 80 Millionen Euro beträgt der Etat in der Bundesliga. Der Klub wird und will wachsen, aber gleichmäßig, von Tonstufe zu Tonstufe, geordnet und harmonisch.
Notenwechsel. Ortswechsel.
Im Westend finden sie, dass große Abschiede besungen werden müssen. Der Wechsel von Fabian Lustenberger zu den Young Boys Bern war ein großer Abschied. Zwölf Jahre lang hat Lustenberger das Trikot von Hertha BSC getragen – bis zum Ende der vergangenen Saison.
Anhänger Moritz Denis und die Band „Die Lusti-Suchtis“ haben Lustenberger ein Liedchen gewidmet. „Du spielst den Rückpass so schön, doch nun willst du gehen“, sangen sie, so bodenständig und geradeheraus, wie Lustenberger spielte. Klein und harmonisch, das kann Hertha auch. Ob es auch Tonstufe für Tonstufe geht, ist eine andere Frage.
Manchmal kann man den Eindruck gewinnen, dass es Hertha gar nicht schnell genug gehen kann mit dem Wachstum. Der neue Investor Lars Windhorst jedenfalls will Hertha zum „Big City Club“ machen, der regelmäßig in der Champions League spielt.
Als Windhorst im Juni 125 Millionen Euro bereitstellte für 37,5 Prozent der Anteile an der Hertha BSC GmbH & Co. Kommanditgesellschaft auf Aktien, war klar, dass sich die Ansprüche des Klubs sprunghaft ändern würden. Und dabei soll es ja nicht bleiben. Mehr als 100 weitere Millionen will Windhorst in den Klub stecken und seine Anteile auf 49,9 Prozent aufstocken.
Der ganz große Aufschrei von Herthas Fans blieb dazu aus, sie haben Windhorsts Aktivitäten vorerst ruhig und kritisch beobachtet. Aber heißt das auch, dass sie im Westen der Stadt nicht so viel Wert auf Fußballtradition legen wie in Köpenick?
„Windhorst ist vielleicht nicht die erste Wahl als Investor mit seiner Vergangenheit. Aber auch das passt in einer gewissen Weise zu Hertha“, sagt Sänger Moritz Denis. „Man merkt, dass es mit dem Understatement der Pal-Dardai-Jahre vorbei ist.“ Unter Trainer Pal Dardai hat sich Hertha in den zurückliegenden Jahren stabilisiert. Jetzt soll es mit Windhorst und dem neuen Trainer Ante Covic weiter nach vorne gehen. Und mit Union?
Ganz ohne finanzielle Hilfe geht es auch bei den Köpenickern nicht, wenn auch noch in anderen Dimensionen gearbeitet wird. Der Finanzdienstleister Quattrex hat Union 2016 und 2017 insgesamt 6,3 Millionen Euro zugeschossen.
Allerdings ist der Verein noch ein rein eingetragener – und die Profiabteilung, anders als vielleicht bald bei Hertha, kein Fall für den Aktienmarkt. Dass die sportpolitisch sehr aktive Unioner Fanszene eine Ausgliederung der wertvollen Profiabteilung aus dem e. V. mittragen würde, gilt derzeit als ausgeschlossen.
Was gerade im Trend liegt, juckt Union meistens nicht, das gilt auch für das eigene Erscheinungsbild. Hertha will der Klub für die ganze Region sein. Für Ost und West, Stadtkern und -rand, Berlin und Brandenburg. Union ist Köpenick, alles darüber hinaus nimmt man gerne mit.
Hertha geht aktiver vor. Zusammen mit einer renommierten Werbeagentur hat der Klub in den vergangenen Jahren zahlreiche Kampagnen aus dem Boden gestampft. Es gab beispielsweise den bei Fans ungeliebten Versuch, sich urplötzlich als hippes „Berliner Start-Up seit 1892“ zu vermarkten.
Inzwischen sucht Hertha wieder die Bindung zur Basis, veranstaltet Trainingseinheiten in verschiedenen Kiezen, stellt Spieltage unter das Motto eines Bezirks und präsentiert deren Wappen auf dem Mannschaftsbus. Union präsentiert Fußball pur, Bratwurstgeruch und Stehplätze. Laut soll es sein und eng. Das lockt sogar englische Fans von der Insel an. Das Ursprüngliche gefällt ihnen, sagen sie.
Wie unterschiedlich Hertha und Union sind, zeigt sich auch am Engagement der Klubs zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls. Für das Spiel am 9. November gegen RB Leipzig entwarf Hertha ein Sondertrikot, in Anlehnung an jenes, das die Spieler 1989 trugen. Außerdem steht nunmehr ein Stück Berliner Mauer auf dem Trainingsgelände. „Wir sind ein Berliner“, steht darauf. Hertha hatte sogar die Idee, das Derby am 9. November auszutragen. Und Union?
Der Klub, für den sich durch den Mauerfall die komplette Geschichte verändert hat, bleibt mit Aktionen zum Jubiläum auffällig unauffällig. „Für mich ist das ein Derby, das steht für Rivalität, für Abgrenzung. Und für Fußball-Klassenkampf in der Stadt“, sagte Unions Präsident Dirk Zingler in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“. Zingler weiter: „Diesem Spiel eine Art Freundschaftsspielcharakter zu geben, nach dem Motto: Wir spielen jetzt hier einen auf deutsche Einheit, das finde ich absurd.“
Vielleicht hätte er mal Drehorgel-Bernhard fragen sollen. Der war 1990 dabei, als Unioner und Herthaner im Olympiastadion erstmals aufeinandertrafen. „Es war nun nicht so, dass ich in die Luft gesprungen wäre“, sagt Klupsch. „Aber es war doch schön, damals haben wir mehr zusammengehalten. Das war eine platonische Liebe.“ Unioner und Herthaner mochten und respektierten sich ohne viel Gefummel.
„Ich habe viele Freunde, die Unioner sind“, sagt auch Hertha-Fan Moritz Denis. Von Anfeindungen und Aggressivität hält er nichts: Für seine Idee, jeweils ein Trikot von Union und Hertha in der Hälfte zu zerschneiden, um Blau-Weiß und Rot symbolisch zusammenzunähen, habe er aber keinen Unioner überzeugen können: „Das fand ich sehr schade. Ich glaube, bei solchen Angelegenheiten sind die Herthaner etwas lockerer.“ Oder er muss einfach mal Drehorgel-Bernhard fragen.