Der Kapitän von Hertha BSC vor dem Duell mit Union: Vedad Ibisevic ist der perfekte Derbytyp
Vedad Ibisevic, der Kapitän von Hertha BSC, ist auch mit 35 Jahren die Nummer eins im Angriff – weil er gieriger ist als die anderen Stürmer im Kader.
In einer Derbywoche gibt es ein paar Regeln, die unbedingt zu befolgen sind. Regel Nummer eins: Keine Verbrüderung mit dem Feind. Wobei Verbrüderung ziemlich weit gefasst ist. Ein gemeinsames Abendessen zum Beispiel mit einem Spieler des Kontrahenten? Schwierig.
Vedad Ibisevic, der Kapitän von Hertha BSC, hat dieser Tage zugegeben, dass er seinen früheren Stuttgarter Kollegen Christian Gentner, der inzwischen für den Rivalen Union spielt, tatsächlich schon einmal in Berlin gesehen habe. „Wir haben uns zufällig getroffen“, sagte er. „Zufällig“, wiederholte er noch zweimal – und hob dazu seinen Zeigefinger. Nicht, dass jemand auf falsche Gedanken kommt.
Auch Ibisevic lernt noch dazu
Ibisevic ist 35 Jahre alt, er spielt seit mehr als 13 Jahren in der Fußball-Bundesliga, kommt in dieser Zeit auf 323 Einsätze und 123 Tore. Ibisevic bringt also eine Menge Erfahrung mit. Aber selbst ein Routinier wie er lernt immer noch dazu. In seinem hohen Fußballeralter wird der Stürmer aus Bosnien an diesem Samstag das erste Derby seiner Karriere bestreiten – das ist durchaus bemerkenswert in einer Zeit, in der mit dem Begriff der besseren Vermarktung wegen eher inflationär umgegangen wird.
Aachen gegen Gladbach und Stuttgart gegen Freiburg, das waren – bezogen auf die lokale Konkurrenzsituation – die bisher hitzigsten Duelle, die Ibisevic als Spieler mitgemacht hat. „Keine Riesenderbys“, sagt er selbst. Das Spiel an diesem Samstag, das Duell mit dem Aufsteiger Union in dessen engem und ohnehin stets lautem Stadion wird vermutlich eine andere Intensität haben.
„Auf diesem Niveau ist das neu für Berlin“, sagt Ibisevic. „Deshalb freut man sich umso mehr, Teil eines solchen Spiels zu sein. Aber wir dürfen unsere Aufgabe nicht vergessen, bei dem Hype, der darum gemacht wird.“
Ibisevic lebt von seiner Emotionalität
Vedad Ibisevic ist auch ohne Derbyerfahrung der perfekte Derbytyp. Man könnte sogar sagen: Ibisevic ist so gestrickt, dass er jedes Spiel wie ein persönliches Derby begreift. „Dass Vedo von seiner Emotionalität lebt, steht außer Frage“, sagt Herthas Trainer Ante Covic. „In seiner ganzen Karriere hat er diese Emotionalität gehabt.“
Und sie lässt offenbar auch im Alter nicht nach. Unter der Woche, im wahnwitzigen Pokalfight gegen Dynamo Dresden, wurde Vedad Ibisevic erst zur Verlängerung eingewechselt, trotzdem hatte er am Tag danach noch eine kratzige Stimme. „Ich habe zu viel rumgeschrien“, berichtete er.
Auch wegen seiner emotionalen, seiner mitreißenden Art ist Ibisevic weiterhin wichtig für Herthas Mannschaft. „Vedo ist nicht nur Kapitän für die Seitenwahl, er ist auch in der Kabine Kapitän“, sagt Covic. „Dieses Amt füllt er voller Leidenschaft aus.“ Als Covic im Sommer neuer Cheftrainer bei Hertha wurde, sah er offenbar keine Notwendigkeit, das Kapitänsamt neu zu besetzen – obwohl nicht zwingend davon auszugehen war, dass Ibisevic in dieser Saison, seiner fünften bei Hertha BSC, sportlich unantastbar sein würde.
Im Gegenteil: Es deutete einiges darauf hin, dass der Kapitän mit seinen 35 Jahren mehr und mehr in die Altersteilzeit rutschen und eher die Rolle des Jokers einnehmen würde. Dass es anders lief, hat viele überrascht. „Es muss vieles zusammenkommen“, sagt er. „Du musst gesund bleiben, dich in Form bringen und die Vorbereitung gut mitmachen. Das alles ist passiert.“
Und so darf sich Vedad Ibisevic nach einem Viertel der Saison wieder einmal als Stürmer Nummer eins bei Hertha fühlen: Ibisevic hat die meisten Pflichtspieltore erzielt, er stand als einziger Feldspieler neben Marko Grujic in allen Begegnungen auf dem Platz, und er kommt von allen Offensivkräften im Kader auf die meisten Startelfeinsätze. „Im Moment spricht für Vedo, dass er weniger Torchancen benötigt als die anderen, um ein Tor zu machen“, sagt Trainer Covic.
Exemplarisch war das Ende September bei Herthas 4:0-Erfolg gegen den 1. FC Köln zu sehen, als Ibisevic zunächst auf der Bank saß. Mit der ersten Ballberührung nach seiner Einwechslung traf er zum vorentscheidenden 2:0 für die Berliner, vier Minuten später ließ er das 3:0 folgen. Seitdem stand der alte Mann mit dem inzwischen ergrauten Haupthaar in jedem Bundesligaspiel in der Startelf. „Ich habe immer noch Spaß, es brennt immer noch“, sagt Ibisevic. „Und solange ich das noch spüre, werde ich auch nicht an mir zweifeln.“
Schon deshalb wird er an diesem Samstag im Stadion An der Alten Försterei gebraucht: als Mann ohne Zweifel und als emotionaler Anführer seines Teams. Wenn es hitzig wird, scheint Ibisevic ein Fußballspiel erst richtig genießen zu können. Dass er damit auf einem schmalen Grat spaziert und ihn die Schiedsrichter wegen seiner aufbrausenden Art manchmal auf dem Kieker haben, das hat er zuletzt selbst beklagt. Aber, sagt Trainer Ante Covic: „In seinem fortgeschrittenen Alter weiß Vedo ganz genau, wann und wie er seine Emotionen einsetzen kann.“ Vor allem in einem Derby.